Publiziert am: 25.10.2019

«Mehr informeller Austausch»

arbeitswelt – Es ist voller Schwächen und gleichzeitig leistungsfähiger als jeder Supercomputer: das Gehirn. Wie Unternehmen seinen Mechanismen am besten gerecht werden und so die Produktivität der Mitarbeitenden steigern, verrät der Neurobiologe Henning Beck.

Schweizerische Gewerbezeitung: Jedes Unternehmen ist auf der Suche nach Innovationen. Welches Arbeitsumfeld hilft dabei, sie zu fördern?

Henning Beck: Idealerweise können die Mitarbeitenden je nach Tätigkeit zwischen verschiedenen Räumen wählen. Unternehmen sollten ihnen zumindest Räume für den Austausch, Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Arbeiten und genauso Bereiche zum Durchatmen bieten. Denn zwischendurch müssen wir den Kurzzeitspeicher löschen, unsere Gedanken sortieren, geistig verdauen.

Was passiert im Gehirn, wenn es Ideen entwickelt?

In unserem Gehirn gibt es Regionen, um uns zu konzentrieren, und solche fürs geistige Umherwandern. Genau dieses Tagträumen ist wichtig für Kreativität. Dabei können wir Aufgaben, an denen wir konzentriert gearbeitet haben, wirken lassen. Deshalb kommen uns Ideen oft nicht am Schreibtisch, sondern beim Sport, unter der Dusche oder beim Autofahren. Das ist auch der Grund, warum die besten Ideen selten in Gruppen entstehen.

Nicht gerade ein Plädoyer für Gruppenarbeiten…

Das Problem von Gruppenarbeiten heisst «Group Think»: Die Gruppe leistet weniger als die Summe der Einzelpersonen.

«Es lohnt sich, unterschiedliche menschen nach ihrer meinung zu fragen.»

Das liegt daran, dass sich viele Leute in der Gruppe entweder ausruhen oder sich übermässig profilieren wollen, dass Neid und Eitelkeiten mitschwingen. Das Zusammenkommen mit anderen Leuten macht aber durchaus Sinn, weil neue Perspektiven unser Gehirn inspirieren. Es geht also um den Austausch. Deshalb plädiere ich für mehr informellen Austausch in den Unternehmen.

Gerade in Gewerbebetrieben verwenden Führungskräfte einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit, um Probleme zu lösen. Wie tun sie das «hirngerecht»?

Indem sie zum jeweiligen Problem Inputs von anderen Personen einholen. Das Gehirn versucht dann, daraus die beste Synthese zu bilden. Dazu lohnt es sich, ganz unterschiedliche Leute nach ihrer Meinung zu fragen. Zudem gehört es zur Führungsarbeit, etwas auszuprobieren, dabei auch mal Fehler zu machen und sie zuzugeben. Daraus lernt das Gehirn am meisten.

Die heutige Informationsflut verstärkt die Ablenkung am Arbeitsplatz. Wie sollten Unternehmen damit umgehen?

Unser Gehirn reagiert stark auf Neues, auf Veränderung. Mobile Geräte und Onlinedienste sind dafür optimiert, die Leute in ihrer Neugier abzuholen und nach dauernder Veränderung süchtig zu machen. Die Lösung dafür ist eine Arbeitskultur von Sprints und Pausen.

Es braucht Zeitblöcke für konzentriertes Arbeiten. Dann sind die Mitarbeitenden nicht erreichbar und legen das Smartphone weg. Darauf folgt jeweils ein Zeitblock zum Entkoppeln von der Arbeit. Das kann auch mit dem Smartphone geschehen. Unternehmen müssen lernen, dass mehrere solche scheinbar unproduktiven Phasen pro Tag okay sind.

Interview:

Lukas Tschopp

DIRECT DAY 2019

Henning Beck referiert am Direct Day 2019 vom 19. November im Berner Kursaal.

www.directday.ch

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