Publiziert am: 05.03.2021

Die Meinung

Mind the gap? No. Besser Briten an Bord!

Es ist ganz einfach: Die Schweiz braucht ein Freihandelsabkommen mit Grossbritannien. Das Vereinigte Königreich ist nicht nur eine Spitzenwirtschaft der Welt. Es hat viele kommerzielle Beziehungen zur Schweiz.

Ein Teil der Fakten ist bekannt: Das Vereinigte Königreich ist am 31. Januar 2020 formell aus der Europäischen Union (EU) ausgetreten. Seit dem 1. Januar 2021, mit dem Ende der Übergangsperiode, ist der Austritt auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion vollständig vollzogen. Zwar haben die Briten ein Handels- und Kooperationsabkommen mit der EU. Das hilft der Schweiz aber nicht. Denn die bilateralen Abkommen gelten nicht mehr für das Verhältnis zwischen Bern und London.

Als Antwort auf diese Herausforderung hat der Bundesrat die «Mind the gap»-Strategie entwickelt. Mit dem Vereinigten Königreich wurden sieben neue bilaterale Verträge ausgehandelt. Sie betreffen die Bereiche Handel, Dienstleistungen, Strassen- und Luftverkehr, Versicherungen, Migration und Polizei.

So weit, so gut. Doch was hier verkannt und verkürzt wird, ist die Wirklichkeit. Das Handelsabkommen, beispielsweise, senkt nicht alle Zölle. Gewisse Güter, wie etwa Farben, werden, wenn sie Grossbritannien «betreten», mit einem Güterzoll versehen. Das bedeutet im Klartext, dass Schweizer Exporte ins Vereinigte Königreich teurer werden. Und das wiederum verschlechtert die Wettbewerbsposition der Schweizer Wirtschaft.

Warum ist es so wichtig, dass die Schweizer Wirtschaft ungehindert mit Grossbritannien verkehren kann? Ganz einfach: Das Königreich gehört zu den wichtigsten Wirtschaftspartnern der Schweiz.

Zahlen belegen das. Im Jahr 2018 lag das Königreich hinter Deutschland und den USA mit einem Gesamthandelsvolumen (inklusive Dienstleistungen und Wertsachen) von über 56 Milliarden Franken auf dem dritten Rang. Wird nur der Warenhandel angeschaut, so exportiert die Schweiz Waren für 28,1 Mil­liarden und importiert solche im Wert von 16,4 Milliarden Franken. Es entsteht also ein Handelsüberschuss von fast 12 Milliarden pro Jahr. Genau dieser Überschuss ist durch das aktuelle Handelsabkommen gefährdet. Denn es ist kein Freihandelsabkommen. Es ist ein Behelf, der nur wenige Zölle senkt – und auch das nur, wenn sie Güter betreffen, über welche die EU mit Grossbritannien äquivalente Regelungen hat. Das versteht niemand.

Was tut die Schweizer Handelsdiplomatie? Nichts. Sie ist so stolz auf die schönfärberische «Mind the gap»-Strategie, dass sie die realen Probleme verkennt. Als die Vertreterin des Gewerbeverbands dieses Thema in der berühmt-berüchtigten Kommission für Wirtschaftspolitik des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO platzierte, behauptete die Staatssekretärin, die Probleme bestünden nicht. Die Wirklichkeit zu verkennen, scheint auch eine Strategie zu sein.

Der sgv verlangt, dass die Schweiz noch dieses Jahr dem Vereinigten Königreich ein umfassendes Freihandelsabkommen – d. h. unter Einschluss von Dienstleistungen – anbietet. Besser noch: Man könnte das Königreich überzeugen, der EFTA beizutreten. Schweiz, Norwegen, Island und das Fürstentum Liechtenstein zeigen erfolgreich, wie Freihandel ohne poli­tische Komplikationen geht.

Immerhin haben die Briten den Freihandel erfunden. Das Königreich in der EFTA macht die echte Freihandelsvereinigung in Europa grösser und wichtiger. Also: Briten an Bord.

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