Publiziert am: 10.11.2017

Mühe des Regulators mit Innovation

DIGITALES KAPITAL – Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma versucht, ihre eigenen Befugnisse auszuweiten, indem sie innovativen, digitalen Lösungen Steine in den Weg legt.

Zugegeben: Keine Aufsichtsbehörde auf der Welt ist innovationsfreudig. Doch die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma treibt es auf die Spitze. Sie stellt eine neue Maxime auf: Was nicht beaufsichtigt ist, ist grundsätzlich suspekt. Mit dem Ziel, ihre eigenen Befugnisse zu erweitern.

Die Schweiz ist zusammen mit den USA und Hong Kong weltweit einer der führenden Finanzplätze für sogenannte Kryptowährungen (vgl. auch Seiten 13 und 23). Dies sind Zahlungsmittel in Form von Computerprogrammen. Statt also eine 100-Franken-Note im Portemonnaie zu haben, hat man einen Computercode, der einem 0,005 Bitcoin garantiert. Bitcoin ist dabei die bekannteste und am weitesten verbreitete Kryptowährung.

Mit dem Bitcoin oder einem Teil davon kann man in Restaurants bezahlen, Sachen kaufen (vgl. S. 13) – und in Zug sogar seine Steuer entrichten. Kryptowährungen werden durch den Computercode, der sie steuert, garantiert. Ein guter Code lässt wenig Manipulation zu; ein schlechter schon. Ob sich ein solches Zahlungsmittel durchsetzt, ist eine Sache von Angebot, Nachfrage und Vertrauen. Bei Bitcoin zum Beispiel ist die Anzahl der Einheiten limitiert. Transaktionen können nur stattfinden, wenn mehr als 50 Prozent des Netzwerks zustimmen. Das schafft Vertrauen, erhöht die Nachfrage und steigert den Wert.

Und die Finma?

So weit, so gut. Wie kommt aber die Finma hier ins Spiel? Eigentlich gar nicht. Denn ihr Auftrag ist primär, den Banken und Versicherungen, bald auch noch den Vermögensverwaltern auf die Finger zu schauen. Doch den findigen Aufsichtsexperten reicht dies nicht.

Gemäss einer Medienmitteilung der Finanzmarktaufsicht vom 29. September 2017 stellt diese in jüngster Zeit einen markanten Anstieg von in der Schweiz durchgeführten Initial Coin Offerings (ICO) fest. ICOs sind eine digitale Form der öffentlichen Kapitalbeschaffung zu unternehmerischen Zwecken. Wenn eine Firma also Geld braucht, kann sie die Bank um ein Darlehen anfragen, zusätzliche Besitzerinnen rekrutieren, oder neuerdings auch ein ICO machen. Die Mittel, die in die Firma fliessen, sind im letzteren Fall aber nicht in Schweizer Franken, sondern zum Beispiel Bitcoin.

Die konkrete Ausgestaltung von ICOs unterscheidet sich im Einzelfall in technischer, funktionaler und ökonomischer Hinsicht sehr stark. Zurzeit bestehen weder international noch in der Schweiz spezifische ­Vorschriften zu ICOs. Kein Wunder, schliesslich gilt in der Schweiz der goldene Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit: Was nicht ausdrücklich verboten oder reguliert ist, ist erlaubt. ICOs sind weder verboten noch reguliert, also erlaubt. Und genau dies scheint die Finma zu stören.

Mit allen Mitteln

Zudem ist das Schweizer Finanzmarktrecht grundsätzlich prinzipienbasiert gehalten. Es folgt dem Prinzip der Technologieneutralität. Das Aufnehmen von Geld für eigene Zwecke ohne die Zwischenschaltung einer Plattform oder eines Emissionshauses ist grundsätzlich aufsichtsrechtlich unreguliert, wenn keine Rückzahlungspflicht besteht und kein Sekundärhandel (z.B. an der Börse) stattfindet.

«KEINE BANK SEIN, ABER BANKENRECHT VERLETZEn? doch, DAS GEHT – findet DIE FINMA.»

Also könnte man hier getrost sagen, die Abenteurer sollen ihre ICOs machen. Die Innovationsversessenen sollen ihre Pizza in Bitcoin zahlen. Und: Falls sie Geld verlieren, ist das ihr Problem. Aber die Finma lässt nicht locker. Obschon sie nirgends ein Mandat dafür hat, sucht sie nach Anknüpfungspunkten, um auch diese Innovation unter ihre Fuchtel zu bekommen.

Zu diesem Zweck fantasiert die Finanzmarktaufsicht, ICOs könnten Bestimmungen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung verletzen. Dumm nur: Das können auch Tankstellen, Restaurants und Gebäudereiniger. Die reine abstrakte Möglichkeit, dass einer etwas Falsches macht, reicht noch nicht aus, um einen Sonder­regulator auf den Plan zu rufen – müsste man meinen. Doch die Finma sieht das anders.

Mit List und Lust

Eine andere Idee der Aufsicht lautet: Bitcoin verletzen Bestimmungen des Bankenrechts. Nun, das könnte tatsächlich sein. Wenn Bitcoin-Händler denn Banken wären. Verschiedene solche Händler haben schon vorsorglich versucht, von der Finma eine Bankenlizenz zu erhalten. Das wurde ihnen aber jedes Mal verweigert. Und zwar mit der Begründung, Bitcoin-Händler könnten gar keine Bank sein. Für die Finma kann es also sein, dass man keine Bank sein kann – und trotzdem das Bankengesetz verletzt.

Natürlich: Die Finanzmarktaufsicht bekennt sich zur Innovation im Finanzplatz. Und sie beteuert sogar, diese nicht behindern zu wollen. Doch wenn die Lust am Regulieren zupackt, sind solche Sprüche wenig wert. Die schönen Beteuerungen – und mit ihnen die Innovationen im Finanzsektor – fallen der List des Regulators zum Opfer.

Henrique Schneider, 
Stv. Direktor sgv

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