Publiziert am: 05.07.2019

«Nervosität dürfte anhalten»

INTERVIEW – UBS-Ökonomin Sibille Duss hält einen Wirtschaftscrash trotz der angespannten Lage für «unwahrscheinlich».

Schweizerische Gewerbezeitung: Im Mai reagierten die Aktienmärkte nervös. Ist das ein Zeichen für einen baldigen Crash?

Sibille Duss: Aufgrund der erneuten Handelsspannungen zwischen den USA und China ist die Volatilität an den Aktienmärkten zurückgekehrt. Wir sind jedoch nach wie vor der Ansicht, dass die beiden Parteien letztendlich eine Lösung finden werden. Bis ein Abkommen geschlossen ist, dürfte die Nervosität an den Aktienmärkten aber anhalten. Die Reaktion des Marktes war jedoch bislang relativ verhalten. Zwar haben die Aktienmärkte in den USA und in China im Mai einen Rückschlag erlitten, seit Jahresbeginn liegen sie aber immer noch im Plus.

Wir rechnen nach wie vor mit einer Stabilisierung des globalen Wirtschaftswachstums in der zweiten Jahreshälfte und im nächsten Jahr. Wenn sich die Handelsspannungen nicht zu einem globalen Handelskrieg ausweiten, scheint uns ein Crash unwahrscheinlich.

Aber die Unsicherheiten mehren sich: No-Deal-Brexit, Handelsstreit, Geopolitik. Bleibt das ohne Konsequenzen fĂĽr die Realwirtschaft?

Global betrachtet kann man erkennensehen, dass der Handel bereits unter den Handelsstreitigkeiten leidet, was sich auch bei den schwachen Werten der Einkaufsmanagerindizes fürs verarbeitende Gewerbe bemerkbar macht. In vielen Ländern sind die Indizes unter die wichtige Marke von 50 Punkten gefallen, was auf eine Rezession im Industriesektor und auf schwaches Wachstum der Gesamtwirtschaft hindeutet. Zudem sind weltweit aufgrund der politischen Unsicherheiten auch die Investitionen von Unternehmen rückläufig. Konkret heisst das beispielsweise für die USA, dass die aktuellen Zölle nach unseren Schätzungen der US-Wirtschaft 0,2 bis 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum kosten.

Die Ausweitung der Zölle auf alle chinesischen Waren würde das BIP-Wachstum in den USA und in China um einen weiteren Prozentpunkt drücken und gleichzeitig auch das Rezessionsrisiko erhöhen.

Wie beeinflusst die Minus-Zins-Politik die Realwirtschaft?

Wir sehen sehr tiefe Niveaus der Zinsen bei allen Laufzeiten der Staatsanleihen und rekordtiefe Hypothekarzinsen. Zusammen mit einem Anlagenotstand führt das dazu, dass Investitionen in Immobilien in naher Zukunft weiter gesucht bleiben. Zudem leiden Sparer und auch die Pensionskassen unter den tiefen Zinsen – Sparen wird unattraktiv und die künftigen Renten kommen unter Druck. Auf der positiven Seite verhindern Minus-Zinsen eine starke Aufwertung des Frankens und währen der Exportwirtschaft die Chancen auf den internationalen Märkten.

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