Publiziert am: 19.02.2021

«Noch viel Potenzial»

KARIN KELLER-SUTTER – «Die Corona­krise hat gezeigt, wie nützlich und wichtig die Digitalisierung sein kann», sagt die Justizministerin. Sie ist von der Aufgabenteilung rund um die neue E-ID überzeugt. Auch der Schweizerische Gewerbeverband stellt sich klar hinter die Vorlage.

Schweizerische Gewerbezeitung: Wo steht die Schweiz heute im internationalen Vergleich in Sachen Digitalisierung?

Bundesrätin Karin Keller-Sutter: Die Schweiz ist insgesamt gut aufgestellt; es gibt Bereiche, da sind wir ganz vorne dabei. Andernorts, etwa beim E-Government, haben wir noch viel Potenzial. Das hat uns auch die Corona-Krise vor Augen geführt, das war ja eine Art digitaler Stresstest für unser Land. Umfragen zeigen, dass 70 Prozent der Menschen in der Schweiz mehr digitale Dienstleistungen von den Behörden wünschen. Dafür brauchen wir eine staatlich regulierte E-ID, die auch genügend Schutz in der digitalen Welt bietet.

Weshalb brauchen Wirtschaft und Bevölkerung im Jahr 2021 eine elektronische Identifizierungsmöglichkeit (E-ID)?

Viele von uns haben ja heute schon digitale Identitäten, die wir ganz selbstverständlich in unserem Alltag nutzen: Sei es eine Apple-ID, ein Google-Konto oder ein Facebook-Login. All diese Logins sind aber nicht staatlich reguliert und anerkannt, und wir wissen auch nicht, was mit unseren Daten passiert. Mit dem neuen Gesetz regulieren wir erstmals diesen Bereich. Und wir sorgen für einen besseren Schutz unserer Daten, indem wir den Anbietern vorschreiben, dass sie die Daten in der Schweiz aufbewahren müssen und diese nur zum Zweck der Identifizierung verwenden dürfen. Eine solche staatlich anerkannte, elektronische Identität ist die Basis für die weitere und geordnete Digitalisierung in der Schweiz und deshalb eine Chance für unser Land.

Wird die E-ID dereinst den Schweizer Pass ablösen?

Nein. Die E-ID ist weder ein Pass noch eine Identitätskarte und damit auch kein Ausweis, mit dem besondere Rechte verbunden sind. Mit der E-ID kann man also nicht reisen, und man kann sich damit bei einer Polizeikontrolle auch nicht ausweisen. Die E-ID ist vielmehr ein staatlich geprüftes und sicheres Anmeldeverfahren oder ein Login fürs Internet.

Wieso bietet der Staat nicht eine eigene E-ID an und überlässt diese stattdessen den Privaten?

Das ist das Resultat einer jahrelangen Diskussion. 2016 entschied sich der damalige Bundesrat dann bewusst für die Aufgabenteilung, wie sie heute vorgesehen ist. Das hat auch mit den Erfahrungen anderer Länder zu tun. Wer auf eine rein staatliche Lösung setzte, hatte keinen Erfolg. Deutschland ist das Paradebeispiel dafür. Die deutsche E-ID hat heute gerade sechs Prozent Nutzer. Deutschland strebt nun ein partnerschaftliches Modell an, wie es die Schweiz will. Entscheidend ist, dass der Staat die hoheitlichen Aufgaben nicht aus der Hand gibt. Das stellt die E-ID sicher.

Wäre der Bund denn überhaupt in der Lage, eine E-ID anzubieten?

Diese Frage zielt am Kern der Sache vorbei: Natürlich könnte der Bund eine staatliche E-ID anbieten. Aber er würde ein grosses Investitionsrisiko tragen. Er müsste sich für eine bestimmte Technologie entscheiden und wäre danach während Jahren an diesen Entscheid gebunden. Was aber, wenn sich in naher Zukunft zeigen sollte, dass es bessere und kundenfreundlichere Technologien gäbe? Anpassungen wären da schwierig und teuer, und die Akzeptanz der staatlich gewählten Lösung bei den Nutzerinnen und Nutzern ungewiss.

Malen Sie hier nicht etwas gar schwarz?

Nein, die technologische Entwicklung ist rasant. Nehmen Sie die Musik: Vor etwa 15 Jahren begann man, Musik vom Internet herunterzuladen. Nach wenigen Jahren wurde die CD fast komplett abgelöst. Und heute ist auch dieses Downloadmodell praktisch verschwunden, heute wollen alle die Musik streamen. Dieses Schicksal könnte auch der E-ID widerfahren. Dann hätten wir eine Lösung, die niemand mehr will. Genau deshalb haben sich ­Bundesrat und Parlament auf eine Rollenteilung geeinigt.

Das heisst, der Staat überträgt die Aufgaben nun einfach den Privaten?

Nein, wie in vielen anderen Bereichen teilen sich Staat und Private auch bei der E-ID die Aufgaben. Wichtig ist, dass der Staat die zentrale Rolle behält. Er tut, was nur er tun kann, nämlich die Identität der einzelnen Personen prüfen und bestätigen. Dazu macht der Staat die gesetzlichen Vorgaben, gewährleistet die Richtigkeit der Daten und nimmt die Aufsicht über die Anbieterinnen der E-ID wahr. Die technische Umsetzung von E-ID-Lösungen und damit auch das Investitionsrisiko übernehmen dann andere, das können private Unternehmen oder auch Kantone sein. Konkret hat ja auch der Kanton Schaffhausen sein Interesse bekundet.

Die Rolle der privaten Anbieter lässt Sicherheitsbedenken aufkommen. Wie wird der Datenschutz bei der E-ID sichergestellt?

Das ist der springende Punkt: Mit der E-ID ermöglichen wir einen besseren Schutz unserer Daten, als das heute möglich ist – weil wir erstmals ein gesetzlich reguliertes Angebot für die Anmeldung im digitalen Geschäftsverkehr schaffen. Sie müssen dann nicht mehr Ihren Pass scannen und über Google-Mail verschicken – ohne dass diese Daten besonders geschützt wären. Die E-ID kann solche komplizierten und unsicheren Abläufe ersetzen. Und die Regeln beim Datenschutz sind beim neuen Gesetz noch strenger als sonst üblich.

Die Gegner der E-ID befürchten überdies, dass Konzerne mit den sensiblen Daten Profit machen könnten. Wie schätzen Sie das Missbrauchspotenzial ein, wenn private Unternehmen die Nutzung der E-ID verwalten?

Missbrauch kann man nie hundertprozentig ausschliessen. Es gibt ihn auch in der analogen Welt. Wir können aber strenge gesetzliche, organisatorische und technische Vorkehrungen dagegen treffen. Heute wissen wir nicht, wo und wie die internationalen Anbieter unsere Daten speichern und was damit genau passiert.

Im E-ID-Gesetz dagegen ist klar festgelegt: Die verschiedenen Daten müssen getrennt voneinander und dürfen nur in der Schweiz nach Schweizer Recht verarbeitet und gespeichert werden. Und es ist verboten, Profile zu erstellen. Das ist ein wichtiger Fortschritt.

Wer wird konkret eine E-ID anbieten können?

Es zeichnet sich ein Wettbewerb ab: Sieben Anbieter stehen derzeit in den Startlöchern, darunter der Kanton Schaffhausen, die Cloud Trust AG oder SwissSign. Das freut mich, weil es zeigt, dass das Konzept funktioniert. Wer eine rein staatliche E-ID will, könnte diese künftig vielleicht beim Kanton Schaffhausen beantragen. Dieser Wettbewerb verspricht auch technisch bessere Lösungen. Alle diese Anbieter müssen sich zuerst aber staatlich anerkennen lassen.

Zurück zu den Nutzern: Können Konsumentinnen und Konsumenten weiterhin auch ohne E-ID einkaufen oder Reisen buchen?

Ja, die E-ID ist freiwillig, das ist wichtig. Es wird auch niemand gezwungen, Waren und Dienstleistungen im Internet zu beziehen. Onlinehändler müssen zudem sicherstellen, dass man auch ohne E-ID etwas bestellen kann; das war ein zentrales Anliegen des Konsumentenschutzes. Ich habe das unterstützt. Auch bei Behördenkontakten wird es immer noch möglich sein, diese auch analog wahrzunehmen, wenn das jemand will.

Bei der Bewältigung der Coronakrise ist klar geworden, dass beim digitalen Datenaustausch Vieles verbessert werden muss. Was bringt die E-ID unter diesem Blickwinkel?

Die Coronakrise hat gezeigt, wie nützlich und wichtig die Digitalisierung sein kann. Der Staat muss aber für den Schutz der Daten sorgen. Das E-ID-Gesetz setzt genau hier an und schafft eine Basisinfrastruktur, die für die Behörden, aber auch für die Wirtschaft entscheidend sein kann. Mit der staatlich anerkannten E-ID wird es in Zukunft sicherer, einfacher und praktischer sein, Dienstleistungen online anzubieten.

Kommt die E-ID vor dem Volk durch: Wann werden Firmen und Private, die das wünschen, eine E-ID erhalten?

Dann machen wir rasch vorwärts, damit wir die E-ID schon bald nutzen können. Es ist aber auch klar, dass das nicht von heute auf morgen möglich sein wird. Zuerst müssen wir die unabhängige Aufsichtskommission, die EIDCOM, aufbauen – das war eine weitere Verbesserung, die das Parlament eingebracht hat. Es braucht zudem noch Verordnungen, und auch die Anbieterinnen müssen bereit sein. Ich rechne damit, dass wir ab Herbst 2022 die ersten Anbieter anerkennen können.

Und was passiert bei einem Nein?

Wird die Vorlage am 7. März abgelehnt, gibt es keine staatlich anerkannte E-ID. Ob sich dereinst eine rein staatliche E-ID politisch durchsetzen könnte, ist ungewiss. Sicher ist aber, dass eine neue Vorlage Jahre brauchen wird. Damit verschenken wir vor allem Zeit, denn die Digitalisierung geht weiter, ob mit oder ohne E-ID – wir hätten jetzt die Chance, mit einem Ja zu diesem ­Gesetz einen klaren gesetzlichen Rahmen zu setzen.

Interview: Gerhard Enggist

POSITION DES SGV

Klares Ja zur E-ID

Die Übertragung der E-ID an die Privatwirtschaft unter der Kontrolle des Staates erscheint als der beste Weg, um Sicherheit und Effizienz zu gewährleisten. Das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID) war in der Schweizerischen Gewerbekammer denn auch unumstritten. Das Parlament des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv hat einstimming die Ja-Parole beschlossen.

www.e-id.info

Meist Gelesen