Publiziert am: 09.04.2021

Nutzbringende Revision

Patentrecht – Unter dem Titel «Nutzlose Revision des Patentrechts» ist in der NZZ ein Gastkommentar erschienen, der allein aus Sicht eines Grosskonzerns argumentiert. Zwei Patentexperten halten dagegen.

Die Bedürfnisse eines Grosskonzerns im Patentrecht unterscheiden sich grundlegend von jenen der KMU. Das Patentrecht muss aber auch den KMU gerecht werden, es sei denn, man blendete völlig aus, dass – Stand 2020 – in der Schweiz ca. 99 Prozent der Unternehmen KMU sind, davon bloss 1600 bis 1700 mehr als 250 Mitarbeiter beschäftigen, während über 500 000 Firmen, sogenannte Mikrounternehmer, nur bis zu 10 Mitarbeiter beschäftigen.

Die letzte Zacke

Die nun vorgeschlagene Revision des Patentrechts (vgl. auch «Ein Hort der Innovation», sgz vom 5. Februar) stellt nach der Einführung des Bundespatentgerichts und nach dem Erlass des Patentanwaltgesetzes eine logische Fortbildung der bereits geregelten Institute des Patentrechts dar, sozusagen die Implementierung der letzten Zacke. Schon in diesem Lichte muss die anstehende Revision des Patentrechts bejaht werden.

Die These, die Revision des Patentrechts sei nutzlos, wird mit verschiedenen bekannten Argumenten vorgetragen, die für die Formulierung der Patentstrategie in Grosskonzernen mit einem grösseren Patentportfolio durchaus ihre Berechtigung haben können. Insbesondere wird die Bedeutung des europäischen Patents betont, das auch für die Schweiz in Anspruch genommen werden kann. Für KMU und auch für Einzelerfinder mit jeweils relativ wenigen Schutzrechten ist der europäische Weg in den meisten Fällen aber weder interessant noch wirtschaftlich tragbar. Zudem operiert der Gastkommentar mit irreführenden Zahlen.

Irreführende Zahlen

So werden für das Jahr 2019 die 615 erteilten nationalen schweizerischen Patente hervorgehoben; diese sollen angeblich lediglich 0,5 Prozent der gesamthaft über den Weg des Europäischen Patentamts (EPA) erteilten Patente mit Wirkung für die Schweiz ausmachen. Dieser Anteil von 0,5 Prozent bezieht sich aber auf die aufsummierte Gesamtheit der per Ende 2019 in Kraft stehenden Patente des EPA mit Wirkung in der Schweiz und nicht auf die effektiv erteilten Schutzrechte im Jahre 2019, deren Zunahme gegenüber dem Vorjahr 8951 Patente betrug. Demnach sind die im Gastkommentar errechneten prozentualen Anteile irreführend und nicht aussagekräftig.

Immerhin erfolgte in der Schweiz im Jahre 2019 die stattliche Zahl von 1720 Anmeldungen national, wobei auffallend ist, dass sich in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen den jährlichen erteilten Patenten gegenüber den im gleichen Jahr erfolgten nationalen Anmeldungen mit durchgehender Konstanz zwischen 35 und 45 Prozent eingependelt hat. Somit ergibt sich eine ganz andere Betrachtungsweise.

Attraktiver – auch international

Mit der Einführung der Vollprüfung im Schweizer Patentrecht werden neu alle Voraussetzungen der Patentierbarkeit geprüft, inklusive der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit. Bisher wird das Schweizer Patent dagegen nach dem geltenden Schweizer Patentgesetz (PatG) erteilt, d. h. ohne Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit, wobei aber alle anderen Patentierbarkeitsvoraussetzungen, wie zum Beispiel die Einheitlichkeit, die Klarheit und die Formalerfordernisse, ­geprüft werden. Ein vollgeprüftes Patent nach neuem Recht wird, insbesondere für KMU und einzelne Erfinder, stark an Attraktivität gewinnen. Das Schweizer Patentrecht wird durch die Vollprüfung auf ein höheres internationales Niveau gehoben.

Keine langen Verfahren

Für KMU steht eine europäische Patentanmeldung, nicht zuletzt aus Kostengründen, selten im Vordergrund; in den meisten Fällen genügt den KMU ein nationales vollgeprüftes Patent, allenfalls auf Deutschland national ausgedehnt. Dies geschieht vor allem angesichts der Tatsache, dass die technologischen Zyklen – gerade bei KMU – oft sehr kurz ausfallen und es wenig Sinn macht, die relativ langen und kostspieligen Prüfungsverfahren beim Europäischen Patentamt durchzuführen und dabei stets die immanente Gefahr einzugehen, dass sich der Erfindungsgegenstand dann schon bei der Erteilung als technologisch überholt entpuppt. Diese Betrachtungen gelten im Prinzip für alle Erfindungen, unabhängig ihrer Natur.

«Für KMU ist der europäische Weg meist weder interessant noch wirtschaftlich tragbar.»

Ein Blick auf Österreich mit einem zwar kleineren Bruttosozialprodukt als die Schweiz, sonst aber mit einer ähnlichen Struktur an KMU, weist für das Jahr 2019 total 2274 Patentanmeldungen und 1112 materiell geprüfte und erteilte Patente auf. In diesem Lichte ist es schwer zu bestreiten, dass eine solche positive Entwicklung der Anmeldetätigkeit auch für die Schweiz potenziell gegeben ist.

Hohe Kompetenz beim IGE

Ein weiteres Problem sollen nach den Gastkommentar sodann die wirtschaftlichen Aspekte bei der Aufstockung der Prüferstellen im Zusammenhang mit der Einführung der materiellen Prüfung darstellen. Es ist aber nicht nachvollziehbar, was daran prohibitiv sein soll. Die zusätzlichen Kosten werden ohnehin von den Leistungsempfängern bestritten. Auch die führenden ausländischen Patentämter mussten ihre patentbezogene Kompetenz allmählich aufbauen, man denke nur an den langen Aufbau des Europäischen oder des Chinesischen Patentamtes.

Dass eine solche Kompetenz nicht in jeder Hinsicht von Beginn an vorliegt, ja, nicht vorliegen kann, ist kein Grund, gleich die gesamte nationale Fortbildung des Patentrechts einzufrieren. Im Übrigen ist die Attraktivität des Eidgenössischen Instituts für geistiges Eigentum (IGE) als Arbeitgeber gross, sodass solche Stellen von kompetenten Mitarbeitern rasch besetzt sein werden.

Schliesslich ist es nicht zweifelhaft, dass die beim IGE tätigen ­Prüfer bereits über eine hohe patentrechtliche Kompetenz verfügen, prüfen sie doch bereits jetzt die Patentanmeldungen eingehend auf Einheitlichkeit, Klarheit und Formalerfordernisse.

Innovativere KMU

Auch aus innovationspolitischer Sicht ist die Revision zu bejahen. Neuere Studien zeigen, dass KMU, die über Patente verfügen, innovativer sind und mehr Umsatz erreichen. Sind die Patente gut durchsetzbar – die Durchsetzbarkeit materiell geprüfter Patente ist, nicht zuletzt im Massnahmeverfahren, einfacher –, sind Innovationstätigkeit und Umsatz noch höher.

Eine Bereicherung stellt auch die Erweiterung der Revision auf die erstmalige Schaffung eines Gebrauchsmusterschutzes in der Schweiz dar. Insbesondere ist aufgrund der guten Erfahrungen in Deutschland und Österreich im Umgang mit diesem Rechtsinstitut davon auszugehen, dass die KMU in der Schweiz rege davon Gebrauch machen werden.

Aufblähung? Mitnichten!

Die Revision des Patentrechts stellt daher mitnichten eine «Aufblähung des nationalen Patentschutzes für die paar wenigen Unternehmen» (Gastkommentar am Schluss) dar, sondern ist für viele KMU ein dringendes Bedürfnis, welche – nota bene – eine Stütze der Schweizer Wirtschaft bilden.

Giacomo F. Bolis und

Conrad Weinmann, Kanzlei

Weinmann Zimmerli, Zürich

www.ige.ch

Meist Gelesen