Publiziert am: 04.09.2020

Referendum gegen die Freiwilligkeit

Nun wissen wir also, wie hart die Krise unsere Wirtschaft getroffen hat: über acht Prozent BIP-Verlust in der Schweiz – besonders betroffen dürften die KMU sein. Und es ist nicht überstanden: Weiterhin unterliegen unsere Unternehmen grossen Unwägbarkeiten. Die zweite Welle hemmt nicht nur den Konsum, sondern zwingt Tausende von Arbeitnehmenden in die Quarantäne und bremst die Produktivität und Rückkehr in einen normalen Geschäftsgang. In dieser Situation würde eine möglichst grosse Verbreitung der Tracing-App zur gezielten Warnung vor möglicher Ansteckung Arbeitnehmenden und Arbeitgebern helfen, Risiken einzudämmen. Und just zur perfekten Unzeit ergreift ein Komitee das Referendum gegen die App – angeblich aus Angst, überwacht zu werden. Und versteht nicht, dass der Schuss nach hinten losgeht.

In der Tat kann sich ein Referendum nicht gegen die App selbst richten, sondern gegen das Gesetz, das vom Parlament in Bezug auf die Rahmenbedingungen verabschiedet wurde. Dieses verlangt ausdrücklich, dass die Tracing-App freiwillig bleiben muss und der Staat keinerlei Daten sammeln darf. Und genau dieser Grundsatz wird das Referendum zunichtemachen. Widersprüchlicher könnten Ziel und Ergebnis nicht sein.

Derzeit kann einem KMU nichts Schlimmeres passieren, als einen positiven Fall in der Belegschaft zu haben. Dann muss der ganze Betrieb potenziell für zehn Tage geschlossen werden – ein Albtraum. Homeoffice ist zwar eine tolle, aber auch elitäre Alternative. Bei weitem können nicht alle KMU ihren Betrieb aus dem Homeoffice aufrechterhalten. Häufig ist persönliche, physische Präsenz am Arbeitsort oder beim Kunden notwendig, und die personellen Ressourcen sind zu knapp, um Arbeit auf andere zu verteilen. Da sind weitere Hilfsmittel gefragt, um Ansteckungsketten innerhalb eines Betriebs zu vermeiden. Um die Akzeptanz eines digitalen Instruments zur Eindämmung des Virus zu erhöhen, sollten also die Regeln um die Tracing-App möglichst niederschwellig und vertrauenswürdig sein. Es war dem Parlament deshalb ein grosses Anliegen, die Tracing-App als freiwilliges, eigenverantwortliches Hilfsmittel zu gestalten.

Aus dieser Überlegung durfte man hoffen, dass Mitarbeitende aus eigenem Interesse die App nutzen würden, um ihr Umfeld, aber auch ihre Arbeitskolleginnen und -kollegen und ihren Arbeitgeber zu schützen. Und anfänglich gelang dieses Vorhaben auch gut, die Downloadzahlen waren erfreulich. Dass nun mitten in den Sommerferien das Referendum gegen das App-Gesetz ergriffen wurde, torpediert die Interessen der KMU und erhöht deren Not. Mit der Demotivierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Nutzung der App bringt das Referendumskomitee Arbeitgeber in eine schwierige Situation, denn die Fallzahlen steigen an, und damit auch die Quarantänezahlen. Derweil ziehen etliche Unternehmen kranke Mitarbeitende mittels Wärmescans und Temperaturmessern aus dem Verkehr – zu einem Zeitpunkt notabene, zu dem sie bereits ansteckend sind.

Das Einzige, was die Annahme des Referendums bewirken wird, ist die Beseitigung der Freiwilligkeit, der Transparenz und des Schutzes der Bürger vor staatlicher Überwachung. Es ist zu hoffen, dass die über zwei Millionen Menschen, die die App heruntergeladen haben, dies erkennen und sich nicht beirren lassen. Es wäre geradezu höhnisch, der gebeutelten Privatwirtschaft mitten im Sturm die Navigationsmittel abzustellen.

* Die Zürcher glp-Nationalrätin Judith Bellaiche ist Geschäftsführerin von Swico, dem Wirtschaftsverband der ICT- und Onlinebranche.

www.swico.ch

www.judithbellaiche.ch

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