Publiziert am: 04.11.2022

Revolution bei den Pritschenwagen

Nutzfahrzeuge – Pickups bringt man gerne mit grossen Verbrennungsmotoren in Verbindung. Das könnte sich bald ändern, denn die ersten Modelle mit Elektroantrieb sind bereits auf der Strasse. Ein neuer Markt, von dem viele profitieren wollen.

Elektrisch angetriebene Lieferwagen gibt es inzwischen zuhauf. Doch Elektro-Pickups sind noch äusserst rar – zumindest hierzulande. Anders ist das Bild in den USA, in der Wiege der Pritschenwagen: In das von riesigen Pickup-Trucks geprägte Strassenbild der US-Metropolen mischen sich mehr und mehr auch Modelle mit E-Antrieb. Und das ist erst der Anfang, denn viele weitere Modelle stecken bereits in der Pipeline.

Um die Bedeutung dieser Entwicklung zu verstehen, muss man den US-Automarkt genauer anschauen. Während bei uns etwa der VW Golf jahrzehntelang die Verkaufscharts dominierte, ist im Land von Stars und Stripes ein ganz anderes Kaliber gefragt: Der mindestens 5,8 Meter lange Ford F-150 führt dort die Verkaufscharts an – und das seit 45 Jahren in Folge. Auf den Plätzen dahinter folgen mit Chevrolet Silverado und Ram (vormals Dodge Ram) zwei weitere Full-Size-Trucks.

Aufmarsch der Etablierten

Nun also hat die Elektrifizierung auch im Pickup-Sektor Einzug gehalten – und damit wurde ein regelrechter Trend ausgelöst. Auslöser war, wie bereits vor zehn Jahren im Pw-Bereich, der US-Hersteller Tesla. Als das Unternehmen 2019 den pyramidenförmigen Cybertruck vorstellte, hielten das viele noch für einen schlechten PR-Stunt. Doch der Elektro-Pickup wurde 250 000-mal vorbestellt – und zwar in nur einer Woche. Auf dem Markt erhältlich ist das Modell allerdings bis heute nicht, Tesla vertröstet die Fans auf das dritte Quartal 2023. Doch wie schon der Model S von 2012 hat der Cybertruck zumindest die Konkurrenz aufgescheucht.

Ford hat reagiert und mit dem F-150 Lightning eine E-Version seines Bestsellers auf die Strasse gebracht. Der Lightning schafft bis 514 Kilometer Reichweite, generiert bis 426 kW/580 PS sowie 1050 Nm Drehmoment und spurtet in weniger als 5 Sekunden auf Tempo 100. Damit ĂĽbertrumpft er seine BrĂĽder mit V8-Motor punkto Power und Fahrleistungen bei Weitem.

Inzwischen haben auch die Rivalen nachgezogen: Während vom Ram 1500 EV bisher nur Computer-Renderings durchs Internet geistern, hat Chevrolet den Silverado EV bereits im Januar vorgestellt. Seine Eckdaten: 640 Kilometer Reichweite, 562 kW/764 PS Leistung und 1064 Nm Drehmoment. Geladen wird mit bis zu 350 kW – so schnell wie bisher kein anderes Elektroauto.

Auf der gleichen technischen Basis wie der Silverado EV baut der GMC Hummer EV Pickup auf – und der führt den Elektroantrieb regelrecht ad absurdum. Der Koloss wiegt über 4,5 Tonnen, spurtet aber dank drei Motoren und bis zu 735 kW/1000 PS Leistung in nur 3,5 Sekunden auf Tempo 100. Dennoch soll er mit einer Akku-Ladung bis 560 Kilometer weit kommen. Damit das gelingt, wurde eine Batterie mit einer Rekord-Kapazität von über 200 kWh verbaut – sie allein wiegt so viel wie ein Kompaktwagen. Mit dem Sierra EV hat GMC zudem einen weiteren XXL-Pickup mit E-Antrieb vorgestellt.

Hartes Pflaster fĂĽr Start-ups

Doch nicht nur die grossen Hersteller haben E-Varianten ihrer etablierten Modelle auf die Räder gestellt, es mischen in diesem neuen Sektor auch mehrere Start-ups mit. In Serienproduktion geschafft hat es bisher der Rivian R1T, und auch der ist ein Superlativ auf Rädern: Bis 617 kW/840 PS und 1100 Nm verteilt auf vier E-Motoren, dazu ein Akku mit bis zu 180 kWh Kapazität für über 600 Kilometer Reichweite und eine Hypercar-Beschleunigung von 3,3 Sekunden auf 100 km/h – mit einem Nutzfahrzeug hat das kaum mehr etwas zu tun. Nicht zuletzt wegen seines spannenden Designs ist der R1T erfolgreich in den USA angelaufen und in den Ballungszentren bereits hier und da zu sehen. Andere Start-ups wie Nikola, Bollinger oder Lordstown sind am Versuch, einen E-Pickup auf die Strasse zu bringen, gescheitert.

In der Schweiz ist vom Trend der elektrischen Pickups noch nichts zu spüren. Hierzulande werden offiziell nur Mid-Size-Pickups wie der Nissan Navara oder der Toyota Hilux vertrieben, und von denen sind noch keine Elektroversionen geplant; zumindest sind keine bekannt. Doch es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis der neue Trend aus den USA den Sprung über den grossen Teich schafft – immerhin hat Ford bereits angedeutet, dass neben dem F-150 Lightning noch ein zweiter Elektro-Pickup in Planung sei. Dass es sich dabei um den in der Schweiz beliebten Ford Ranger handelt, ist allerdings reine Spekulation.

Dave Schneider

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