Publiziert am: 09.11.2018

Richtig oder radikal?

SELBSTBESTIMMUNGSINITIATIVE – Die Nationalrätinnen Sandra Sollberger (SVP/BL) und Doris Fiala (FDP/ZH) streiten sich über die Auswirkungen des Urnengangs vom 25. November. Die Schweizerische Gewerbekammer lehnt die SBI mit klarer Mehrheit ab.

Schweizerische Gewerbezeitung: Die «Selbstbestimmungsinitiative» (SBI), über die wir am 25. November abstimmen, will den Vorrang des Verfassungsrechts vor dem Völkerrecht festschreiben. Wieso ist das Ihrer Meinung nach nötig?

Sandra Sollberger: Es geht um den Erhalt unserer bewährten direkten Demokratie. Ihr haben wir Wohlstand, Rechtssicherheit und liberale Rahmenbedingungen zu verdanken. Immer mehr wird unsere direkte Demokratie aber zurückgedrängt. Die Volksrechte werden beschnitten, Volksentscheide nicht umgesetzt, oder sie kommen gar nicht erst zur Anwendung. Das internationale Recht wird über alles gestellt, obwohl es beispielsweise einen Haupttreiber der Überregulierung und Bürokratisierung in der Schweiz darstellt.

Die Initiative will das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht klären. Was ist daran auszusetzen?

Doris Fiala: Die Initiative ist zu radikal: Sie ist rückwirkend und beinhaltet zudem eine Kündigungsverpflichtung, da wo Völkerrecht vorrangig ist gegenüber Landesrecht.

«in der realität hat die schweiz gegenüber den grossmächten die geforderten ‹muskeln› gar nicht.»Doris Fiala

Betroffen wäre beispielsweise unsere Lösung rund um die Masseneinwanderungsinitiative. Die Verlässlichkeit unseres Landes bei internationalen Geschäften und Abkommen mit unseren Vertragspartnern würde ohne Not geschwächt. Da die SVP bereits die nächste Initiative, die «Kündigungsinitiative», in der Pipeline hat, kann die Bevölkerung die Frage der Personenfreizügigkeit ohnehin separat beantworten. Die Schweiz hat bereits 1969 dem sogenannten Wiener Abkommen zugestimmt, 1989 hat die vereinte Bundesversammlung den Entscheid des Bundesrats darüber bestätigt, dass wir JA sagen zum Völkerrecht. Das wird seitens der Initianten verschwiegen.

Die Gegner der SBI lesen aus dem Urnengang eine Grundsatzfrage über die Zukunft der humanitären Schweiz heraus und sprechen von einem «Angriff auf die Demokratie». Teilen Sie diese Einschätzung?

Doris Fiala: Würden die Initianten nach einem Abstimmungssieg die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen wollen, weil ihnen z. B. ein Gerichtsurteil aus Strassburg missfällt, könnte das in der Tat bedenklich sein und der Welt ein wirklich schlechtes Signal senden. Die Schweiz ist ein kleines, wenn auch wirtschaftlich sehr potentes Land. Wir sind jedoch keine Grossmacht und deshalb auf das Völkerrecht angewiesen. Die USA oder China haben jene «Muskeln», die von uns immer wieder keck verbal eingefordert werden… Fakt ist: Die Schweiz hat in der Realität diese «Muskeln» und Kraft gegenüber Grossmächten gar nicht – das hat der Finanzplatz beispielsweise in aller Härte erfahren müssen. Das ist Realpolitik, und nicht zuletzt deshalb ist die Initative abzulehnen!

Würde umgekehrt die Demokratie gestärkt, sollte die Initiative durchkommen?

Sandra Sollberger: Auf jeden Fall. Wenn die Verfassung wieder Vorrang hat, müssen auch Volksentscheide wieder gegenüber internationalem Recht durchgesetzt werden. Dies kann immer noch auf pragmatische Weise gemacht werden. Aber es ist dann für alle Behörden wieder klar, dass unsere direktdemokratische Verfassung an oberster Stelle steht. Es gibt dann keine Ausreden und Ausflüchte mehr.

Welche völkerrechtlichen Verträge wären denn von der Initiative überhaupt betroffen?

Sandra Sollberger: Die Initiative stellt keinen Vertrag direkt in Frage. Es geht um den Grundsatz, ob Volksentscheide und das Stimmrecht der Bürgerinnen und Bürger noch etwas gelten. Es geht aber auch insbesondere darum, dass heute internationale Verträge von Gerichten und Funktionären durch Interpretation weiterentwickelt werden, über den eigentlichen Inhalt hinaus. Das fördert in der Regel die Zentralisierung, Bürokratisierung und Überregulierung. Wenn es da zu Konflikten kommt mit dem Landesrecht, soll dieses vorgehen.

Welche Auswirkungen hätten die Kündigungen welcher internationaler Verträge für die Schweiz?

Doris Fiala: Es geht vor allem um unsere Verlässlichkeit als internationale Partner und als Rechtsstaat. Wir haben beispielsweise Luftfahrtabkommen mit 183 Ländern abgeschlossen, 27 Freihandelsabkommen, 173 Investitionsschutzabkommen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ich möchte international keinen Vertrauensverlust gegenüber der Schweiz in Kauf nehmen.

Welche aussenpolitischen und aussenwirtschaftlichen Auswirkungen erwarten Sie bei einem Ja zur SBI?

Doris Fiala: Das Vertrauen in uns ist ein Grund, warum man in die Schweiz investieren will und wir als politischer Partner geschätzt und ernst genommen werden. Ich bin mir nicht sicher, in welchem Ausmass ein Ja einen wirtschaftlichen Impact hätte. Sicher würde es international nicht als Banalität gewertet.Sandra Sollberger: Ich erwarte positive Auswirkungen! Die EWR-Abstimmung hat es gezeigt. Trotz der Untergangsdrohungen hat sich die Schweiz seit dem Nein zum EWR sehr positiv entwickelt. Die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Schweiz schaffen Stabilität und Wohlstand. Wir sind ganz besonders wegen der direkten Demokratie ein attraktiver Unternehmensstandort. Die Schweiz wird als Partnerin ernst genommen, und die direkte Demokratie macht uns verlässlich und glaubwürdig in der Welt.

Was, wenn die Initiative abgelehnt wird?

Sandra Sollberger: Dann wird sich der Trend noch weiter verstärken, dass Parlament, Bundesrat und Bundesgericht missliebige Volksentscheide nicht umsetzen und dazu willkürlich internationales Recht heranziehen.

«BEI EINEm JA GIBT’S KEINE AUSFLÜCHTE MEHR: UNSERE VER­FASSUNG STEHT AN OBERSTER STELLE.» Sandra Sollberger

Die durch diese Internationalisierung ausgelöste Zentralisierung und Bürokratisierung wird in der Schweiz fortschreiten. Unsere Standortattraktivität wird tendenziell abnehmen, und die individuelle und unternehmerische Freiheit wird weiter beschnitten werden, so beispielsweise mit dem UNO-Migrationspakt oder dann mit dem politisch-institutionellen Rahmenabkommen mit der EU.

Doris Fiala: Dann bliebe unsere Rechtssicherheit wie sie heute ist, und das Vertrauen international würde zusätzlich gestärkt.

Interview: Gerhard Enggist

POSITION DES SGVNein auch zur Zersiedelungsinitiative

Gewerbekammer lehnt SBI klar ab

Die Schweizerische Gewerbekammer, das Parlament des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, empfiehlt die Selbstbestimmungsinitiative zur Ablehnung.

Gegen die Selbstbestimmungsinitiative spreche ihre «Alles oder nichts»-Ausrichtung, fand die Kammer mit grosser Mehrheit. Es sei unklar, welche völkerrechtlichen Verträge von der Initiative überhaupt betroffen seien. Ebenso unklar sei, welche Auswirkungen die Kündigungen der Verträge hätten. Zudem hielten die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen die Behörden an, sich über bestehende vertragliche Verpflichtungen hinwegzusetzen. Das widerspreche der Schweizer Rechtskultur und schwäche die Position der Schweiz im Verkehr mit anderen Staaten.

Nein auch zur Zersiedelungsinitiative

Die Nein-Parole zur Zersiedelungsinitiative erfolgte einstimmig. «Die Zersiedelungsinitiative geht zu weit und ist wenig zielgerichtet», stellte sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler fest. Sie greife in die Eigentumsfreiheit im Siedlungsbau ein, wolle vorschreiben, was «Lebensqualität» sei und fordere zudem «Stillstand und Baustopp».

www.sgv-usam.ch

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