Publiziert am: 23.04.2021

Die Meinung

Schuldzuweisung oder Chancen nutzen?

Viel wurde in den letzten Wochen und Monaten über das Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) geschrieben. Allerdings: Neues gab es nichts. Vieles blieb Spekulation. Heute, am ­Erscheinungstag dieser sgz-Ausgabe, weilt Bundespräsident Guy Parmelin in Brüssel. Spek­takuläre Rettung des InstA oder schickliche Beerdigung?

Aus wirtschaftspolitischen Überlegungen hat der Schweizerische Gewerbeverband sgv in der Vergangenheit die bilateralen Verträge mit der EU stets unterstützt und tut dies auch weiterhin. Ein gesicherter Marktzugang hat seinen Preis. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille.

Oberstes Ziel muss eine Gesamtschau und eine Abwägung zwischen den Inhalten bzw. Vorteilen des Rahmenpaketes und dem Preis der Schweiz – die Einschränkung der eigenen Souveränität – für das Entgegenkommen sein.

Und hier liegt das Übel begraben. Kaum wurde der Vertragsentwurf im Dezember 2018 publiziert, liess der damalige Swissmem-Präsident verlauten, das Abkommen sei «massgeschneidert». Recht schnell entzündete sich allerdings die Kritik an den Flankierenden Massnahmen mit Lohnschutz. Diskutiert wurde auch über die Unionsbürgerrichtlinie und die staatlichen Beihilfen. Und bereits hier setzte sich rasch die Überzeugung durch, dass diese Bestimmungen nicht mehrheitsfähig sind.

Heute stehen auch Fragen zum Souveränitätsverlust zur Disposition. Die einmalige Stellung des Europäischen Gerichtshofes EUGH, aber auch die absolute Guillotineklausel, d. h. einseitige Kündigungsmöglichkeit durch Brüssel, werden zu Recht kritisch hinterfragt. Der sgv hat schon in der Konsultation des Bundesrates auf all diese Schwachstellen hingewiesen und immer wieder betont, dass ein derartiges Abkommen nicht akzeptabel ist.

Nachdem die Ausgangslage reichlich verfahren ist, stellt sich die Frage, wie weiter? Selbstverständlich kann man auf stur schalten, das ­InstA durchs Parlament zwängen und zu einer Volksabstimmung bringen. Das Risiko des Scheiterns kann jedoch niemand wegdiskutieren. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust und Lohnein­bussen kann ohne weiteres zu einem Nein führen. Damit stünde die Schweiz vor einem Scherbenhaufen. Deshalb tut die Landesregierung wohl gut daran, die Gespräche über das vorliegende InstA zunächst einzufrieren. Andere Anknüpfungspunkte gibt es zur Genüge. Zu denken ist da zunächst an die Kohäsionsmilliarde, die mangels Gewährung der Börsenäquivalenz nicht ausbezahlt wurde. Nachdem die Schweiz hier eine intelligente Gegenstrategie entwickelt hat und angesichts des Brexits mit dem Finanzplatz London, kann die Kohäsionszahlung wieder anderweitig ins Spiel gebracht werden.

Auch im Bereich der Flankierenden Massnahmen gibt es ohne weiteres Spielraum. So könnte die Anmeldefrist bei Arbeitseinsätzen – ein Hauptärgernis für die EU – mit digitalen Abläufen von acht auf vier Tage gesenkt werden. Der Lohnschutz auf heutigem Niveau wäre ­damit problemlos gesichert. Zu denken ist aber auch an Trümpfe wie das Landverkehrsabkommen, das in erster Linie im Interesse der EU liegt. Ebenso ist eine Erneuerung des Freihandelsabkommens zu diskutieren. Eine allfällige Anpassung ist in beiderseitigem Interesse. Ohne InstA-Abschluss bestünde zudem der zusätzliche Vorteil, dass keine Streitschlichtung via EUGH vorzusehen wäre.

Wichtiger als Schuldzuweisungen an den Bundesrat ist heute die Klärung unserer Optionen. Und die gibt es. Es gilt, sie gezielt zu nutzen.

Meist Gelesen