Publiziert am: 21.11.2014

«Schweizer Arbeitsmarkt ist bereit»

ALTERSREFORM 2020 – Bundesrat Bersets einzig auf Mehreinnahmen ausgerichtete Altersreform 2020 ist politisch chancenlos. Eine stufenweise Erhöhung des Rentenalters, wie sie der Gewerbeverband fordert, zeigt einen Weg aus der Sackgasse auf.

Nach Einschätzung des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv ist der Arbeitsmarkt für eine stufenweise Erhöhung des Rentenalters bereit. Wie Zahlen des Bundes und der OECD zeigten, seien ältere Arbeitnehmende bereits heute gut im Erwerbsprozess integriert, erklärte die sgv-Spitze diese Woche vor den Medien in Bern. Die Attraktivität der älteren Arbeitnehmenden nehme mit dem Fachkräftemangel und der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative weiter zu. «Für die politisch chancenlose und einzig auf Mehreinnahmen ausgerichtete Altersreform 2020 eröffnen diese ­Erkenntnisse einen Weg aus der Sackgasse», sagte sgv-Präsident Jean-François Rime.

«Halbe NEAT – Jahr für Jahr»

Bundesrat Berset möchte die Altersvorsorge praktisch ausschliesslich über Mehreinnahmen sanieren. 6,5 Milliarden Franken Mehrkosten fallen direkt an. Diese steigen wenig später bis auf über 11 Milliarden an. «Der volkswirtschaftliche Schaden des Reformpakets Berset wäre viel zu gross. Die Vorlage würde uns mindestens ein halbes Prozent BIP-Wachstum und Zehntausende von Arbeitsplätzen kosten. In dieser Form ist die Revision politisch chancenlos», sagte Rime.

Um diesen Betrag einordnen zu können, griff Rime zu einem Vergleich. Die Gesamtkosten des Jahrhundertprojekts NEAT werden sich bis zum Schluss auf gut 20 Milliarden Franken belaufen. «Die Altersvorsorge 2020 würde uns somit rund eine halbe NEAT kosten, und das Jahr für Jahr.»

«DIE WIRTSCHAFT BRAUCHT DIE ÄLTEREN ARBEITNEHMENDEN.»

Für den sgv steht bei der Altersreform 2020 deshalb die schrittweise Erhöhung des Rentenalters im Zentrum. Neue Erkenntnisse, die auch von der OECD gestützt werden, zeigen: Der Arbeitsmarkt ist für eine Erhöhung des Rentenalters bereit und kann die älteren Mitarbeitenden bereits heute gut aufnehmen.

Die Ă„lteren sind gut integriert

Entgegen den Vorstellungen vieler sind die älteren Arbeitnehmenden heute sehr gut im Erwerbsprozess integriert. Sowohl die Arbeitslosen- als auch die Erwerbslosenquote liegt bei den älteren Jahrgängen signifikant unter jenen der Jüngeren. Eine Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen hat gezeigt, dass die Betriebe einer Erhöhung des Rentenalters mehrheitlich positiv gegenüberstehen. So haben 36 Prozent der Betriebe in den letzten drei Jahren denn auch Mitarbeitende eingestellt, die älter als 58 Jahre waren. Dies entgegen der landläufigen Meinung, dass solche Leute gar keine Chancen mehr hätten, eine neue Arbeitsstelle zu finden.

Auch bei der Erhöhung des Frauenrentenalters habe die Wirtschaft eindrücklich bewiesen, dass sie ohne grosse Nebenerscheinungen in der Lage sei, die Arbeitnehmenden länger zu beschäftigen. sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler ist deshalb überzeugt: «Die Wirtschaft braucht die älteren Arbeitnehmenden und setzt auf sie. Auch zur Bekämpfung des Fachkräftemangels kommen wir nicht um eine Erhöhung des Rentenalters herum.»

Kein Massenphänomen

Bei den älteren Arbeitnehmenden, die keine Stelle mehr finden, handelt es sich nach Ansicht des sgv nicht um ein Massenphänomen, sondern eher um Schicksale der einzelnen Betroffenen. Diese gelte es ernst zu nehmen. Der sgv tritt deshalb dafür ein, dass die stufenweise Erhöhung des Rentenalters von flankierenden Massnahmen begleitet wird. Verbesserungen seien primär notwendig bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung, im Bereich der Gesundheitsprävention, beim «Abbau von Denkbarrieren» und im Bereich der Lohnpolitik. «Der sgv ist bereit, solche flankierenden Massnahmen mitzutragen und sich bei deren Umsetzung einzubringen», stellte der Gewerbedirektor klar.

Ein sgv-Positionspapier zur Frage des Renten­alters sowie ein Faktenblatt zum Thema
«Ältere Arbeitnehmende» finden Sie unter

POSITION DES SGV

AHV nachhaltig stabilisieren

Die AHV droht schon bald in die roten Zahlen abzurutschen. Werden nicht unverzüglich wirksame Sanierungsmassnahmen eingeleitet, muss befürchtet werden, dass der heute noch recht hohe Kapitalstock rasch erodiert. Der sgv verlangt deshalb, dass dringend Massnahmen eingeleitet werden, die ­sicherstellen, dass die AHV-Finanzen nachhaltig ­stabilisiert werden. Dabei nimmt er u.a. folgende ­Positionen ein:

nKeine Zusatzfinanzierung: Der sgv verlangt bei den Sozialversicherungen einen Paradigmenwechsel. Die Leistungen sind den vorhandenen ­finanziellen Mitteln anzupassen und nicht mehr umgekehrt. Dies muss auch für die AHV gelten. Der sgv lehnt deshalb Zusatzfinanzierungen zugunsten der AHV entschieden ab. Er verlangt stattdessen, dass die AHV-Finanzen über eine ­variable Adaptierung des Rentenalters ins Lot ­gebracht werden.

nVariables Rentenalter: Einschneidende Leistungskürzungen sind bei der AHV weder angebracht noch politisch realisierbar. Aus Sicht des sgv gilt es den Finanzhaushalt der AHV zu stabilisieren, indem das Rentenalter künftig in regelmässigen Abständen variabel angepasst wird. Massgebend für die jeweilige Anpassung wäre der Deckungsgrad des AHV-Fonds. Dabei soll sichergestellt sein, dass sich der Deckungsgrad des AHV-Fonds kontinuierlich in einer Bandbreite von 70 bis 80 Prozent der aktuellen Jahresausgaben der AHV bewegt.

nIn Monatsschritten: Droht eine Verschlechterung der AHV-Finanzen, ist das Rentenalter beider Geschlechter anzuheben. Dies aber nicht mehr in ganzen Jahren, sondern in Jahren und Monaten. Die Anpassungen sind mit einer ausreichend langen Vorlaufzeit von idealerweise zwei Jahren zu beschliessen.

nGeschlechtsneutrales Rentenalter: Ein tieferes Rentenalter für Frauen ist nicht mehr zeitgemäss und widerspricht diametral der Tatsache, dass die Lebenserwartung der Frauen um einige Jahre über jener der Männer liegt. Der sgv ­verlangt deshalb die schrittweise Anpassung des Frauenrentenalters an jenes der Männer.

WICHTIGE ERKENNTNISSE

Ă„ltere haben realistische Chancen

In Zusammenhang mit der Forderung des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv nach längst fälligen Korrekturen beim Rentenalter wird immer wieder behauptet, ältere Arbeitnehmende hätten gar keine realistischen Chancen, länger im Erwerbsprozess zu verbleiben. Derartige Behauptungen sind nachweislich falsch. Die wichtigsten Erkenntnisse lassen sich wie folgt zuusammenfassen:

n Ă„ltere Arbeitnehmende haben ein tiefes Arbeitslosigkeitsrisiko;

n Ă„ltere Arbeitnehmende haben ein tiefes Erwerbslosigkeitsrisiko;

n Ab Mitte des Erwerbslebens sinkt die Erwerbsquote, bleibt aber bis zum 
Schluss auf einem hohen Niveau;

n Der höhere Anteil der älteren Arbeitnehmenden bei den Langzeitarbeitslosen ist primär auf die doppelt so lange Taggeldbezugsdauer zurückzuführen;

n Die vergleichsweise tiefe Ein­stellungsrate bei älteren Arbeit­nehmenden ist eine Folge der 
geringen Mobilität und der hohen Erwerbsquote;

n Ă„ltere Arbeitnehmende sind kaum auf Sozialhilfe angewiesen;

n Das tatsächliche Rücktrittsalter 
liegt nahe beim ordentlichen ­Rentenalter;

n Die Bereitschaft der Betriebe, ältere 
Mitarbeitende einzustellen, ist hoch;

n Die Unternehmer haben mehrheitlich eine positive Einstellung zu 
einer längeren Beschäftigung;

n Bei der Erhöhung des Frauen­rentenalters hat die Wirtschaft 
bewiesen, dass sie willens und in der Lage ist, die benötigten ­Arbeitsplätze anzubieten;

n In der Schweiz ist mehr als genug Arbeit vorhanden, um ältere Arbeitnehmende länger zu beschäftigen;

n Ältere Arbeitnehmende haben ­primär dann Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie Mehrfachdefizite aufweisen.

ARBEITSLOSE ÜBER 50

Das Alter alleine ist nicht das Problem

In einer Studie mit dem Titel «Arbeitslose über 50» vom Oktober 2013 beleuchtet das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich die Arbeitsmarktchancen der älteren Arbeitnehmenden untersucht. Einer der Hauptaussagen: Bei der Arbeitsstellensuche stellt das Alter alleine kein Problem dar, Mehrfachdefizite hingegen schon. Als wichtige Defizite erwähnt werden:

nGesundheitliche Probleme 
(physische und vor allem auch psychische);

nQualifikationen, welche einseitig oder nicht mehr aktuell sind 
(mangelnde Grundausbildung und fehlende oder ungenügende Weiterbildung);

nSesselkleber: ein langes Verharren 
in der gleichen Funktion im gleichen 
Betrieb ohne Weiterbildung kann insbesondere bei strukturellen Veränderungen zur Folge haben, dass die entsprechenden Qualifikationen 
nicht mehr nachgefragt werden;

nJob Hopper: fehlende Linie im 
beruflichen Werdegang, häufige 
Stellenwechsel, häufige Branchenwechsel und längere Erwerbs­unterbrüche lassen potentielle Arbeitgeber daran zweifeln, dass die betreffende Arbeitskraft an einem ausreichend langen Engagement interessiert bzw. befähigt ist;

nMangelnde Offenheit im Umgang mit jüngeren Generationen und mangelnde Teamfähigkeit;

nVerfehlungen in der Vergangenheit (Delikte, einem frĂĽheren Arbeitgeber zugefĂĽgter Schaden etc.);

nMangelndeSozialkompetenz

nFehlendeFlexibilität (in räum­licher und beruflicher Hinsicht);

n persönliche Krisen (Probleme in der Familie, Scheidungen und Schicksalsschläge);

n mangelnde Motivation;

nunrealistische Ansprüche 
(Gehalt, Arbeitsbedingungen, 
Arbeitszeiten etc.).

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