Publiziert am: 23.11.2018

Serviceeinsatz im Jade-Palast in Walenstadt

Wie das wohl laufen wird, frage ich mich auf meinem Weg in die Ostschweiz und schmunzle unweigerlich beim Gedanken, dass ich für ein Wochenende in einem chinesischen Restaurant im Service arbeiten werde (vgl. Seite 1); nicht wirklich als Fachkraft, ohne diesbezügliche Ausbildung, gewappnet mit lediglich bald 30-jähriger Erfahrung in Küche und Service zu Hause bei Mann und vier Kindern…

Während in Luzern Hochnebel herrscht, begrüsst mich die strahlende Sonne in Walenstadt – schon mal ein gutes Zeichen. Mit meinem «Chef» René Tobler bin ich um 12.30 Uhr verabredet. Zum Auftakt darf ich die asiatische Küche geniessen. Das Mittagessen mit seiner chinesischen Frau Isabelle, der kleinen Tochter Nicole, der Service­angestellten Rita und ihm schmeckt vorzüglich. Die Atmosphäre ist unkompliziert und herzlich. Ich werde in die Geheimnisse des Betriebs eingeweiht, Abläufe und Gerichte werden mir erklärt. Chili ist nicht einfach Chili: Unterschieden wird zwischen «nicht scharf», «Schweizer-scharf» und «Chinesen-scharf». Selbstverständlich esse ich nicht mit Gabel und Messer, sondern versuche mich mit chinesischen Stäbchen, was den Vorteil hat, dass ich das leckere Essen nicht einfach in Windeseile verschlinge, sondern fast schon Reiskorn um Reiskorn langsam und konzentriert verspeise. Damit ich wenigstens einen Hauch Asien verströme, werde ich kurzerhand in ein chinesisches Kleid gesteckt. Mein Anblick entlockt meinem Mann und den Kindern ein Lächeln, als ich sie bald schon zu unseren Gästen zählen darf. Warum nur? Das Outfit trägt klar zur Corporate Identity bei.

Am frühen Abend geht’s dann richtig los. Die Gäste trudeln ein. Es kostet doch ein bisschen Überwindung, mich an den ersten Tisch zu wagen und die Bestellung aufzunehmen. Wenn es dann um spezifische Esstipps geht, gebe ich nach einer anfänglichen, kurzen Ratlosigkeit meine Empfehlung für das pfannengerührte Rind oder das Sweet-and-sour-Chicken ab. Ich serviere Getränke, öffne Weinflaschen, vergesse, die Schälchen mit der süss-sauren Sauce auf den Tisch zu stellen, räume ab, decke wieder auf und entsorge PET- und Altglasflaschen. Ich hole das Essen aus dem Lift, frage nach, ob’s noch etwas sein darf, fülle und leere den Geschirrspüler, trockne und verräume Gläser, tippe die Bestellung ein, um alsbald einzukassieren, und bin bemüht, die Gäste bei bester Laune zu halten. Uff. Wir alle stehen pausenlos im Einsatz.

Als kurz nach 23 Uhr der letzte Gast das Restaurant verlassen hat, wird geputzt. Ich bediene den Staubsauger, Rita wischt anschliessend den Boden feucht auf. Noch selten haben mich saubere Toiletten so beglückt. Sie wurden nämlich bereits vom Küchenpersonal gereinigt und bleiben uns erspart. Ich merke, dass ich müde bin, essen mag ich nicht mehr. Kurz vor Mitternacht sinke ich in die Kissen und schlafe augenblicklich ein. Der Sonntag entpuppt sich in dem Sinne als Feiertag, als das Restaurant am Mittag ziemlich und am Abend sehr voll ist. Dies freut uns alle, vor allem aber meinen Chef René, der jeden Monat Löhne, AHV, Pensionskassen und was sonst noch alles anfällt, zu bezahlen hat.

Mein Fazit? Es wurde mir mal wieder schlagartig bewusst, wie viel, lange und hart in der Gastronomie gearbeitet wird. René und Isabelle ziehen am selben Strick, das hilft zwar. Ihr Familienleben kommt dabei aber häufig zu kurz. Ob und wie viele Gäste jeweils vorbeikommen, ist schwierig vorauszusehen. Personal zu finden, welches unregelmässige und abendliche Arbeitszeiten in Kauf nimmt, wird immer mühsamer. Sie und ihr Team leisten ungeheuer viel – ohne staatliche Unterstützung, wie in anderen Branchen üblich. Nicht dass ich eine solche jetzt fordern würde, aber erwähnt sein soll es trotzdem. Zudem erfährt die Arbeit einer Serviceangestellten viel zu wenig Prestige. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, erfordert Geduld, Freundlichkeit, Ausdauer, Geschicklichkeit, rechnerische Fähigkeiten; reich wird man dabei nicht wirklich. Für mich war es in jeder Hinsicht ein lehrreiches Wochenende. Höchsten Respekt zolle ich dieser Branche. Künftig werde ich mich wieder vermehrt bemühen, als Gast Nachsicht walten zu lassen, mich in Geduld zu üben und daran zurückzudenken, wie sehr auch Trinkgeld geschätzt wird!

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*Die Luzerner CVP-Nationalrätin Andrea Gmür-Schönenberger ist u. a. Mitglied der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats.

www.andrea-gmuer.ch

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