Publiziert am: 09.04.2021

Souveränität hat ihren Preis. Ihr Verlust einen höheren.

In den letzten Jahren machte ich es mir zur Gewohnheit, Begegnungen mit Botschafterinnen und Botschaftern ausländischer, insbesondere europäischer Staaten mit folgendem Statement zu eröffnen: «Die Schweiz hat gute und geregelte Beziehungen zur EU. Das Volk hat den Beitritt zur EU abgelehnt, wie den Beitritt zum EWR. Ebenso hat das Volk mehrfach die Abkehr von oder Schwächung der Bilateralen Verträge mit der EU abgelehnt. Es gibt keinen Mitgliedstaat der EU, dessen ­Bevölkerung und Regierung sich auch nur annähernd so häufig für stabile, verlässliche und konstruktive Beziehungen zur EU ausgesprochen hat wie das Nicht-EU-­Mitglied Schweiz. Mit der EU vereinbarte Regeln gelten in der Schweiz. Manche davon mehr und verlässlicher als in manchen EU-Mitgliedstaaten. In diesem Sinne ist die Schweiz ‹europäisch› wie alle, und ein verlässlicher Partner, wie die meisten europäischen Länder. Sie ist in diesem Sinne aber auch ‹exotisch›, weil sie einen sehr eigenen Weg geht. Die Schweiz hat aber so ihre Souveränität bestimmt. Andere Länder haben anders entschieden. Sie sind ebenso souverän in ihren Entscheiden wie die Schweiz. Wir tun gut daran, andere Länder mit einem ­anderen Weg nicht zu kritisieren. Genauso wie wir erwarten dürfen, dass wir für unseren Weg nicht kritisiert werden sollen.»

Ich machte damit meistens gute Erfahrungen, was die konstruktive Fortsetzung der Gespräche anging. Manchen europäischen Diplomaten sind diese Fakten nicht bewusst, oder sie wollen sie nicht sehen. Denn der Sonderweg der Schweiz wäre dann einer, der stärker legimitiert ist, als die EU das möchte. Und er ist keineswegs egoistisch Rosinen pickend, wie er dargestellt wird. Auch im Inland.

Davon ausgehend beurteile ich auch das Rahmenabkommen. Dessen Grundidee ist richtig: den bilateralen Verträgen einen institutionellen Rahmen zu geben, der die Weiterentwicklung sichert und entscheidet, wie man mögliche Konflikte und Meinungsverschiedenheiten regelt, ohne gleich ganze Abkommen in Frage zu stellen.

Die entscheidende politische Frage lautet: Was ist der Preis für die Zustimmung zum ausgehandelten vorliegenden Abkommen? Was ist der Preis für die Ablehnung? Beim Wissensstand, den ich zum Zeitpunkt habe, an dem ich diese Zeilen schreibe, komme ich zum Schluss: Das Rahmenabkommen kostet einen zu hohen Preis, was die Souveränität der Schweiz angeht. Wir würden sie weitgehend in entscheidenden Fragen an den Europäischen Gerichtshof verlieren. Die Ablehnung des Rahmenabkommens ist selbstverständlich aber auch nicht umsonst zu haben. Es bleiben viele ungeklärte Fragen offen. Teile der Bilateralen Verträge erfüllen immer weniger gut wichtige Bedingungen für unsere Wirtschaft, unsere Wissenschaft, um in der EU wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch die Ablehnung wird ihren Preis haben. Er scheint mir aber weniger hoch zu sein als die Zustimmung.

Bei den langjährigen Verhandlungen um das Rahmenabkommen, schon bei der Festlegung des Verhandlungsmandats, wurden viele Fehler gemacht. Mehr auf Seiten der Schweiz als auf Seiten der EU. Nicht von einer bestimmten Person, einem Bundesrat, sondern von vielen. Nicht grosse, aber viele kleine. Das nicht anzuerkennen, wäre aber der letzte grösste Fehler, den wir hoffentlich nicht machen. Sondern wir sollten anerkennen, dass das Verhandlungsergebnis nicht dem entspricht, was wir ursprünglich wollten. Dass die Souveränität ihren Preis hat. Sie aber mit einer Zustimmung zum Abkommen aufzugeben, einen höheren.

Der ehemalige deutsche Botschafter Otto Lampe beschrieb in seinem höchst lesenswerten und unterhaltsamen Buch «Diplomaten(s)pass» die Schweiz als den «exotischsten Auslandposten» in seiner langen Karriere. Er meinte es als Kompliment. In den Gesprächen mit ihm verzichtete ich jeweils auf meine gewohnten Einleitungssätze. Sie waren nicht nötig. Mit seinen Nachfolgern, in verschiedenen Botschaften, bleiben sie es, gerade jetzt.

*Der Zuger Gerhard Pfister ist Präsident Die Mitte Schweiz.

www.die-mitte.ch

www.gpfister.ch

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