Publiziert am: 14.08.2015

«Strukturerhaltung statt Innovation»

ANDRÉ R. MISEREZ – Weiterbildung bei Nobelpreisträgern in der Schweiz nicht ­anerkannt. Für Gentechnik-Pionier und seine Firma werden die Bedingungen in der Schweiz immer schwieriger.

Schweizerische Gewerbezeitung: Was ist aus Ihrer Sicht falsch am seit 2007 geltenden Schweizer Gentechnik-Gesetz?

n André Miserez: Das Problem ist nicht das Gesetz an sich. Allenfalls müsste man die Gesetzgebung als etwas naiv bezeichnen. Nachdem die Gentechnik durch den Nationalfonds mit Beiträgen in zweistelliger Millionenhöhe unterstützt worden war, machte der Gesetzgeber 2007 urplötzlich eine Kehrtwende und würgte die jahrelang geförderte Forschung wieder ab. Dieser Rückwärtssalto war weder im Sinn der Patienten noch der Steuerzahler.

Ihre Kritik gilt demnach der ­Umsetzung?

n Genau. In der Umsetzung der Verordnung zum Gentech-Gesetz riss die Verwaltung, konkret: das BAG und seine externen Experten, die Macht an sich. Das Gesetz wurde pervertiert, indem sich das BAG von Stimmungen treiben und von handfesten Eigeninteressen dieser Experten instrumentalisieren liess. Die Juristen, die das Gesetz anwenden sollten, waren und sind auf fachlicher Ebene offenbar überfordert und zudem durch Interessenvertreter, die gleichzeitig als Experten zugezogen werden, schlecht beraten. Das Resultat war eine Umsetzung, die statt Innovation die Strukturerhaltung zum Ziel hatte und die darauf ausgelegt war, neue Marktteilnehmer zugunsten der Etablierten zu benachteiligen.

Was bedeutet dies für die Zukunft der Branche?

n In der Schweiz gibt es kaum mehr Fachleute, welche sich mit Erkrankungen der Erwachsenengenetik, so z.B. mit der familiären Hypercholesterinämie auskennen und Einblick in die komplizierten Zusammenhänge in diesem Bereich der Gentechnik haben. Durch die Weigerung des BAG, ausländische Fachexperten beizuziehen und sich von diesen objektiv über die Vor- und Nachteile einer Methode beraten zu lassen, entstehen letztlich krasse Wettbewerbsverzerrungen, die im Gesetz sicher nicht gewollt waren. Gerade der Fachbereich Genetik ist ein riesiges Gebiet, das sich extrem schnell weiterentwickelt. Der heute grössere Teil der Genetik ist seit der Einführung des Gengesetzes wieder auf den Stand der 1980er-Jahre zurückgefallen; die Erwachsenengenetik gibt es faktisch nicht mehr – ein enormer Verlust...

...mit welchen Folgen für die Patienten?

n Die vom Bundesrat einberufene ­Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMEK) hat ihre machtpolitischen Möglichkeiten zur Ausgrenzung von zu dieser Zeit erfolgreichen anderen Fachgruppen und Fachgebieten ausgiebig ausgelebt und ihr Monopol auf praktisch allen Ebenen gesichert. Auf der Strecke geblieben sind grosse Teile der neueren Teilgebiete der Genetik und damit auch die Bedürfnisse und Hoffnungen eines erheblichen Teils der Bevölkerung, die von Störungen betroffen sind, die nicht in das primäre Interessensgebiet der Experten der GUMEK fallen. Für mich ist es schlicht unethisch, die Entwicklung in der Gentechnik quasi einzufrieren, den Ärzten die heute aktuellen Werkzeuge aus der Hand zu nehmen und dadurch die Patienten im Stich zu lassen.

Was bedeutet diese Entwicklung für den Standort Schweiz?

n Viele meiner Mitstreiter sind schon vor Jahren ausgewandert. Ich selber hatte lange gehofft, dass die ersehnte Wende nun endlich doch noch kommen würde. Leider ist sie nach wie vor nicht in Sicht. In vielen Bereichen der etwas innovativeren Medizin sind wir deshalb in der Schweiz bereits zurückgefallen.

Der Blick über die Grenze zeigt, dass es auch anders gehen kann. Saudi­arabien etwa hat die Chancen der Gentechnik erkannt, gründet entsprechende Institute und kauft know-how in grossem Stil ein. Auch ich selber wurde bereits mehrfach angefragt. Noch bremsen die hiesigen hohen Löhne diesen Braindrain. Wie lange noch, bleibt abzuwarten.

Wie geht es nun weiter mit Ihrem Labor?

n Ich müsste im Ausland eine Fachperson mit einem vom BAG noch zu anerkennenden Weiterbildungstitel anstellen, um hier in Reinach weitermachen zu können. Dies würde zur absurden Situation führen, dass ich die Arbeit gleichwohl machen müsste (meine Tätigkeit ist im Weiterbildungsgang in der Schweiz so nicht vorgesehen), die der Titelträger (in der Mehrheit ohne ärztliche Ausbildung) dann unterschreiben müsste.

Mit Gewerbefreiheit hat das nichts mehr zu tun...

n Wenn Reglemente derart eng gefasst werden, dass wichtige Player und Fachgebiete ausgegrenzt werden, dann nein. Ein solches Vorgehen ist fortschritts- und wissenschaftsfeindlich und führt letztlich zu einer Staatsmedizin mit Minderversorgung grösserer Patientengruppen. Wird zu viel reguliert, werden die Umstände immer widriger, so stirbt am Ende die Motivation, sich für Neues ein­zu­setzen. Dafür bezahlen müssen in diesem Fall die Patienten. Und das schmerzt mich als Arzt am meisten.

 

Interview: En

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