Publiziert am: 04.06.2021

There’s no free lunch

Genau 320 Gramm bringt das Abstimmungscouvert für den 13. Juni auf die Waage – etwa gleich viel wie ein grosszügiges Cordon bleu. Reichhaltig gefüllt mit gewichtigen Vorlagen – und schwerwiegender Tragweite. Mit besonderer Spannung wird das Ergebnis zum CO2-Gesetz erwartet, das derzeit um die Fünfzig-fünfzig-Schwelle herumtorkelt. Gerade Gewerbetreibende sind sich sehr unschlüssig, was sie vom Gesetz halten sollen. Oder besser gesagt: wie sie den grösseren Schaden abwenden – mit einem Ja oder einem Nein. Da der Schweizerische Gewerbeverband Stimmfreigabe beschlossen hat, nutze ich das Vakuum für eine persönliche Abstimmungsempfehlung. Mein Plädoyer handelt von einem Gratis-Lunch, der teuer zu stehen kommt.

Das CO2-Gesetz ist entgegen allen Unkenrufen ein liberales Gesetz. Es beinhaltet kein einziges Verbot, sondern nur Lenkungsmassnahmen. Es baut auf dem Gedanken auf, dass Abgaben grundsätzlich verursachergerecht erhoben werden sollen. In der Abfallwirtschaft hat sich dieser Grundsatz längst durchgesetzt: Jeder bezahlt für seinen eigenen Abfall, denn es wäre ungerecht, den Müll und die Sorglosigkeit Dritter berappen zu müssen. Und weil die Sammlung, die Beseitigung, Entsorgung und Verbrennung von Müll ziemlich teuer sind, suchen wir nach Mechanismen, ihn möglichst zu vermeiden. Dieses Prinzip ist so einfach wie einleuchtend und deshalb breit akzeptiert. Niemand mehr wünscht sich Mülldeponien zurück – schon gar nicht vor seiner eigenen Haustüre.

Aus wundersamen Gründen mag sich diese Erkenntnis in Bezug auf das Klima nicht so richtig durchzusetzen. Zwar wird der Klimawandel anerkannt, und auch der Handlungsbedarf ist bekannt. Aber wenn es darum geht, dass jeder für seinen eigenen CO2-Ausstoss mit Geld zahlen soll, wird mit waghalsigen Berechnungen die Verarmung des gesamten Mittelstands prophezeit. Argumentiert wird, dass eine vierköpfige Familie, die ihre Sportferien gerne in Dubai verbringt (die Berge sind nicht mehr schneesicher!), sich zwar den Flug, den Transfer, das Hotel und das Restaurant, nicht aber die Flugticketabgabe leisten kann.

Im Gegensatz zur Mülldeponie liegt der Klimawandel nicht vor unserer Türe, ist unsichtbar und stinkt nicht. Der Leidensdruck ist weniger hoch, einen geldwerten Tribut zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Aber wer glaubt, dass der Klimawandel dadurch nichts kosten muss oder sich von seiner gerechten Abgabe drücken kann, verlagert die Kosten auf unsere Kinder. Wenn jemand einen Gratis-Lunch verspricht, sollte man misstrauisch werden. Meistens kommt die Rechnung später – gesalzen und gepfeffert. Der angelsächsische Ausdruck «There’s no free lunch» kommt nicht etwa aus der Gastronomie, sondern aus der Ökonomie und warnt davor, sich auf Deals einzulassen, die vermeintlich kostenlos sind. In irgendeiner Weise wird man immer zur Kasse gebeten.

Kostenwahrheit ist ein Grundprinzip des wirtschaftlichen Denkens. Wer Drittkosten, in diesem Fall die Kosten des Klimawandels, nicht berücksichtigt oder einberechnet, wälzt sie letztlich auf andere ab. Nie ist irgendetwas gratis. Da hilft es auch nicht, wenn wir darauf warten, dass «die anderen» zuerst etwas tun sollen. Mit den anderen ist natürlich das Ausland gemeint, insbesondere die grossen Weltwirtschaften mit hohem CO2-Ausstoss. Natürlich müssen diese auch ihre Ziele umsetzen, aber das entbindet uns nicht von eigenen Massnahmen.

Wer profitiert wirklich?

Wichtig ist auch festzuhalten, wer derzeit von unserer Renitenz profitiert: es sind die Staaten, die uns fossile Energien verkaufen. Acht Milliarden Franken fliessen jedes Jahr aus der Schweiz für den Kauf von Öl, Benzin und Erdgas in diese Staaten. Nochmals fürs Protokoll: Dieselben Akteure, die behaupten, das CO2-Gesetz ziehe dem Mittelstand jährlich hunderte Franken aus der Tasche, ziehen selbst Jahr für Jahr acht Milliarden Franken aus der Schweiz ab. Und geben uns gleichzeitig vor, wir seien zum Gratis-Lunch eingeladen.

Als Wirtschaftspolitikerin ist die Unterstützung der CO2-Vorlage für mich eine rationale, keine emotionale Entscheidung. Ich möchte, dass diese acht Milliarden in der Schweiz bleiben und der Schweizer Wirtschaft und dem Schweizer Gewerbe zukommen. Das CO2-Gesetz bildet die Grundlage dafür, schafft Kostenwahrheit und letztlich einheimische Arbeitsplätze.

* Die Zürcher GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche ist Geschäftsführerin von Swico, dem Wirtschaftsverband der ICT- und Onlinebranche.

www.judithbellaiche.ch

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