Publiziert am: 09.02.2018

Viel ungenutztes Potenzial

berufslehre – Weibliche Talente haben es in der Lehre schwer. Auch das Geschlecht der Berufsbildner wirkt sich auf die Beurteilungen aus. Zudem sind junge Frauen häufiger stressbelastet.

Junge Frauen haben es schwer in der Lehre. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Margrit Stamm, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Uni Fribourg, unter Mithilfe von Michael Niederhauser. 
Sogar bei überdurchschnittlich Talentierten sei ein deutlicher Unterschied gegenüber ihren männlichen Kollegen auszumachen. Aber nicht nur das Geschlecht der Lehrlinge allein ist bei der Bewertung entscheidend. Die Studienautoren stellten fest: «Auch das Geschlecht der Berufsbildenden spielt eine Rolle.»

Ausserdem stellen sich Frauen mit negativ geprägten Erklärungsmustern selber ins Abseits. So erklären sie persönliche Erfolge eher mit Zufällen, Misserfolge jedoch schreiben sie ihren mangelnden Fähigkeiten zu. Diese Tendenz sei bei Frauen auch später in der Berufswelt noch zu 
beobachten.

Junge Frauen können Potenzial nicht ausschöpfen

Untersucht wurden die Leistungsentwicklungen von durchschnittlich 
talentierten Männer- und Frauengruppen sowie von überdurchschnittlich talentierten Gruppen, ebenfalls unterschieden nach Geschlecht.

Im Leistungsvergleich klaffen Geschlecht und Begabung deutlich 
auseinander. Bei gleichem Talent verzeichneten die Lehrlinge einen deutlich besseren Leistungsverlauf als ihre Kolleginnen. Trotz gleichem Potenzial konnten die Frauen ihre Wachstumsressourcen also nicht ausschöpfen. Sogar in Berufsfeldern, die weiblich dominiert sind wie die 
Gesundheitsbranche oder in Sozialberufen, wurden Frauen ungünstiger beurteilt.

Weshalb Frauen und Männer mit gleichen Fähigkeiten ihre Wachstumsressourcen nicht gleich ausschöpfen können, lasse sich aufgrund der 
erhobenen Daten nicht erklären, schreiben die Studienautoren. «Die kognitiven Faktoren haben in unseren Ergebnissen nicht die Bedeutung bekommen, die man eigentlich erwartet hätte.» Stattdessen hätten sich die Leistungskurven von durchschnittlich und überdurchschnittlich talentierten Lernenden bei beiden Geschlechtern während der Ausbildung angeglichen. Eine mögliche 
Erklärung sei in der Rolle der Berufsbildner zu finden.

Junge Männer von Berufsbild­nerinnen milder beurteilt

Lehrmeister beurteilen ihre Auszubildenden strenger als Berufsbildnerinnen. Margrit Stamm hält deshalb fest: «Auch das Geschlecht der Berufsbildenden macht einen Unterschied.» Eine Beurteilung durch 
Berufsbildnerinnen ist für junge Männer von Vorteil, wohingegen Beurteilungen von jungen Frauen durch 
Berufsbildner nachteilig ausfallen. Margrit Stamm und Michael Nieder­hauser fordern deshalb, dass das Geschlecht der Berufsbildenden in den weiterführenden Diskussionen «viel stärker» einbezogen werden müsse.

Frauen beurteilen ihre guten 
Leistungen häufiger als Zufall

Frauen schreiben Misserfolge oft auf ihre mangelnde Begabung zurück. Dies sei auch im späteren Berufsleben noch so. Mit diesem Erklärungsmuster hätten Frauen auch schlechtere Karten bei der Selbstpräsentation in Beruf und Karriere. Männern hingegen falle es leichter, andere, auch äussere, Umstände für Misserfolge verantwortlich zu machen. Bei Erfolgen verhält es sich genau umgekehrt. Während Männer sich selbstbewusster auf ihre Fähigkeiten stützen, führen Frauen Arbeits- und Berufserfolg viel eher auf Zufall oder leichte Aufgabenstellungen zurück, kaum aber auf ihre Begabung.

Diese und weitere Faktoren führen zu einer erhöhten Stressbelastung bei Frauen. Sie zweifeln öfter an sich und trauen sich weniger zu. Umgekehrt neigen Männer eher dazu, sich zu überschätzen.

Ausschliessen lassen sich die unterschiedlichen Leistungsentwicklungen durch fehlende Motivation. Der berufliche Erfolg sei von beiden Geschlechtern gleich hoch angegeben worden.

Talentförderung ausbauen

Gemäss Margrit Stamm ist es unbestreitbar, dass die Förderung der 
Humanressourcen in der Berufslehre ausbaufähig sei. Sie fordert deshalb einen Masterplan zur Förderung von talentierten Frauen in der Berufs­lehre. uhl

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