Publiziert am: 18.11.2022

Viele Probleme – eine Lösung

CHINA – Wie herrscht man allein, wenn die Wirtschaft stockt? Indem man auf Sicherheit fokussiert und ihr alles unterordnet. Insbesondere den ökonomischen Erfolg. So geschieht das derzeit im «Reich der Mitte».

Der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas KPC fand im Oktober 2022 satt. Diesmal besonders bedeutend: Parteichef Xi Jinping ist erwartungsgemäss in einer nicht öffentlichen Sitzung am Ende des Parteitags für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der KPC bestätigt worden.

Damit wird der 69-Jährige voraussichtlich der erste Staatschef nach Staatsgründer Mao Zedong mit mehr als zwei Amtszeiten. Den Weg ebnete er schon 2018, als er demokratische Mechanismen, wie beispielsweise die Begrenzung der Amtszeit auf zwei Mandate, abschaffte.

Allerdings war die Ausgangssituation für den diesjährigen Parteitag alles andere als optimal für Xi. Denn der Parteichef, der auch Staatschef ist, legitimiert seine Macht durch die grossen ökonomischen Fortschritte, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Seit Covid ist es nicht mehr so.

Verlangsamtes Wachstum

Chinas Wirtschaftswachstum hat sich stark verlangsamt. Zum ersten Mal seit 1990 wächst die Wirtschaft der Volksrepublik wohl langsamer als im Rest der asiatischen Länder. Pekings Ziel – eine jährliche Wachstumsrate von 5,5 Prozent – scheint heute ausser Reichweite zu sein.

Die Weltbank hat ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandproduktes der zweitgrössten Volkswirtschaft auf 2,8 Prozent nach unten korrigiert, während man die Prognosen für den Rest Ostasiens und den Pazifik auf 5,3 Prozent verbessert hat. Spätestens als China vor und während dem Parteitag die Veröffentlichung bestimmter Wirtschaftsdaten überraschend verschoben hatte, war klar, dass sich die Wirtschaft wohl nicht nach Pekings Plan entwickelt.

Was ist schiefgelaufen?

Zero Covid! Der Umgang Xis mit den Ausbrüchen des Coronavirus hat die Wirtschaftstätigkeit branchenübergreifend heruntergefahren. Strenge Abriegelungen ganzer Städte oder Stadtteile, Massentests und ständiges Scannen von Gesundheitscodes sowie Reisebeschränkungen haben die Mobilität von Millionen Menschen stark beschränkt, und damit auch ihre Produktivität. Wo es keine Arbeit gibt – weil die Arbeiter eingesperrt sind –, da gibt es auch keinen Output.

Zudem haben die wirtschaftlichen Stillstände zu einem starken Nachfrageüberhang auf dem Arbeitsmarkt geführt, worunter vor allem die chinesische Jugend leidet. Im August stieg die Jugendarbeitslosigkeit auf ein Rekordhoch von knapp 20 Prozent. Der wettbewerbsintensive Arbeitsmarkt in China ist stark von einer steigenden Wirtschaftsleistung abhängig. Allein 2022 gab es 10,8 Millionen neue Hochschulabsolventen, die es in den Arbeitsmarkt zu integrieren gilt.

Der Immobilienmarkt stockt

Viel schiefgelaufen ist auch auf dem chinesischen Immobilienmarkt. Jahrelang hat dieser massgeblich zu Chinas Wirtschaftswachstum beigetragen. Schätzungen gehen davon aus, dass dieser bis zu 30 Prozent von Chinas Bruttoinlandprodukt ausmacht. Doch seit der Krise rund um Evergrande sieht sich die Branche mit einem nachhaltigen Vertrauensverlust konfrontiert.

Um der Evergrande-Überschuldung entgegenzuwirken, erliess die Regierung Ende 2020 harte Schuldenregeln, auch «three red lines» genannt. Diese machten es für die Baukonzerne fast unmöglich, an neue Bankkredite zu kommen. Dadurch stieg deren Abhängigkeit, liquide Mittel aus Vorverkäufen zu genieren. Doch viele Hauskäufer weigern sich mittlerweile, noch ausstehende Zahlungen für unfertige Gebäude zu leisten, aus Angst, dass diese nicht mehr fertiggestellt werden. Die Verkäufe neuer Eigenheime sind zuletzt um mehr als 20 Prozent gefallen im Vergleich zum Vorjahr, Grundstücksverkäufe fielen sogar um ganze 35 Prozent.

Tech Trouble

Neben der wichtigen Immobilienbranche steckt auch die Tech-Industrie in der Krise. Aufgrund staatlicher Interventionen bei grossen Tech-Firmen wie Tencent oder Alibaba musste die Branche zum Teil binnen weniger Tage Milliardenverluste hinnehmen. Mit solch schwerwiegenden Eingriffen stellt man die gesamte Einstellung gegenüber dem chinesischen Markt infrage, denn ausländische Investoren fragen sich zu Recht, wie sicher ihr Geld bei Unternehmen ist, bei denen der Staat quasi über Nacht die Spielregeln zu seinen Gunsten verändern kann.

«CHINA ORDNET ALLE ANDEREN ZIELE DER EINEN LÖSUNG UNTER: SIE HEISST SICHERHEIT.»

Doch aus der Perspektive der KPC spielen solche Entwicklungen eine weniger wichtige Rolle. Auf seinem Weg zum Führer auf Lebenszeit hat Xi die Prioritäten der Partei neu geordnet. Zuoberst steht nun die Sicherheit. Politische Einflussnahme sowohl auf das Privatleben der Menschen als auch auf wichtige Wirtschaftsbereiche scheinen wichtiger zu sein als überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum.

Die Lösung, welche Xis KPC für alle Probleme Chinas anbietet, heisst Sicherheit. Ihr werden alle anderen Ziele untergeordnet. Mit dieser neuen Priorität müssen sich auch ausländische Investoren abfinden.

Henrique Schneider,

stv. Direktor sgv

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