Publiziert am: 18.09.2015

«Viele Unternehmer tun sich schwer»

NACHFOLGEREGELUNG – Unternehmensberater Daniel Marek* weiss, was es braucht, um ein Unternehmen fit für die Nachfolge zu machen.

Das Drama der begabten Unternehmer: Sie können und wissen alles. Aber einmal kommt der Moment, wo die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden muss. Sei es, weil das Unternehmen stark gewachsen ist, sei es, weil sich die Gründer zurückziehen müssen. Eine angemessene Organisation hilft, den Betrieb auf diesen Moment vorzubereiten.

Von Gründern unabhängig

«Viele Unternehmer tun sich schwer mit dem Gedanken an das Ende der Arbeit», vermutet Esther Kissling, die vor zwei Jahren die Leitung des familieneigenen Getriebe-Herstellers Kissling AG abgegeben hat. Zudem sei es nicht einfach, in einem kleineren Unternehmen eine Nachfolge aufzubauen, weiss sie. Und selbst wenn eine geeignete Person gefunden ist, verbleibt viel implizites Wissen beim «alten Chef».

Damit ein Unternehmen fit für die Nachfolge ist, sollte es bis zu einem gewissen Grad von den Gründern unabhängig werden. Nur so ist die langfristige Unternehmensentwicklung gewährleistet. Dazu müssen die Voraussetzungen auf beiden Seiten gegeben sein: Auf Seiten der Unternehmerpersönlichkeit muss der Wille zur Delegation bestehen. Auf Seiten des Unternehmens braucht es eine eingespielte Organisation, die den Mitarbeitenden die Möglichkeit gibt, im Interesse des Betriebs selbstständig zu handeln.

Die Seite des Unternehmers: 
Kooperative Führungshaltung

Wer das Bestehen seines Unternehmens langfristig absichern will, darf nicht der Versuchung erliegen, Probleme stets im Alleingang zu lösen. Oft sehen sich Unternehmerpersönlichkeiten als «Helden des Alltags», die für ihre Mitarbeitenden alle Steine aus dem Weg räumen müssen. «Man kann sich auch unersetzlich machen», meint dazu Esther Kissling.

Dieses Phänomen kennt Jörg Sennrich, Geschäftsführer von KMU Next, die national KMU im Nachfolgeprozess unterstützt: «Es gibt viele Fälle, in denen der Chef immer alles selbst entscheiden will», bestätigt er. Dieser Führungsstil birgt aber Risiken: Einerseits droht die Überlastung des Chefs, andererseits führt sie in KMU nicht selten zu existenzbedrohenden Situationen, wenn der «Patron» fehlt oder einmal ausfällt. Ausserdem bleiben Wissen und Können der Mitarbeitenden unausgeschöpft. Im schlimmsten Fall gewöhnt sich der Betrieb an den allwissenden Chef und verliert die Fähigkeit, in kritischen Situationen angemessen reagieren zu können. Dagegen helfen das konsequente Delegieren (vgl. Kasten «Klammeraffen»), das Heranziehen der Mitarbeitenden für Problemlösungen und die gezielte Gewährung von Handlungsspielräumen. «Man muss sich vom Tagesgeschäft lösen können und darf nicht das wichtigste Rädchen sein wollen», erklärt Marcel Uhr, CEO und Gründer von soultank AG, einer Beratungsfirma für Usability und User Experience.

Die Seite des Unternehmens: 
Eine passende Organisation

Damit das funktioniert und die Unternehmerperson sich auf das selbsttätige Handeln des Betriebs verlassen kann, braucht es Klarheit in der Aufgabenverteilung und bei den Leitplanken. Letztlich geht es darum, die «informelle Organisation» im KMU zu überwinden, ohne die KMU-typische Flexibilität zu verlieren. Gefragt ist eine gelungene Mischung aus Selbst-Steuerung und Vorgaben.

Zusätzliche Hierarchie-Ebenen sind dazu nicht notwendig, sondern eine Auseinandersetzung mit Rollen, Abläufen und Befugnissen. Deswegen ist es mit organisatorischen Instrumenten alleine nicht getan. Es gibt auch eine Haltungsebene, bei der das Denken in Leistungsbündeln («Produkte») das Denken in Einzelaufgaben oder Kompetenzbereichen («Gärtchen») ablösen soll.

Die Bestimmung von Leistungsbündeln bildet die Grundlage für das Übertragen von Ergebnisverantwortung an die Mitarbeitenden oder an ganze Teams. Sie erleichtert die Führung mit Zielvereinbarungen und den Verzicht auf das Eingreifen in operative Einzelheiten.

Selbstständigkeit und Handlungsspielräume sind freilich nicht einfach nur zu deklarieren, sondern im Alltag zu leben oder einzufordern. Haltung lässt sich zudem nicht mit Instrumenten erzwingen. Sinnvoller sind begrenzte Experimente («kleine Schritte») und eine regelmässige Überprüfung der erzeugten Wirkungen. Dafür eignen sich Standortgespräche und Team- oder Führungsworkshops, in denen Erfahrungen ausgetauscht und neue Massnahmen gemeinsam festgelegt werden. Bei dieser Gelegenheit kann die Unternehmerperson erneut ein Zeichen zugunsten gemeinschaftlicher Problemlösung im Team setzen.

Rollenklarheit als Bedingung

Auf Ebene der Instrumente bringen kleine Verbesserungen ebenfalls mehr als der Einsatz von Organisationswerkzeugen aus der Welt der Grossunternehmen. Klarheit in der Rolle und in den Abläufen sind wichtiger als umfassende Flussdiagramme. Rollenklarheit ist eine Bedingung für das selbstständige Arbeiten, und die Klärung der Abläufe hat den Vorteil, dass gleichzeitig Überflüssiges erkannt und beseitigt werden kann. Einfache Zielvereinbarungen mit Ergebnisverantwortung oder kompakte Prozessbeschreibungen, in der die Abfolge der wichtigsten Schritte und die Verantwortlichkeiten festgehalten sind, bringen oft mehr als ein ausgefeiltes Führungs- und Managementsystem. «In einem KMU muss man bei Unvorhergesehenem rasch entscheiden können, ohne zuvor Checklisten und Tools zu konsultieren», erklärt dazu Adrian Schoop, Geschäftsführer der Soba Inter AG, einer international tätigen Handelsfirma in der Bauzulieferung. Die Tabelle «Typische Instrumente für KMU» gibt einen Überblick über gängige Instrumente für KMU, die sich ohne viele Formalitäten umsetzen lassen.

Die Zuteilung von Chargen für betriebliche Spezialfunktionen, etwa Informatik, Personal oder Dokumentation, ist eine einfache Lösung, die ebenfalls wenig Ressourcen erfordert und sich später mit dem Zukauf von Spezialwissen verbinden lässt. Alle diese Instrumente bezwecken in letzter Konsequenz eine Auseinandersetzung um Ziele und Leistungen des Unternehmens, die Verständigung über Rollen und Verantwortlichkeiten im Betrieb sowie eine Sicherung des Verfahrens-Wissens, das bisher nur in den Köpfen einzelner Mitarbeitender gespeichert war.

Erfolgsfaktoren und Nutzen

Wichtige Voraussetzungen für das Gelingen sind Geduld und Konsequenz seitens der Unternehmensleitung. Zu viele «Tools», die womöglich untereinander nicht verknüpft sind, erhöhen lediglich den Anteil administrativer Arbeiten und bergen die Gefahr, dass die Mitarbeitenden sie ablehnen. Hektik führt zu Verunsicherung im Betrieb und behindert das gemeinschaftliche Arbeiten im Team. «Man sollte nicht zu schnell alles ändern wollen, lieber zuerst beobachten», resümiert Adrian Schoop seine Erfahrungen aus der Übernahme seines Unternehmens. Kontinuität und genügend Zeit seien wichtig, organisatorische Neuerungen müssten sich einspielen, sonst blieben sie nur toter Buchstabe.

Delegation und Vertrauen, klare Regeln und wenige im Alltag verankerte Instrumente brächten einer Unternehmerin nicht nur eine Entlastung vom Tagesgeschäft, sondern auch eine Bereicherung der Aufgaben, bestätigt Esther Kissling. Marcel Uhr hat ausserdem beobachtet: «Mehr Delegation führt zu mehr Feedback für das Unternehmen und zu einem grösseren Lerneffekt für alle.» Adrian Schoop weist noch auf einen anderen Effekt hin: «Das gibt einen Motivationsschub und bewirkt eine Identifikation mit dem Unternehmen. Die Mitarbeiter agieren sorgfältiger und treten beim Kunden überzeugender auf.»

*Daniel Marek ist Organisations- und Unternehmensberater in Zürich und Mitglied im Expertenpool von KMU Next.

KMU next

KMU Next ist ein nationales Netzwerk, welches ein verantwortungsvolles und nachhaltiges Unternehmertum in der Schweiz fördert. Es stellt schweizweit Lösungsressourcen für die Nachfolgethematik in KMU bereit und engagiert sich in Anlässen und Weiterbildungen.

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Vorsicht vor «Klammeraffen»

Kenneth Blanchard, William Oncken und Hal Burrows haben das Bild der Affen auf der Schulter geprägt, um die Situation der Vorgesetzten zu beschreiben, die für ihre Mitarbeitenden alle Probleme lösen. Sie betonen, wie wichtig es ist, die Affen (d.h. Probleme) im Alltag zu erkennen: Kommen Mitarbeitende mit der Frage «Ich habe hier einen schwierigen Fall, was soll ich tun...?», ist das oft ein Versuch, Affen abzuladen. Wenn sich nun die Vorgesetzten selbst um das Problem kümmern, nehmen sie den Affen auf die eigene Schulter. Besser wäre es zum Beispiel, wenigstens kleinere Affen zurückzugeben, indem der Vorgesetzte von den Mitarbeitenden einen oder mehrere Lösungsvorschläge zur angesprochenen Frage verlangen würde.

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