Publiziert am: 24.03.2017

Vom Feld bis auf den Teller

ERNÄHRUNGSSICHERHEIT – Der St. Galler FDP-Nationalrat Walter Müller – und mit ihm eine klare Mehrheit in National- und Ständerat – findet es richtig, die Ernährungssicherheit in der Bundesverfassung zu verankern. Der sgv bleibt skeptisch.

Die sehr deutliche Zustimmung von National- und Ständerat und die Annahme durch den Bundesrat zeigen: der neue Verfassungsartikel 104a über die Ernährungssicherheit ist nötig. Bundesrat und Parlament haben anerkannt, dass der aktuelle Verfassungstext nicht genügt, um längerfristig die Herausforderung der Ernährungssicherheit zu bewältigen und die inländische Produktion sowie die Lebensmittelverarbeitung zu erhalten.

Der neue Verfassungsartikel schliesst also diese Lücke in der Bundesverfassung. Er ergänzt den bestehenden Artikel 104 über die Landwirtschaft. Der neue Verfassungsartikel ist ein Gesamtkonzept und berücksichtigt die ganze Wertschöpfungskette – vom Feld bis auf den Teller.

Er ist zudem eine unverzichtbare Ergänzung zum Artikel 102 über die Landesversorgung mit dem Ziel, die Massnahmen für die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln nicht nur auf Krisenzeiten auszurichten.

Inlandproduktion stärken

Die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft will ihre Verantwortung wahrnehmen und mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln zur Ernährungssicherheit der Schweizer Bevölkerung beitragen. Die Schweiz verfügt über sehr fruchtbares Land und viel Wasser. Angesichts der weltweit knappen Ressourcen muss dieses Potential unbedingt ausgeschöpft werden. Gleichzeitig hat die Schweiz sehr gute Verarbeitungsbetriebe, welche hochwertige Lebensmittel herstellen.

«ZIEL IST EINE HÖHERE WERTSCHÄTZUNG 
GEGENÜBER Unseren 
LEBENSMITTELN.»

Der neue Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit erfordert keine neuen Gesetze für die Umsetzung. Er wird jedoch bestehende Gesetze beeinflussen, beispielsweise im Rahmen der zukünftigen Agrarpolitik 2022+. Er gibt eine klare Richtung vor: Die Stärkung und der Erhalt der inländischen Lebensmittelproduk­tion. Dies ist für die KMU von grosser Bedeutung. Jene der vorgelagerten Stufe und insbesondere auch jene, welche die hochwertigen landwirtschaftlichen Produkte verarbeiten und vermarkten.

Die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft ist heute bereits sehr innovativ. In Zusammenarbeit mit den lokalen Verarbeitungsbetrieben werden viele Spezialitäten in den Regionen hergestellt. Dafür sind die Bäckereien, Käsereien und Metzgereien auf die qualitativ hochwertigen Rohstoffe der Schweizer Landwirtschaft angewiesen.

Herkunft als Mehrwert

Die Inländische Produktion hilft somit, die Gewerbebetriebe zu erhalten und auch in Zukunft weiterzuentwickeln. Dies ist im Interesse der Wirtschaft und der Gesellschaft. Schliesslich beschäftigen die Land- und Ernährungswirtschaft zusammen fast 700 000 Personen, was 14 Prozent der Erwerbstätigen ausmacht.

In einer Umfrage der Hochschule für Agronomie HAFL in Zollikofen kam klar zum Ausdruck, dass Nachhaltigkeit und die Herkunft Schweiz beim Kauf von Lebensmitteln eng miteinander verknüpft sind. Die Herkunft Schweiz hat also einen bedeutenden Mehrwert für die Konsumentinnen und Konsumenten. Von diesem Mehrwert kann die ganze Wertschöpfungskette profitieren. Dabei ist eine faire Zusammenarbeit zwischen den Produzenten, den Verarbeitern und dem Handel für den langfristigen Erfolg entscheidend.

Höhere Wertschätzung

Zu guter Letzt fordert der Verfassungsartikel zur Ernährungssicherheit einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln, also die Verhinderung von Food Waste. Das Ziel ist, eine höhere Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln zu erreichen und somit die Bereitschaft der Bevölkerung, für die gesunden Lebensmittel aus der Schweiz einen angemessenen Preis zu bezahlen.

Walter Müller,
Nationalrat, FDP/SG

DIE STIMME EINES GEGNERS

FĂĽr die Landwirte ein Schuss ins Knie?

Der Luzerner FDP-Nationalrat Peter Schilliger lehnt einen neuen Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit ab. «Ich bin gegen einen neuen Artikel in der Verfassung, der keinen Mehrwert bringt und – gemäss Deklaration der Befürworter – auch keine gesetzlichen Anpassungen nötig macht», sagt Schilliger auf Anfrage der sgz. Zudem präzisiert er seine Kritik am neuen BV-Artikel: «Im Absatz a) wird insbesondere der Schutz des Kulturlandes zur Sicherstellung der Lebensmittel-Eigenversorgung deklariert. Diesen Schutz kann ich nachvollziehen. Jedoch stelle ich auch fest, dass aus Landwirtschaftskreisen sehr oft im Bereich des Raumplanungsgesetzes eine flexiblere Nutzung und die Erweiterung der Gebäudestruktur gefordert werden. Die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG Stufe II) steht in diesem Sinne ja an. Ich selber beurteile diese Revision kritisch, weil ich mehr Risiken statt Chancen in diesem Revisionsschritt sehe. Die links-grüne Seite im Nationalrat wird dann bei einigen Anträgen aus dem landwirtschaftlichen Lager genüsslich auf den neuen Bundesverfassungsartikel hinweisen. Dank dem neuen BV-Artikel dann zu Recht, wie ich meine! Nach meiner Beurteilung wird die Entwidmung von Kulturland nur noch mit einer Kompensationsfläche möglich sein. Deshalb meine ich, dass sich die Landwirtschaft mit diesem neuen Artikel selber behindert. Ob sie sich also nicht einen sogenannten Knieschuss tätigt, werden wir sehen...»En

POSITION DES SGV

«Völlig ungenügend»

Der Schweizerische Gewerbeverband sgv hat sich gegen die Volksinitiative für Ernährungssicherheit und für eine Ablehnung des Gegenvorschlags eingesetzt. «Der bestehende Landwirtschaftsartikel in der Bundesverfassung genügt, und die Ernährungssicherheit ist in der Schweiz schon heute sehr hoch», sagt die zuständige Ressortleiterin Hélène Noirjean. Zudem laufe die Initiative einer liberalen Wirtschaftspolitik entgegen. Sie könnte namentlich auch für den landwirtschaftlichen Nebenerwerb einen Anstieg staatlicher Subventionen mit sich bringen und damit das Gewerbe benachteiligen.

Auch der Gegenvorschlag ist nach Ansicht des sgv «immer noch völlig ungenügend, was seine Klarheit betrifft». Er zeichne ein unklares Bild der internationalen Handelsbeziehungen und öffne damit Tür und Tor für protektionistische Tendenzen und einen möglichen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft. En

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