Publiziert am: 16.09.2022

Weit übers Ziel hinausgeschossen

schuldensanierung – Der Bundesrat legt einen Vorentwurf zu Sanierungsverfahren für natürliche Personen vor – und übertreibt beim Versuch, den «Ärmsten der Armen» aus der Schuldenfalle zu helfen.

Schuldenbefreiungsverfahren für mittellose Menschen sind in vielen europäischen Ländern Standard. Sie machen Sinn, wenn es tatsächlich und nachweislich keinen Ausweg aus der Schuldenfalle mehr gibt. Nun hat der Bundesrat, einer parlamentarischen Initiative und einer Motion aus dem Parlament folgend, einen Vorentwurf für eine gesetzliche Regelung vorgelegt, um den «hoffnungslos Verschuldeten», wie es im bundesrätlichen Bericht heisst, «eine Perspektive zu eröffnen». Heute sieht es aber danach aus, dass die Regierung um einiges über dieses Ziel hinausschiesst – zum Nachteil der Gläubigerinnen und Gläubiger. So umfasst der Personenkreis nicht mehr die «Ärmsten der Armen», sondern grundsätzlich alle natürlichen Personen, die etwa noch gar nie betrieben worden sind oder die einen Verlustschein erhalten, dabei aber mittel- bis langfristig durchaus in der Lage sein könnten, ihre Schulden zu bedienen.

Kein zielführender Vorschlag

Der Bundesrat sieht, in Ergänzung zu den bereits bestehenden vier Verfahren, zwei weitere vor. Dies zeigt bereits, dass der Vorschlag nicht zielführend sein kann. Zum einen soll für nicht im Handelsregister eingetragene Privatpersonen ein vereinfachtes Nachlassverfahren eingeführt werden. Es sieht Erleichterungen wie den Verzicht auf Gläubigerversammlungen, Gerichtsverhandlungen und die Sicherstellung privilegierter Forderungen vor. Zum andern sollen jene Personen, die keine Chancen auf einen Nachlassvertrag haben, die aber mit den vorhandenen Mitteln ihren Lebensunterhalt bestreiten können, die Möglichkeit erhalten, während vier Jahren alle pfändbaren Mittel an die Gläubigerinnen und Gläubiger abzugeben. Diese Frist ist zu kurz. Angemessen wären sechs Jahre. Die Restschuld würde danach mit wenigen Ausnahmen, die ausschliesslich öffentlichrechtliche Gläubiger betreffen, abgeschrieben. Damit werden Forderungen der ersten und zweiten Konkursklasse nochmals bessergestellt, zum Nachteil aller übrigen Forderungen aus der dritten Klasse.

Neue Beratungsindustrie fördern?

Gleich fünfzehn neue, sehr umfangreiche Paragrafen schlägt der Bundesrat vor. Er bleibt dabei dennoch zu vage, was bei einer Umsetzung in dieser Form juristische Verfahren geradezu herausfordert und eine neue Schuldnerberatungsindustrie fördert. Denn das Zusammenspiel der Verfahren, zu denen auch die bewährte einvernehmliche private Schuldenbereinigung gehört, bleibt weitgehend ungeregelt. Das lässt zudem befürchten, dass es bei der Auslegung zu einem Wildwuchs kantonaler Bestimmungen kommt.

«Das mag geradezu als Einladung wirken, sich auch der Schulden zu entledigen, deren Rückzahlung durchaus möglich ist.»

Unklar bleibt auch, wer unter welchen Umständen in die beiden vorgeschlagenen Verfahren kommt. Das ist aus Gläubigersicht unhaltbar, weil die Auswirkungen nicht zuverlässig abgeschätzt werden können. Analysen von Inkasso Suisse zeigen, dass primär die Drittklassgläubiger den Abschreiber zu tragen haben. In den Vorstudien zum Gesetzesvorschlag waren ausschliesslich Verlustscheine analysiert worden. Nun finden sich darin aber grundsätzlich alle Forderungen. Das spannt den Bogen viel zu weit und mag geradezu als Einladung wirken, sich auch der Schulden zu entledigen, deren Rückzahlung durchaus möglich ist.

Dasselbe gilt für den vorgeschlagenen Verzicht auf Mindestquoten. Das macht nur bei jenen Schuldnerinnen und Schuldnern Sinn, die Ergänzungsleistungen oder eine Invalidenrente beziehen. Last but not least: Mit dem Restschuldbefreiungsverfahren wird ein falscher Anreiz zu Lasten der Drittklassgläubiger geschaffen. Im Restschuldbefreiungsverfahren entscheiden zudem nicht mehr die Gläubiger über Forderungserlasse, sondern der Staat ohne Mitwirkung der Gläubiger. Die Gesetzesvorlage ist als Ganzes abzulehnen, da sie viel zu kompliziert ist und die Interessen der Drittklassgläubiger nicht angemessen gewahrt werden.

Raoul Egeli,

Präsident Creditreform

www.creditreform.ch

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