Publiziert am: 23.04.2021

Weniger arbeiten, dafür mehr Jobs?

4-TAGE-WOCHE – Sozialistische Träumereien oder Arbeit neu gedacht? Rund 6000 Mitarbeitende in 200 KMU arbeiten ein Jahr lang pro Woche nur noch vier Tage – bei vollem Lohn. Kein Modell für die Schweiz – ausser, dass auch in der ­hiesigen Arbeitswelt mehr Flexibilität am Platz wäre.

Spanien will im Herbst die Vier-Tage-Arbeitswoche testen. Hinter der Idee steht der Chef der kleinen Linkspartei Más País, Iñigo Errejon. Rund 6000 Mitarbeitende von 200 KMU arbeiten pro Woche nur noch vier Tage, das aber bei vollem Lohn. Das Pilotprojekt soll mindestens ein Jahr dauern. Die sozialistische Regierung in Madrid unterstützt das Projekt mit dem Ziel, dass im von einer hohen Arbeitslosigkeit gebeutelten Spanien zusätzliche Stellen geschaffen werden. Der Staat entschädigt die Betriebe dafür mit rund 50 Millionen Euro.

Mehr Stellen oder mehr Effizienz?

Die Vier-Tage-Woche ist auch in ­anderen europäischen Ländern in Diskussion. In Grossbritannien, Schweden und Deutschland sind entsprechende Experimente durchgeführt worden. Bei vollem Lohnausgleich wurden die Vier-Tage-Woche oder der Sechs-Stunden-Tag erprobt. Diesen Ansätzen liegt aber nicht die Idee zugrunde, mehr Stellen zu schaffen, wie das in Spanien der Fall ist, sondern «zufriedenere und motiviertere» Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen. Weniger, dafür effizienter arbeiten, gleich viel verdienen und insgesamt besser leben – tönt auf den ersten Blick sehr verlockend.

Arbeitsmarkt in Veränderung

Auch in der Schweiz ist das traditionelle 100-Prozent-Arbeitsverhältnis seit mehreren Jahren auf dem Rückzug. Die Corona-Krise beschleunigt einen bereits in den letzten Jahren absehbaren Trend zu «atypischen» Arbeitsmodellen. 2019 arbeitete nur knapp jeder Fünfte hauptsächlich im Home-Office. Regelmässig Heimarbeit verrichtete gar nur jeder Zwanzigste. Zunehmend wird Teilzeitarbeit, befristete Arbeit, Freelancer-Arbeit oder Plattformarbeit verrichtet.

Diese Entwicklung eröffnet neue Möglichkeiten. Voraussetzung dafür ist mehr Gestaltungsfreiheit. Das Arbeitsrecht soll noch besser den Bedürfnissen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die z.B. ihre Arbeit im Homeoffice verrichten, Rechnung tragen. So soll sich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeiten zu einem namhaften Teil selber festsetzen können, der Zeitraum erstrecken können, in welchem die Arbeit verrichtet werden darf. Gelegentliche Arbeitsleistungen von kurzer Dauer sollen die Ruhezeit nicht unterbrechen. Für Sonntagsarbeit, die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihre Arbeitszeiten zu einem namhaften Teil selbst fest-setzen können, in ihrer Wohnung erbracht wird, soll keine Bewilligung notwendig sein. Die Mitarbeitenden selbst wünschen mehr Flexibilität, da sich dadurch Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren lässt.

Nicht mehr, nur flexibler arbeiten

Unter dem Strich geht es nicht darum, dass mehr, sondern flexibler gearbeitet werden kann. Eine Idee, die der Schweizerische Gewerbe-verband sgv unterstützt. «Je mehr Freiheit in der Festlegung der Arbeit, desto besser können Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer die Arbeit mit anderen Tätigkeiten z.B. in der Kinderbetreuung abstimmen», sagt sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler dazu.

Denken wir aber auch an die zunehmende Zahl von Kreativberufen. Nicht alle können am Montagmorgen Punkt 8 Uhr kreativ sein. Kreativität manifestiert sich zu jedem Zeitpunkt des Tages. Warum also soll eine Mitarbeiterin, die am Sonntag eine kreative Idee hat, diese nicht auch bearbeiten können? Die öffentliche Sonntagsruhe wird dadurch bestimmt nicht gestört.

Eine Frage der Vereinbarung

Für den sgv ist aber ebenso klar: Staatlich verordnete Vier-Tage-Arbeitswochen braucht es in der Schweiz nicht. Innerhalb der gesetzlichen Schranken bzw. gewählter Regelwerke wie Gesamtarbeitsverträge sind Arbeitgebende und Arbeitnehmende frei, sich über Arbeitszeiten, Lohn und weitere Bedingungen zu verständigen. Das soll im Grundsatz so bleiben.

«Nicht alle können am Montagmorgen punkt 8 Uhr kreativ sein. deshalb braucht es flexiblere arbeitszeiten.»

Für die beteiligten Unternehmen ist es zudem wichtig, dass die Regulierungskosten gesenkt und nicht ­erhöht werden. Ansätze, wie sie in Spanien erprobt werden, sind für unser Land nicht zielführend. Sie führen zu einer unerwünschten Mehrbelastung an Regulierungskosten und fördern letztlich Zweit- oder Drittjobs, wenn nicht gar Schwarzarbeit, was erhoffte Effizienz- und Zufriedenheitsaspekte verpuffen lässt.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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