Publiziert am: 17.09.2021

Wenn das Konkursrecht nur noch der Selbsterhaltung dient

MISSBRÄUCHLICHE KONKURSE – Heute wird der GlĂ€ubiger durch unser Rechtssystem bestraft, und der Schuldner kann problemlos alle SystemmĂ€ngel ausnĂŒtzen. Dies muss sich dringend Ă€ndern.

Bundesrat und StĂ€nderat möchten im Rahmen des zur Debatte stehenden Bundesgesetzes ĂŒber die BekĂ€mpfung des missbrĂ€uchlichen Konkurses öffentlich-rechtliche Institutionen wie die SUVA oder das Steueramt mit der Wahl, ob Firmen auf PfĂ€ndung oder Konkurs betrieben werden können, bevorzugen. Privaten GlĂ€ubigern soll diese Wahl weiter verwehrt bleiben. Das macht wenig Sinn. Denn es mangelt an der Gesamtschau. Schuldnern wird es heute zu leicht gemacht, wĂ€hrend die fĂŒr den Forderungseinzug zustĂ€ndigen Behörden weitgehend ins Leere laufen. Die Folge ist, dass der GlĂ€ubiger die Forderungen definitiv abschreiben muss.

Im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz ĂŒber die BekĂ€mpfung des missbrĂ€uchlichen Konkurses, ĂŒber das als Zweitrat demnĂ€chst der Nationalrat befindet, stellt sich die Frage, ob der Staat seine Forderungen gegenĂŒber juristischen Personen ausschliesslich auf Konkurs zu betreiben hat oder ob ihm die Wahlfreiheit gewĂ€hrt werden soll, die Forderung entweder auf Betreibung oder auf Konkurs durchzusetzen. Der Bundesrat und der StĂ€nderat haben sich fĂŒr die Wahlfreiheit entschieden, die privaten GlĂ€ubigern weiter verwehrt werden soll. GrundsĂ€tzlich gilt: Die Betreibung auf PfĂ€ndung ist fĂŒr den GlĂ€ubiger interessanter als die Betreibung auf Konkurs. FĂŒr private GlĂ€ubiger, deren Schuldner der Konkursbetreibung unterliegen, lohnt sich das Konkursverfahren meistens nicht. Warum soll der Staat in dieser Frage bessergestellt werden?

Um diese Fragestellung zu beurteilen, muss das Konkurswesen als Ganzes betrachtet werden, denn dieses dient in vielen FĂ€llen nur noch der Selbsterhaltung des Schuldners und nicht dem GlĂ€ubiger, fĂŒr den es einmal vorgesehen war. 98 Prozent der Konkursverfahren enden weitgehend erfolglos. Bei den Betreibungen sieht es insbesondere bei geringen Forderungen nicht besser aus.

Provisorische Rechtsöffnung in vielen FÀllen nicht möglich

FĂŒr die provisorische Rechtsöffnung braucht es eine Schuldanerkennung, also ein vom Schuldner handschriftlich unterzeichnetes Dokument. Da dieses in den allermeisten FĂ€llen in der digitalisierten Zeit nicht eingeholt werden kann, mĂŒsste fĂŒr die Beseitigung des Rechtsvorschlages der Weg des Zivilprozesses eingeschlagen werden, was in den meisten FĂ€llen aus ZeitgrĂŒnden und wegen hoher Kosten völlig unverhĂ€ltnismĂ€ssig ist.

Betreibung – nur noch eine Frage des Prinzips

Aus KostengrĂŒnden lohnt sich wiederum eine Betreibung bei kleinen Forderungen nicht. Einerseits kann ein erhobener Rechtsvorschlag nicht mit vertretbarem Aufwand beseitigt werden, andererseits kann der Schuldner die Betreibung «löschen» lassen, wenn der GlĂ€ubiger nicht nachweist, den Rechtsvorschlag zu beseitigen - was er in den allermeisten FĂ€llen aus guten GrĂŒnden unterlassen wird. So wird die Betreibung zu einer Frage des Prinzips. Denn es darf nicht sein, dass Schuldner sich mit so einfachen Mitteln um eine Zahlung drĂŒcken können.

GlÀubiger trÀgt das Kostenrisiko des Konkursverfahrens

Hat ein GlĂ€ubiger trotzdem alle diese HĂŒrden auf sich genommen, so trĂ€gt er auch noch das Kostenrisiko fĂŒr das Konkursverfahren. Er, als antragstellender GlĂ€ubiger, hat nĂ€mlich den Kostenvorschuss zu leisten, und das in den allermeisten FĂ€llen ohne jegliche Aussicht auf Erfolg. Der Kostenvorschuss belĂ€uft sich auf durchschnittlich CHF 5â€ș000 , wobei die ĂŒbrigen GlĂ€ubiger auf dieses Verfahren aufspringen können und gleichzeitig die Aussicht auf Erfolg schmĂ€lern, denn der Erlös wird unter allen GlĂ€ubigern aufgeteilt, die ihre Forderungen eingegeben haben. Welcher ökonomisch denkende Unternehmer ist unter diesen UmstĂ€nden bereit, ein Konkursbegehren zu stellen und weiter unnötige Kosten auf sich zu nehmen?

Keine Konkursdividende zu erwarten

Leider fehlen genauere Zahlen zu der zu erwartenden Konkursdividende in der Schweiz. Transparenz liegt hier nicht im Interesse der Ämter. Die letzten verfĂŒgbaren Angaben stammen aus dem Jahr 2007. Die durchschnittliche Konkursdividende bei den erledigten Konkursverfahren betrug damals 5.6 Prozent . Vermutungen legen nahe, dass diese heutzutage gar noch tiefer sind. Wer ist schon bereit, bei einer so tiefen Konkursdividende ein Verfahren anzustrengen. Lohnen wĂŒrde es sich nur fĂŒr Forderungen ab CHF 89â€ș000.

Das chancenlose Konkursverfahren

Am erschreckendsten ist die Analyse der Verfahren selbst. Waren es im Jahr 2007 noch 47,4 %, die mangels Aktiven eingestellt wurden, so ist dieser Wert auf rund 58 Prozent der erledigten Verfahren angestiegen. Die erledigten summarischen Verfahren sind von 45.9 % auf 40.3 % zurĂŒckgegangen. Dies hauptsĂ€chlich zu Lasten der Widerrufe. Dies zeigt, dass es sich fĂŒr den GlĂ€ubiger einfach nicht lohnt, ein Konkursverfahren anzustrengen.

Ordentliche Konkursverfahren in der Praxis unbedeutend

Wurden im Jahr 2007 noch 61 ordentliche Konkursverfahren durchgefĂŒhrt, so waren es im Jahr 2018 nur noch deren 8 und 2019 ganze 13. Dabei wurden alle ordentlichen Konkursverfahren ausseramtlich durchgefĂŒhrt. Es muss die Frage gestellt werden, ob KonkursĂ€mter ĂŒberhaupt noch in der Lage sind, solche Verfahren durchzufĂŒhren

Wenn das Konkursverfahren nur noch der Selbsterhaltung dient

Wenn nur noch 0.06 % der Konkursverfahren ordentlich abgewickelt werden, stellt sich die Frage, wem es ĂŒberhaupt noch dient. Das summarische Konkursverfahren kommt nur dann zur Anwendung, wenn das Konkursamt damit rechnen kann, zumindest seine eigenen Kosten zu decken. Folglich könnte man auf deren DurchfĂŒhrung verzichten, da es den GlĂ€ubigern in Summe ja nichts bringt und der antragstellende GlĂ€ubiger sein Kostenvorschuss ohnehin verloren hat. Der diesbezĂŒglich unnötige Verwaltungsapparat könnte heruntergefahren werden. Bei rund 5â€ș900 im summarischen Verfahren erledigten Verfahren, könnten rund CHF 29â€ș000â€ș000 eingespart werden, da mit einer Konkursdividende kaum zu rechnen ist.

Fehlende Anreize

Der Kostenvorschuss dient der Erhaltung des Verwaltungsapparates. Leider fehlen genauere Angaben, aber es muss vermutet werden, dass ĂŒber die Jahre auch die durchschnittliche Höhe des Kostenvorschusses zugenommen hat, was den GlĂ€ubiger immer mehr daran hindert, ein Konkursbegehren zu stellen.

Da die konkursiten Gesellschaften schon ausgehöhlt worden seien, könne auch nichts mehr geholt werden, heisst es. Doch das Konkurswesen sollte einem anderen Zweck dienen. Konkursite Gesellschaften mĂŒssen möglichst frĂŒhzeitig liquidiert werden, um weiteren unnötigen Schaden zu vermeiden.

Kostenvorschuss fĂŒr die GlĂ€ubiger muss gestrichen werden

Wollte man wirklich eine Lösung des Problems finden, so mĂŒsste der Kostenvorschuss fĂŒr GlĂ€ubiger ganz gestrichen werden. Das Konkursamt sichert sich damit nur die Einnahmen fĂŒr den Verwaltungsapparat, ohne dass ein Anreiz geschaffen wird, erfolgreich zu sein. MĂŒssten die KonkursĂ€mter ihren Verwaltungsapparat durch erfolgreiche Konkursverfahren selbst finanzieren, wĂ€ren die Interessen der GlĂ€ubiger besser gewahrt und die KonkursĂ€mter nicht dem Abwicklungsprimat verpflichtet.

Trugschluss, die Revisionsstelle könnte es richten

Der Bundesrat hat in seinem Entwurf zu den missbrĂ€uchlichen Konkursen eingebracht, dass der Schwellenwert des Opting-out herabgesetzt werden mĂŒsste. Es besteht die Gefahr, dass dies im Rahmen des KommissionsgeschĂ€ftes 21.3456 «Weiterentwicklung des Revisionsrechts» wieder aufgenommen wird. Konkurse wĂŒrden verschleppt, da die Revisionsstelle fehlt, die die Bilanz anstelle des Verwaltungsrates deponiert. Dies ist ein Trugschluss. Es wĂ€re fatal, deswegen die KMU administrativ unnötig zu belasten, denn es liegt nicht an der Revisionsstelle. Es liegt am Umstand, dass es fĂŒr die GlĂ€ubiger aus KostenĂŒberlegungen nicht interessant ist, das Konkursbegehren zu stellen und somit Unternehmen nicht dem Konkurs zugefĂŒhrt werden und als Zombieunternehmen «weiterwursteln» können, ohne dass ernsthafte Konsequenzen drohen.

Auch aus ökonomischen GrĂŒnden macht eine Anpassung der Schwellenwerte keinen Sinn. WĂŒrde man den Schwellenwert fĂŒr das Opting-out auf 5 Vollzeitstellen (FTA) reduzieren, so mĂŒssten geschĂ€tzt rund 1/3 aller Unternehmen eine Revisionsstelle einsetzen, die bis anhin das Opting-out gewĂ€hlt haben. Die direkten Mehrkosten betrĂŒgen rund CHF 357 Mio. ohne die administrative Mehrbelastung der Unternehmen selbst miteinzurechnen. DemgegenĂŒber sind die EinnahmenausfĂ€lle der KonkursĂ€mter aufgrund der wegfallenden KostenvorschĂŒsse von CHF 29 Mio. geradezu bedeutunglos.

Wahlrecht der öffentlichen Hand auf Betreibung auf PfÀndung oder auf Konkurs

Der private GlĂ€ubiger muss eine juristische Person auf Konkurs betreiben. Ihm steht kein Wahlrecht auf Betreibung auf PfĂ€ndung zu. Warum soll die öffentliche Hand nun wĂ€hlen können, seine Forderung auf PfĂ€ndung zu betreiben. Der einzige Grund wĂ€ren die Kosten. MĂŒsste beispielsweise die Eidgenössische Steuerverwaltung wegen dem Wegfall der Betreibung auf PfĂ€ndung neu 30â€ș000 Konkursbegehen stellen, wĂŒrden CHF 150â€ș000â€ș000 fĂŒr KostenvorschĂŒsse anfallen. Dies ohne Aussicht auf Erfolg und nur als Leerlauf fĂŒr die KonkursĂ€mter. Der Kostenvorschuss muss generell fĂŒr alle GlĂ€ubiger gestrichen werden, um so die EffektivitĂ€t des Konkurswesens zu steigern und die privaten GlĂ€ubiger gleich zu stellen.

Die öffentliche Hand könne sich ihre Kunden aber nicht auswÀhlen

Die öffentliche Hand mĂŒsse auf PfĂ€ndung betreiben können, da sie sich die Kunden nicht auswĂ€hlen kann. Dieses Argument hatte frĂŒher durchaus seine Berechtigung. Dieses angebliche Wahlrecht der privaten GlĂ€ubiger wird immer mehr eingeschrĂ€nkt. Ginge es nach der Linken, wĂ€ren der Bezug von BonitĂ€tsinformationen mit der Datenschutzgesetzrevision gestrichen worden. Des weiteren wurde die Betreibungsauskunft mit der Revision von SchKG 8a unnötig geschwĂ€cht. Betreibungen lohnen sich noch weniger, da der Schuldner die Anzeige von Betreibungen verhindern kann. Dies, obwohl die Betreibung gerechtfertigt war, sich jedoch die Beseitigung des Rechtsvorschlages fĂŒr den GlĂ€ubiger einfach nicht rechnet. Die zweifelsfreie Identifikation von Privatpersonen ist nicht möglich und wurde vom Gesetzgeber erschwert. Das Problem ist bekannt und ein öffentlich zugĂ€nglicher Personenidentifikator wĂ€re notwendig, um Abhilfe zu schaffen. Dieser wird aber nur der öffentlichen Hand zugestanden. Diese und weitere EinschrĂ€nkungen haben das Wahlrecht der privaten GlĂ€ubiger unnötig eingeschrĂ€nkt.

Der GlÀubiger ist auf sich gestellt

In den Jahren 1995 bis 2007 betrugen die Verluste aus erledigten Konkursverfahren im Durchschnitt rund 4 Mrd. Sie gingen in den Jahren 2008 bis 2020 auf durchschnittlich 2.2 Mrd. zurĂŒck.

Der Grund ist, dass es immer weniger ordentliche, aber auch immer weniger summarische Konkursverfahren gibt. Nur das Jahr 2020 bildet eine Ausnahme, da das vor 16 Jahren eröffnete Konkursverfahren «Erb» mit einem Verlust fĂŒr die GlĂ€ubiger von rund 6.5 Mrd. abgeschlossen werden konnte . Der durchschnittliche Verlust bei einem erledigten Konkursverfahren, sei es ordentlich oder summarisch, betrug fĂŒr die Jahre 2018 und 2019 CHF 365‘000.

GlĂ€ubiger sind auf private UnterstĂŒtzung angewiesen

Will der GlĂ€ubiger zu seinem Geld kommen, ist er auf die professionelle Hilfestellung von Inkassounternehmen angewiesen, denn die Zwangsvollstreckung ist teuer und ineffektiv und in den meisten FĂ€llen nicht zielfĂŒhren.

Politischer Blindflug

Gerade in den letzten Jahren gab es aus dem Bereich SchKG viele politische Vorstösse, die das Problem nicht lösen und auch nicht im Interesse der GlĂ€ubiger sind. Es fehlt die Gesamtsicht, und es wird vergessen, dass es der GlĂ€ubiger ist, der dem Kunden mit der GewĂ€hrung eines Lieferantenkredites die Leistungserbringung vorfinanziert – und dies blanko, ohne jegliche Sicherheit. Es kommt leider zu politischen Entscheiden, die auf einer dĂŒrftigen Datengrundlage getroffen werden. Dabei wĂ€re eine funktionierende, effiziente Zwangsvollstreckung zentral fĂŒr eine funktionierende Wirtschaft!

Handlungsbedarf immens

Heute wird der GlĂ€ubiger durch unser Rechtssystem bestraft, und der Schuldner kann problemlos alle SystemmĂ€ngel ausnĂŒtzen. Dies nagt nicht nur an der ExistenzfĂ€higkeit von KMU und von institutionellen GlĂ€ubigern, es ist auch im höchsten Grad demotivierend und beeintrĂ€chtigt die Zahlungsmoral aller Schuldner. Und, man darf sich nicht tĂ€uschen, die heutigen ZustĂ€nde verteuern letztlich die Produkte und die Dienstleistungen fĂŒr jene Personen, die ihre Rechnungen immer vollstĂ€ndig und pĂŒnktlich zahlen: irgendjemand muss ja den Verlust auffangen. Auf Dauer werden diese SystemmĂ€ngel dazu fĂŒhren, dass Produkte und Dienstleistungen nur noch gegen Vorauskasse verkauft und erbracht werden. Das in der Wirtschaft bisher gegenseitig entgegengebrachte Vertrauen wird somit ad acta gelegt. Die heutige Konkursmisere muss deshalb nachhaltig und gesamthaft saniert angegangen werden.

Raoul Egeli, PrÀsident Creditreform

ZUM AUTOR

Raoul Egeli, geboren 1968, studierte an der Fachhochschule fĂŒr Wirtschaft in St. Gallen und ist seit 2008 PrĂ€sident des Schweizerischen Verbandes Creditreform und seit 2014 PrĂ€sident von Creditreform International mit 23 Landesgesellschaften weltweit.

Zudem ist er GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Creditreform Egeli Gesellschaften in Basel, Bern, St. Gallen und ZĂŒrich. Er leitet die EGELI Treuhand AG. Er ist seit 2019 Vorstandsmitglied des Inkassoverbandes vsi und war von 2009 bis 2013 ZentralprĂ€sident von TREUHAND| SUISSE. Er ist Autor mehrerer FachbĂŒcher.

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