Publiziert am: 24.01.2020

Wer ist «die Wirtschaft»?

Für bürgerliche Politiker ist bei Vorlagen, die wirtschaftsrelevant sind, die Haltung der Wirtschaftsverbände ein entscheidendes Argument bei der Beratung in Kommissionen, im Parlament und gegebenenfalls beim Volk in Abstimmungskämpfen. Noch vor nicht allzu langer Zeit genügte denn auch meistens das Argument «Das ist gut für die Wirtschaft», um Abstimmungen in der Schweiz zu gewinnen, in einem Land, das konstant etwa 70 Prozent bürgerlich wählende und stimmende Bürgerinnen und Bürger kennt. Heute ist das nicht mehr der Fall, aus verschiedenen Gründen. Ich nenne zwei, die mir die wichtigsten scheinen.

Erstens ist das Verhalten von Exponenten «der Wirtschaft» wie alles auch den Gesetzen der stärkeren Öffentlichkeit, und damit auch der Kritisierbarkeit, unterworfen. Das ist an sich durchaus zu begrüssen. In der direkten Demokratie hat das aber auch Folgen, deren sich einzelne Unternehmen oder ihre Vertreter nicht immer ausreichend bewusst sind. Übertreibungen in Salärfragen, Fehlverhalten von Führungspersonen, Reputationseinbussen – solche Ereignisse bleiben nicht folgenlos. Wer sich über zunehmende Regulierungsentscheide des Souveräns ärgert, muss wissen: Der Souverän reguliert nur dann, wenn ihm das Vertrauen in die Selbstregulierung der Wirtschaft oder die Antworten der Politik fehlt. Die Minder-Initiative hatte Regulierungsfolgen, die vieles brachten, nur das nicht, was sie behauptete: tiefere Gehälter in Chefetagen. Das war dem Souverän schon im Abstimmungskampf durchaus bewusst. Dennoch war das Volk der Meinung, es müsse ein Zeichen setzen. Regulierungen sind oft Reaktionen auf ein von einer Mehrheit als falsch beurteiltes Verhalten von Wirtschaft und Politik. Diese Grundregel der direkten Demokratie sollte man nicht vergessen, will man wirksam die Regulierungsflut eindämmen.

Zweitens stelle ich eine zunehmende Uneinigkeit zwischen den führenden Wirtschaftsverbänden bei zentralen Themen fest. Das erschwert die Arbeit der Politik, zumal der bürgerlichen, ungemein. Es kommt immer häufiger vor, dass Vorschläge des einen Verbandes von einem andern offen kritisiert, nicht mitgetragen oder im Hintergrund bekämpft werden. Für die bürgerlichen Parteien ist das keine gute Situation, wenn sie in den Kommissionen um mehrheitsfähige Lösungen ringen. Denn wenn «die Wirtschaft» nicht weiss, welche Rahmenbedingungen sie will, was sollen dann Politiker tun, die überzeugt sind, dass gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft eine unverzichtbare Bedingung für den Wohlstand der Schweiz sind?

Das führt mich zu einem Wunsch an die Wirtschaftsverbände (so früh im neuen Jahr erlaube ich mir dies noch): Lassen Sie sich nicht auseinanderdividieren. Sie schwächen sich damit nur selbst. Nehmen Sie Ihren Einfluss wahr, dass die Unternehmen und deren Exponenten nicht nur bestrebt sind, in der jährlichen Ausgabe der «Bilanz» unter den reichsten Schweizerinnen und Schweizern im günstigsten Licht zu erscheinen, sondern sich bewusst sind, dass sie im unternehmerischen Alltag mit ihrem Verhalten entscheidend die Rahmenbedingungen für ihre Unternehmen mitbeeinflussen, im Guten wie im Schlechten. Es gibt nicht die «gute» Wirtschaft der KMU, und es gibt nicht die «weniger gute» Wirtschaft der grossen internationalen Unternehmen. Es gibt nur gute und weniger gute Unternehmer, die so gleichmässig nach der Gauss’schen Kurve über alle Branchen verteilt sind, wie sich Qualitätsunterschiede meistens verteilen. Selbstverständlich gilt das auch für Politiker.

Es gibt nicht «die Wirtschaft», genauso wenig gibt es «die Politik». Es gibt nur Menschen, die sich in Wirtschaft oder Politik engagieren. Diese sind aber angewiesen auf die starke geeinte Vertretung durch Verbände, wollen sie weiterhin die Fundamente des Erfolgsmodells Schweiz erhalten: Direkte Demokratie, eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, und ein massvolles regulatorisches Umfeld.

*Der Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister präsidiert seit 2016 die CVP Schweiz.

www.cvp.ch

www.gpfister.ch

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