Publiziert am: 13.05.2022

Wer sagt’s denn

LEHREN AUS CORONA – Das Bundes­amt für Gesundheit (BAG) hat 2020 eine externe Evaluation über die Bewältigung der Covid-19-Pandemie bis im Sommer 2021 in Auftrag gege­ben. Der Schweizerische Gewerbe­ver­band sieht sich durch den Bericht in seiner Haltung mehr als nur bestätigt.

Am 26. April hat das BAG seinen Bericht zur Covid-19-Krisenbewältigung des Bundes bis im Sommer 2021 veröffentlicht. «Die Evaluation kommt zum Schluss», so das BAG in einer Medienmitteilung, «dass Bund und Kantone die Pandemie grundsätzlich gut bewältigt und meist angemessen auf die Bedrohung reagiert haben.»

«Diese doch einigermassen schönfärberische Formulierung im Hinblick auf die Evaluation, welche das BAG bei einem unabhängigen Expertengremium selbst in Auftrag gegeben hatte, erstaunt kaum», sagt Hans-Ulrich Bigler. «Denn das Amt muss», so der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv weiter, «– für uns wenig verwunderlich – massive Fehler und Probleme eingestehen.»

Kein «verlorener Jahrgang»

So kritisiert der Bericht etwa die Schulschliessungen im Frühling 2020, welche zu grossen Belastungen geführt haben und möglicherweise einschneidende Folgen für die Bildungsentwicklung unzähliger Kinder und Jugendlicher nach sich ziehen werden. Der sgv hat sich damals entschieden dafür eingesetzt, dass die Lehrabschlüsse ordentlich durchgeführt werden konnten. «So haben wir verhindert», sagt der frisch wiedergewählte sgv-Präsident, Unternehmer und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi, «dass wir heute einen ‹verlorenen› Jahrgang von Jugendlichen haben, welche nur einen mit Corona gebrandmarkten Pseudoabschluss vorweisen können und mit entsprechenden Nachteilen ins Arbeitsleben einsteigen müssen.» Der sgv hatte sich nach Kräften dafür stark gemacht, dass echte Prüfungen durchgeführt und die Jugendlichen nicht bloss nach Erfahrungswerten beurteilt worden waren.

Verbote statt gezielter Schutz

Der Bericht kommt weiter zum Schluss, dass strenge und flächendeckende Schutzmassnahmen, wie zum Beispiel Ausgangs- und Besuchsverbote in Alters- und Pflegeheimen, zu grossem Leid geführt haben.

O-Ton aus dem Expertenbericht: «Die Problematik in den Alters-, Pflege- und Betreuungsinstitutionen kam gemäss mehreren befragten Akteuren zu spät auf die Agenda des Bundes. In der Folge seien Betagte sowie Menschen mit Beeinträchtigungen konsequent isoliert worden, mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf das Wohlergehen. Durch einen früheren Austausch und Dialog mit den Verbänden hätten besser austarierte und differenzierte Lösungen gefunden werden können.»

«Nach der vom sgv initiierten und im Covid-19-Gesetz verankerten Logik des gezielten Schutzes, wie wir ihn immer und immer wieder angemahnt haben, hätten genau solche Massnahmen gar nie eingeführt werden dürfen und entsprechendes Leid vermieden werden müssen», kommentiert Bigler lakonisch.

Mangelnde Vorbereitung

Als Ursache für diese Probleme ortet der Expertenbericht die mangelnde Krisenvorbereitung bei Bund, Kantonen und betroffenen Institutionen. Auch das BAG sei «organisatorisch unzureichend auf die Corona-Pandemie vorbereitet gewesen».

Zusammenfassend lasse sich festhalten, «dass das BAG in der Krisenvorbereitung und in der Anfangsphase der Pandemie ein ungenügendes Stakeholder-Management betrieben hat. Viele Interessengruppen wurden in die Krisenvorbereitung und in das Krisenmanagement zu wenig einbezogen. Das BAG sollte im Hinblick auf zukünftige Krisen ein systematischeres Stakeholder-Management betreiben».

Insbesondere zu Beginn der Krise, so der Bericht weiter, «hätten mit einem schnelleren Einbezug der wichtigsten Stakeholder die ersten Entscheidungen zu Schliessungen und Schutzmassnahmen besser auf die gegebenen Realitäten abgestützt werden können».

«Ein klarer Fehler»

Und schliesslich bestätigt der Bericht einmal mehr, was spätestens seit der unmissverständlichen Aussage des ehemaligen «Mister Corona» beim BAG, Daniel Koch, an der gewerblichen Winterkonferenz Klosters im Januar 2022 dem Hintersten und Letzten klar geworden sein muss: «Die vom sgv wiederholt angebrachte Kritik an der Rolle und überhaupt grundsätzlich an der Existenz der Taskforce war richtig», stellt sgv-Präsident Regazzi fest. Denn die Experten kritisieren in ihrem Bericht, dass der Bundesrat sich über die Verordnungen zum Krisenmanagement hinweggesetzt und der Taskforce und nicht den dafür vorgesehenen Organen zentrale Aufgaben des Krisenmanagements übergeben habe. «Das war», sagt sgv-Direktor Bigler – und ich zitiere gerne noch einmal Daniel Koch – ein klarer Fehler.»

Druck muss sein – er wirkt

Ungewollt stellt der Bericht klar, dass der anhaltende und intern breit abgestützte Druck seitens des sgv wichtig und richtig war, um die Interessen der vom sgv vertretenen KMU durchzusetzen. «Es wird weiterhin wichtig bleiben, unsere Interessen unmissverständlich einzubringen», sagt sgv-Präsident Regazzi.

Bundesrat Alain Berset und das BAG haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um Reformmassnahmen im Epidemiengesetz zu diskutieren. Der sgv hat seine diesbezüglichen Vorschläge bereits vor einem Jahr vor den Medien präsentiert. «Jetzt geht es darum», sagt sgv-Direktor Bigler, «diese Vorschläge auch durchzusetzen. Das erfolgt, wie auch schon während der Pandemiezeit, nicht zuletzt über eine dezidierte Kommunikation.»

Unter dem Strich müsste beim Lesen dieses Berichts auch den stärksten Kritikern – und davon gab es während der Krise mehr als genug – klar werden: Druck wirkt. Aber er wirkt nur, wenn er konsequent und hartnäckig ausgeübt wird. Er wirkt nur bei jenen, die sich nicht scheuen, Konflikte nicht bloss anzusprechen, sondern auch tatsächlich auszutragen. Und er wirkt vor allem dann, wenn gewerbliche Verbände und Politik eng zusammenarbeiten. Nicht zuletzt im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen vom kommenden Jahr gilt es, diese Erkenntnis aus der Zeit der Pandemie in Erinnerung zu behalten. Schliesslich ist die nächste Krise schon da.

Gerhard Enggist

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