Publiziert am: 01.07.2022

«Wertschätzung ist wichtig»

CASIMIR PLATZER – Die Gastrobranche hat unter der Pandemie gelitten wie kaum ein anderer Berufszweig. Fast jede sechste Stelle ist verschwunden und der Fachkräftemangel hält an. Dennoch schaut der Präsident von GastroSuisse zuversichtlich in die Zukunft.

Schweizerische Gewerbezeitung: Der Ständerat hat in der Sommersession beschlossen, dass Bestimmungen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrags zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch wider anderslautende Bestimmungen der Kantone vorgehen. Weshalb ist das wichtig?

Casimir Platzer: Der Ständerat hat sich damit klar zur Sozialpartnerschaft bekannt. Das war wichtig, denn sie ist ein Erfolgsmodell und garantiert den sozialen Frieden seit über 100 Jahren. Die allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge sind ein unverzichtbarer Teil dieser Sozialpartnerschaft. Seit dem höchst umstrittenen Bundesgerichtsurteil vom 21. Juli 2017 können kantonale Regelungen die Bestimmungen eines ave Gesamtarbeitsvertrages jederzeit aushebeln. Es drängte sich also eine Klärung des Vorrangs zwischen ave GAV und kantonalen Bestimmungen auf.

«Viele haben sich während der Krise eine neue Arbeit gesucht, vor allem während des zweiten Lockdowns, der immer wieder verlängert wurde.»

Die Pandemie hat Ihren Mitgliedern massiv geschadet. Wie geht es der Branche heute?

Seitdem die Einschränkungen aufgehoben sind, ist im Gastgewerbe eine Aufbruchstimmung zu spüren. Die Gäste gehen wieder ins Restaurant. Die Krise hat aber ihre Spuren hinterlassen. Knapp 700 Tage lang mussten die gastgewerblichen Betriebe während der Corona-Krise mit teils massiven Einschränkungen leben. Die gastgewerblichen Umsätze brachen in den Jahren 2020 und 2021 gegenüber 2019 um rund 40 Prozent ein. Das entspricht einem wirtschaftlichen Schaden von über 20 Milliarden Franken. Die wirtschaftliche und personelle Lage im Gastgewerbe ist daher weiterhin ernst. Es braucht Zeit, bis sich die gastgewerblichen Betriebe erholt haben.

Viele Betriebe haben zudem ihre Reserven aufgebraucht. Im Gastgewerbe wurden während der Krise 17 414 Covid-Kredite in Anspruch genommen. Zwar profitiert so etwa die Hälfte aller Betriebe von einem Überbrückungskredit, doch viele Betriebe haben grosse Probleme, die Kredite bereits jetzt zurückzuzahlen.

Derzeit herrschen keine Corona-Einschränkungen, und das gesell-schaftliche Leben ist wieder zurück. Doch in der Gastronomie fehlen mehr denn je die Fachkräfte. Wohin sind die alle verschwunden?

Das wüssten wir auch gerne. Der Mangel an qualifiziertem Personal ist allerdings ein Problem, das viele andere Branchen auch beschäftigt. Das Gastgewerbe bildet keine Ausnahme. Schon vor der Corona-Krise war es schwierig, Fachkräfte zu finden. Ich führe gemeinsam mit meiner Frau seit 32 Jahren unser Belle Epoque Hotel in Kandersteg. Manchmal war der Mangel stärker ausgeprägt, manchmal weniger. Schon meine Eltern waren Hoteliers, und sie klagten schon vor 50 Jahren, dass sie keine geeigneten Leute finden. Im Moment befindet sich die Branche wieder in einer solchen Mangelphase.

Wie gehen Sie mit der Situation um?

Aragon Christen, der Direktor, und ich haben uns im Februar gefragt, wie unsere offenen Stellen zu besetzen sind. Eine Vier-Tage-Woche können wir nicht anbieten. Dafür schenken wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber ein Gratis-Abonnement für die Benutzung der Bergbahnen. Sie dürfen auch den Spa-Bereich benutzen oder sich eines unserer Mountainbikes ausleihen. Man soll das Leben auch geniessen können. Es war nicht einfach, gute Leute zu finden, aber wir haben für die Sommersaison jede offene Stelle besetzen können.

Warum kehren ehemalige Mitarbeiter nicht mehr in die Branche zurĂĽck?

Viele haben sich während der Krise eine neue Arbeit gesucht, vor allem während des zweiten Lockdowns, der immer wieder verlängert wurde. Wichtig aber ist: Wir reden hier nicht einfach von Leuten, die nicht mehr in der Gastronomie arbeiten wollen, sondern von abgebauten Stellen. 2021 beschäftigte das Gastgewerbe im Jahresdurchschnitt 222 757 Mitarbeitende. Gegenüber 2019 ist die Zahl der Beschäftigten im Jahresdurchschnitt um beinahe 40 000 Personen gesunken – fast jede sechste Stelle (15 Prozent) ist damit auf dem Arbeitsmarkt verschwunden. Bis Ende 2021 konnten coronabedingt kaum neue Stellen geschaffen werden. Dies dürfte sich im Jahr 2022 endlich wieder ändern. Gemäss «Konjunkturumfrage Gastgewerbe» der Konjunkturforschungsstelle (KOF) konnten drei von zehn Betrieben den Personalbestand seit Jahresbeginn wieder aufstocken; das heisst, es sind auch wieder Mitarbeiter in die Branche zurückgekehrt. Viele Betriebe werden sich auch wieder erholen.

Die Mindestlöhne im Gastgewerbe steigen im Jahr 2023 um die Teuerung und zusätzlich bis zu 40 Franken pro Monat. Erwarten Sie, damit zu mehr Fachkräften zu kommen?

Die Löhne sind wichtig und diese Erhöhung trägt ihren Teil dazu bei. Doch die Löhne sind im Vergleich zu anderen Branchen jetzt schon gut. Eine ausgebildete Berufseinsteigerin kommt auf fast 4700 Franken pro Monat, inklusive 13. Monatslohn. Für einen 18-, 19-Jährigen ist das ein guter Lohn. Und wer sich weiterbilden und Karriere machen will, dem stehen alle Türen offen – samt einer schönen Lohnsteigerung. Wenn von den tiefen Löhnen der Gastrobranche geredet wird, sind oft die Löhne der ungelernten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeint, die in Hilfsfunktionen arbeiten. Doch Berufsleute verdienen auch im Vergleich mit anderen Branchen gut.

Ihr Verband will unter anderem Quereinsteiger fördern, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Welches Potenzial sehen sie hier?

Das Potenzial ist schwierig abzuschätzen. Wir haben aber bewährte Ausbildungsangebote, um ungelerntes, auch fremdsprachiges Personal für einen adäquaten Einsatz in unserer Branche auszubilden. Diese Kurse müssen noch mehr genutzt werden. Auch firmenspezifische Schulungen sind im Angebot und finden noch zu wenig Anwendung. Wenn die Kunden nicht zu uns kommen, müssen wir vermehrt zu ihnen – hier sind die Kantonalverbände noch viel näher dran als GastroSuisse. Diese Chance muss genutzt werden.

Können Ukraine-Flüchtlinge dazu beitragen, das Problem zu mildern?

Wir begrüssen, dass ukrainische Flüchtlinge einfachen und raschen Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt erhalten und die Wartefrist aufgehoben wurde. Da für die Ausübung gastgewerblicher Berufe oftmals aber ganz bestimmte Sprachkompetenzen gefragt sind, wird die Massnahme wohl nur einen kleinen Beitrag dazu leisten, die bestehenden Rekrutierungsschwierigkeiten im Gastgewerbe zu beheben. Die grössten Hindernisse sind die Sprachbarrieren. Die Massnahmen des Bundes unterstützen wir aber – auch aus Solidarität und zum Wohl der ukrainischen Flüchtlinge. Das Gastgewerbe steht seit jeher ein für grenzüberschreitende Gastfreundschaft, Gemeinsinn und ein friedliches Zusammenleben.

Welche Chancen geben Sie der Vier-Tage-Woche, von der immer öfter zu lesen ist?

Das ist grundsätzlich eine gute Sache, aber eine Vier-Tage-Woche lässt sich nicht überall einführen. Die Ansprüche der Gäste bestimmen den Arbeitsplan, und z.B. in einem Ferienhotel wollen die Gäste am Morgen und am Abend etwas essen können. Über den Tag sind sie ausser Haus.

Sie selbst sprechen davon, dass den Mitarbeitenden mehr Wertschätzung entgegengebracht werden müsse. Wie kann dies geschehen?

Die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden ist einer der wichtigsten Faktoren. Deshalb ist die gezielte Unternehmerschulung auf den Themen mitarbeiterorientierte Führung und Wertschätzung Teil unseres Fünf-Punkte-Planes. Wir wollen die Unternehmerinnen und Unternehmer sensibilisieren für die Herausforderungen in der Personalführung. Die Ansprüche und Erwartungen der aktuell jungen Generationen haben sich nämlich gewandelt. Lernen wir also damit umzugehen und Mit-Unternehmer zu gewinnen. Mit verschiedenen, auch niederschwelligen und kurzen Seminaren wollen wir informieren und ausbilden, ebenso wie gegenseitige Erkenntnisse im Erfahrungsaustausch gewinnen.

Was sagen Sie jemandem, der neu in die Gastrobranche einsteigen möchte, aber nicht sicher ist, ob er das tun soll?

Die Arbeit im Gastgewerbe hat viele vorteilhafte und schöne Seiten. Unsere Branche ist gastfreundlich und familiär, sie bietet Werte, die jüngeren Generationen heutzutage wichtig sind. Es gibt nichts Schöneres, als einen Gast zu überraschen und ihm ein schönes Erlebnis zu bereiten. Viele möchten darüber hinaus eine attraktive Freizeitgestaltung – die Arbeitszeiten im Gastgewerbe erlauben das. Zudem öffnet das Gastgewerbe eine Vielzahl von Türen – im In- und Ausland. Das sind Aspekte, die oft vergessen gehen. So hat Bundesrat Ueli Maurer an unserer Delegiertenversammlung zu Recht gesagt, dass wir im Gastgewerbe einen der schönsten Berufe haben, die es gibt.

Interview: Rolf Hug

www.gastrosuisse.ch

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