Publiziert am: 01.05.2020

Wertvoller Lehrabschluss trotz Krise

QUALIFIKATIONSVERFAHREN – Rea Wärmelinger beendet im Mai ihre Lehre als Malerin. Trotz Covid-19 ist sie voll motiviert und bereitet sich unter erschwerten Bedingungen auf der Baustelle oder in der Firma auf die praktische Abschlussprüfung vor. Für sie ist dies ein wichtiger Ausweis für ihre zukünftige Karriere.

Der Corona-Notstand wirkt sich stark auf die Berufsbildung aus. Lernende büffeln den Schulstoff im Fernunterricht. Einige sind derzeit in ihren Lehrbetrieben sehr gefordert, andere dürfen aufgrund von Geschäftsschliessungen oder Kurzarbeit gar nicht mehr arbeiten. Trotz der aussergewöhnlichen Situation können die jungen Frauen und Männer ihren Lehrabschluss mit einem eidgenössischem Fähigkeitszeugnis oder einem eidgenössischen Berufsattest auch dieses Jahr absolvieren. Dies hat der Bundesrat am 9. April im Rahmen eines «Spitzentreffens Berufsbildung» mit den Verantwortlichen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungs­direktoren (EDK) sowie den Sozialpartnern beschlossen. Dieser Entscheid ist auch ganz im Sinne des Schweizerischen Gewerbeverbandes sgv, der sich vehement für die angepassten Qualifikationsverfahren eingesetzt hat (siehe Kasten).

Direkt betroffen davon ist Rea Wärmelinger. Die junge Frau absolviert zurzeit bei der Rolf Schlagenhauf AG im züricherischen Meilen ihre Ausbildung zur Malerin EFZ. Ihr Arbeitsalltag läuft normal ab mit kleinen Einschränkungen. «Wir halten selbstverständlich den Zwei-Meter-Abstand ein und vermeiden Kundenkontakt. Auf der Baustelle arbeiten daher weniger Leute.» Die Theorie bekommt die 19-Jährige online vermittelt. «Wir können unsere Aufgabe via App selbst erarbeiten. Nach einem holprigen Einstieg funktioniert das gut.» Werkstatt-Kurse für die Lehrabschlussprüfung sowie das Lern- und Sportlager in Fiesch wurde abgesagt, was Rea Wärmelinger sehr bedauert. Sie würde gerne die Berufsfachschule besuchen. «Dort kann ich besser lernen. Der Unterricht ist authentischer. Vieles ist dank praktischen Beispielen vor Ort leichter zu verstehen. Ebenso fehlt mir der Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen.» Am 8. Juni wäre ihre theoretische Lehrabschlussprüfung. Die fällt nun aufgrund der aktuellen Situation ins Wasser. Anstelle der Testnoten zählen Erfahrungsnoten – ein Durchschnitt der letzten Zeugnisnoten.

Für Rea Wärmelinger spielt es keine grosse Rolle, da sie über gute Vornoten verfügt. Doch hätte sie gerne an einem abschliessenden Test gezeigt, was sie in den letzten drei Jahren gelernt hat. Dies gilt auch für die praktische Prüfung, die Anfang Mai und Juni über die Bühne gehen soll. «Ich freue mich, mein praktisches Wissen unter Bewies stellen zu können. Für mich ist dies einerseits ein offizieller Beweis, dass ich meinen Job beherrsche, und andererseits ein wichtiger Ausweis für die Zukunft.» Besonders schätzt sie, dass sie sich während der Arbeit und auch an Übungswänden in der Firma auf die praktische Prüfung vorbereiten kann. «Das ist momentan nicht selbstverständlich. Ich habe Kollegen, die können nicht arbeiten, weil das Geschäft geschlossen ist.» Wie es nach der Lehre weitergeht, weiss die Malerin noch nicht. «Ich will noch ein paar Jahre auf meinem Beruf arbeiten.»

Die meisten Lehrstellenbereits besetzt

Die Schlagenhauf AG ist auf Gesamtsanierungen aus einer Hand spezialisiert. Als führende Anbieterin von Baudienstleistungen im Bereich Malen, Gipsen, Fassade- und Gerüstbau, Bodenlegen bildet sie insgesamt ­25 Lernende aus. Davon beenden neun im Sommer ihre Ausbildung. Inhaber Rolf Schlagenhauf, der das KMU in der dritten Generation führt, hat seinen Betrieb kurzfristig umorganisiert, so dass gemäss den BAG-Richtlinien gearbeitet werden kann. Dazu gehört auch das Lehrlingswesen. «Ich bin sehr froh, dass unsere jungen Berufsleute mindestens die praktische Prüfung absolvieren können. Das ist auch psychologisch wichtig.» Einige davon werden vorerst in der Firma bleiben. «Wir haben acht von neun möglichen Lehrstellen bereits besetzt und die eine Stelle werden wir auch noch vergeben können.»

In diesem Sommer schliessen insgesamt 500 bis 600 Malerinnen und Maler EFZ sowie rund 120 Malerpraktikerinnen und -praktiker EBA ihre Ausbildung ab. Bei den Gipsern und Trockenbauern sind es 113 EFZ- und 45 EBA-Absolventinnen und -Absolventen. «Die praktischen Prüfungen werden analog den letzten Jahren durchgeführt. Um die erforderlichen Sicherheitsabstände einzuhalten, wird in einigen Prüfungszentren nur jeder zweite Arbeitsplatz belegt», erklärt Mario Freda, Zentralpräsident des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbands SMGV. Er begrüsst den Entscheid vom 9. April. «Die jungen Leute müssen ihre Arbeitstauglichkeit unter Beweis stellen können. Gerade in den handwerklichen Berufen ist es wichtig, die praktische Prüfung durchzuführen. Die Abschlüsse gehören unter anderem zu den Kriterien für einen späteren Stellenwechsel.»

Rekrutierung von Jugendlichen

Die Covid-19-Krise macht aber auch die Rekrutierung von neuem Berufsnachwuchs schwierig: «Zum einen werden momentan weniger Schnupperlernende eingeladen, da eine Unsicherheit seitens Lehrbetriebe, aber auch von Eltern da ist. Demzufolge werden Abschlüsse für Lehrverträge eher herausgeschoben und bestehende gar aufgelöst.» Auch die wirtschaftliche Situation hat einen grossen Einfluss auf die Bereitschaft, Lernende auszubilden. «Unsere Branche steht vor einer wirtschaftlich ungewissen Zukunft. Die Unternehmungen haben zum Teil noch volle Auftragsbücher, doch bald fehlen konkrete Aufträge», gibt Freda zu bedenken und konkretisiert: «Die seriöse Betreuung und Ausbildung von Lernenden ist auch eine finanzielle Frage und benötigt einen grossen personellen Aufwand.» Ebenso rechnet der Zentralpräsident damit, dass das Interesse an den Maler- und Gipser-Berufen tendenziell zurückgehen wird. Dies führt er darauf zurück, dass vorläufig keine Berufsmessen und auch Berufswahlunterricht durchgeführt werden. Doch er ist zuversichtlich, dass die Kreativen am Bau, die Maler und Gipser, mit kreativen Massnahmen diese Krise und schwierigen Zeiten meistern können.

Silvan Hotz, Präsident Schweizer Bäcker-Confiseure SBC, spürt bei seinen Mitgliedern eine grosse Aufbruchstimmung und viel Unternehmergeist. «Es werden neue Projekte vorangetrieben.» In diesem Sommer absolvieren über 700 junge Berufsleute EFZ und EBA in der Produktion ihre Ausbildung. Hotz ist zuversichtlich, dass auch die neuen Lehrstellen in der Branche bald besetzt sind: «Eine Schnupperlehre funktioniert unter Einhaltung der hygienischen Regeln in den meisten Betrieben gut, auch wenn wir im Moment nicht das ganze Sortiment und auch mengenmässig weniger herstellen.» Auch Peter Lyner – er führt die renommierte Bäckerei Lyner in Winterthur und amtet als Präsident des Zürcher Bäcker-Confiseur-Meister-Verbands ZH – ist überzeugt, dass die Corona-Krise das Stellenangebot für Lehrabgänger nicht gross beeinflusst. Eine gut ausgebildete Fachkraft mit Einsatzwillen und Freude am Beruf wird immer eine Stelle finden. Der Markt wird sich verändern, die Betriebe benötigen aber gerade in dieser Zeit flexible und leistungsstarke Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.» Auch der Schweizerische Gewerbeverband sgv engagiert sich aktiv für die Stärkung der Berufswahlvorbereitung. Im «Steuergremium BB2030» setzt er sich dafür ein, dass sich einerseits die Kantone in den Volksschulen noch intensiver mit dem Thema befassen und die Jugendlichen und Eltern vermehrt informieren. «Andererseits müssen aber auch Berufsverbände und Betriebe ihre Ausbildungsbereitschaft kundtun und die Arbeits- und Karrieremöglichkeiten in ihren Berufen aufzeigen – trotz Corona», betont Christine Davatz, sgv-Vizedirektorin und Verantwortliche für die Berufsbildung. Corinne Remund

www.berufsbildung2030.ch

www.smgv.ch

www.swissbaker.ch

Position des SGV

Grünes Licht für LAP

Die Organisationen der Arbeitswelt OdA können auch dieses Jahr unter Einhaltung des Notrechtes in ihren Berufen die praktische Prüfung durchführen. Dies hat der Bundesrat am nationalen Spitzentreffen der Berufsbildung vom 9. April entschieden. Dies ist vor allem für Berufe im handwerklichen oder technischen Bereich wichtig. Der Schweizerische Gewerbeverband sgv hat sich an vorderster Front dafür eingesetzt, dass jede OdA dies selbst entscheiden kann und nicht die Behörden bestimmen, ob eine praktische Arbeit durchgeführt werden kann oder nicht: «Gerade für handwerkliche Berufe ist es wichtig, dass die jungen Berufsleute ihre praktischen Fähigkeiten abschliessend zeigen und so ihren Leistungsausweis ablegen können», erklärt Christine Davatz, sgv-Vizedirektorin und Verantwortliche für die Berufsbildung. Und sie konkretisiert: «Damit beweist das schweizerische Berufsbildungssystem seine Leistungsfähigkeit.» Einzig dort, wo ein Kanton die Schutzbestimmungen nicht einhalten kann, werden keine praktischen Prüfungen durchgeführt. CR

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