Publiziert am: 10.12.2021

«Wettbewerb muss spielen»

ANDREAS ZÜLLIG – Der Präsident von HotellerieSuisse zeichnet ein wieder komplizierter gewordenes Bild für die Wintersaison. Noch viel länger als Corona beschäftigt ihn allerdings die «Lex Booking»: Grosse Buchungsplattformen missbrauchen ihre Marktmacht und schaden damit den KMU.

Schweizerische Gewerbezeitung: Als Hotelier spüren Sie die Auswirkungen der Covid-Pandemie am eigenen Leib. Gleichzeitig sind Sie als Präsident von HotellerieSuisse und Vorstandsmitglied im Schweizerischen Gewerbeverband an der Erarbeitung von Lösungen beteiligt. Wie konnte der sgv den stark betroffenen Tourismus-Sektor in der Pandemie unterstützen?

Andreas Züllig: Der sgv konnte sehr gut unterstützen. Die Verbände haben ihre Kräfte gebündelt und diese Zusammenarbeit war für die gesamte Wirtschaft sehr wichtig, denn der Schock, den diese Pandemie ausgelöst hat, war gewaltig. Das hat zusammengeschweisst. Unser Netzwerk funktionierte zudem sehr gut. Dieses hatten wir schon vor der Pandemie und kann nicht in kurzer Zeit aufgebaut werden. Die Personen haben sich gekannt und einander vertraut. Das war entscheidend. Wir konnten daher schnell und gut kommunizieren und funktionieren. Auf diesem Netzwerk und Vertrauensverhältnis müssen wir weiter aufbauen.

Es ist zu befürchten, dass sich der Fachkräftemangel in von Corona stark betroffenen Branchen verstärkt, weil die Arbeitnehmer in krisenresistentere Branchen abwandern. Spüren Sie diesen Trend?

Ja, denn strukturell ist das die grösste Herausforderung, die die Krise mit sich bringt. Fachkräftemangel und demografischer Wandel waren seit Längerem bestehende Probleme, die nun durch die Krise noch massiv verstärkt wurden. Es herrscht grosse Unsicherheit, die Menschen fragen sich: «Habe ich in 2 bis 3 Monaten noch einen Job?»

Im Gastgewerbe kennen wir diese Probleme und wissen, wo wir ansetzen müssen. Zum Beispiel beim Image: Unsere Branche ist abwechslungsreich, international und sympathisch. Man erhält direkt viel Wertschätzung von den Gästen für seine Arbeit, was nicht in vielen Berufen der Fall ist. Weiter verstärken müssen wir auch die Nachwuchsförderung und die Berufsbildung. Es geht darum, die Betriebe zu sensibilisieren. Wie geht man mit den heutigen Jungen um? Was haben sie für Bedürfnisse? Ein weiterer Faktor ist, dass bei uns rund 50 Prozent der Angestellten keinen Abschluss haben, aber gute Mitarbeiter sind. Wie können wir sie durch bestehende Aus- und Weiterbildungen fördern und sie noch mehr qualifizieren? Ich sehe hier ein riesiges Potenzial, ebenso bei der Teilzeitarbeit. Es braucht mehr mehr Flexibilität, auch in den Arbeitsmodellen. Und wir Arbeitgeber müssen noch etwas kreativer werden. Wir haben zum Beispiel einen Hotel-Kindergarten, der den Kindern unserer Mitarbeitenden offen steht. Dasselbe gilt für den Mittagstisch.

Derzeit überwiegt die Unsicherheit, was im Kanton Graubünden mit der Grenze zu Österreich ganz besonders zu spüren ist – Stichwort Samnaun-Ischgl. Wie präsentiert sich die Lage aus Ihrer Sicht?

Stark gelitten haben zunächst die Stadthotellerie und die Eventhotels. Denen wurde praktisch der Stecker gezogen. Andere haben profitiert, weil sie stark auf Schweizer Gäste fokussiert haben. Das Tessin wurde fast überrannt im Sommer. Auch Graubünden, Jura oder Goms im Wallis hatten einen guten Sommer. Eher abgelegene Angebote, die mit dem öV einfach zu erreichen sind und eine gute Infrastruktur haben. Das sind Stärken, die durch die Krise mehr wahrgenommen werden. Ich gehe davon aus, dass dieser Effekt nachhaltig ist. Und in Bezug auf Samnaun-Ischgl muss man sagen, dass viele Schweizer nicht nach Österreich in die Skiferien fahren, sondern in der Schweiz bleiben. Der Kanton Graubünden profitiert auch davon.

Wie sieht es derzeit mit dem Buchungsstand für die Winter­saison aus?

Vor drei Wochen hätte ich gesagt: «Wir sind gut unterwegs, die Tal­sohle ist durchschritten, wir haben viel Schnee.» Die ganzen Einreisebestimmungen, die von vielen Ländern sehr kurzfristig eingeführt wurden, haben jetzt aber zu einer gros­sen Verunsicherung geführt. Die Unternehmer haben keine Planungssicherheit, nicht mal für die Festtage. Es ist eine sehr schwierige Situation.

Kommen wir zur Frage, wie die Menschen ihre Ferien buchen: Die Hotellerie kämpft seit Jahren mit den Buchungsplattformen, Stichwort «Lex Booking». Was ist genau das Problem?

Grundsätzlich sind es die vertraglichen Bedingungen, die Booking den Hotels macht. Es ist beispielsweise nicht erlaubt, auf der hoteleigenen Website ein günstigeres Angebot zu machen als auf der Booking-Plattform. Das ist für uns ein Machtmissbrauch, eine Monopolstellung. Booking beherrscht 75 Prozent des Markts. Für uns ist es zudem sehr wichtig, dass wir die gleichen Bedingungen haben wie unsere Nachbarländer. Diese haben die Bestpreisklausel bereits verboten. Die Schweiz hat hier einen Wettbewerbsnachteil. Wir wollen, dass die Unternehmer frei sind in der Preisgestaltung, damit der Wettbewerb wieder spielt.

Andererseits bieten diese Plattformen doch auch eine enorm hohe Sichtbarkeit?

Das ist so, und gerade für kleine Hotels auch eine Chance. Wir sind ja nicht per se gegen diese Plattformen – im Gegenteil: Was sie tun, ist wichtig und richtig und sie sollen dafür auch etwas bekommen. Aber derzeit missbrauchen sie ihre Marktmacht, können bei abhängigen Betrieben, die 50 Prozent und mehr ihrer Buchungen über diese Plattformen erhalten, die Preise und Provisionen anheben wie es ihnen gefällt, denn diese Hotels können logischerweise nicht einfach aussteigen. Das darf nicht sein.

Wieviel Prozent kassiert Booking denn konkret?

Zwischen 15 und 20 Prozent.

Die Provisionen sind das Eine – Sie haben es aber gesagt: Sie stören sich auch am Standortnachteil. Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich haben die Paritätsklauseln verboten. Im November hat der Bundesrat die Botschaft zur «Lex Booking» veröffentlicht. Ist die Hotellerie mit Ihren Forderungen jetzt am Ziel?

Noch nicht ganz. Die Lösung des Bundesrats geht uns zu wenig weit. Nebst den Paritäts- geht es auch um Buchungsklauseln. Es gibt Upgrades, zum Beispiel ein kostenloses Glas Champagner bei der Anreise für den Gast. Das sind Angebote, die Booking offeriert, aber der Unternehmer bezahlen muss. Dann die kostenlose Stornierung bis 18 Uhr. Auch hier: Das Hotel trägt das Risiko. Das Verfalldatum von Hotelzimmern ist immer am selben Tag. Ein nicht verkauftes Zimmer kann ich nicht morgen wieder ins Regal stellen und versuchen, es erneut zu verkaufen. Das ist verloren. Diese Dinge stören uns, weil die Plattformen hier ihre Marktmacht missbrauchen. Ich wiederhole: Der Wettbewerb spielt einfach nicht.

Wichtig erscheint mir zu erwähnen, dass wir uns über die globalen Player keine Sorgen machen müssen. Die schauen schon für sich. Aber wir müssen zu unseren KMU schauen. Das sind Ausbildungsbetriebe, sie bieten hier Arbeitsplätze an. Booking hat keine Arbeitsplätze in der Schweiz. Ich bin sicher nicht für mehr Regulierungen, aber hier spielt der Markt einfach nicht.

Die digitalen Anbieter haben sich gut positioniert und sind etabliert. Hat die Hotellerie vielleicht auch einfach die Digitalisierung verschlafen?

Das kann man schon so sehen. Es gibt kleine Hotels, die haben keine Marketingabteilung und lagern den Verkauf an Buchungsplattformen aus. Das ist aber auch okay, denn das ist ein unternehmerischer Entscheid. Genauso gibt es Hotels, die auf ihren Websites mit eigenen Tools mehr bieten können als die internationalen Plattformen: Wellnessangebote, Ski mieten etc. Es ist ein ganzer Dienstleistungsservice, der vollumfänglich dem Kunden zugutekommt. Hier soll jedes Unternehmen für sich entscheiden, was das Beste ist.

Interview: Adrian Uhlmann

ZUR PERSON

Andreas Züllig (63) ist seit 1991 Gastgeber im Hotel Schweizerhof auf der Lenzerheide. Er ist seit 2015 Präsident von HotellerieSuisse und ist in dieser Funktion Mitglied des Vorstands des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv und des Vorstandsausschusses von economiesuisse.

www.schweizerhof-lenzerheide.ch

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