Publiziert am: 06.10.2017

Wie viel China braucht die Schweiz?

SCHWEIZ – CHINA – Im Zuge grosser Akquisitionen von internationalen, auch schweizerischen Unternehmen durch chinesische ­Firmen werden in Politik und Medien vornehmlich Gefahren bewirtschaftet, ohne auf die Chancen einzugehen.

Besteht die Gefahr, dass die Schweiz ihre unternehmerischen Flaggschiffe, langjährig aufgebaute Marken oder gar unverzichtbares, exklusives Know-how in fremde Hände verlieren wird? Im Zuge grosser Akquisitionen von internationalen, auch schweizerischen Unternehmen durch chinesische Firmen klingen bei den Politikern die Alarmglocken und bei den Medien die Schlagzeilen. Dabei werden – einmal mehr – vornehmlich Gefahren bewirtschaftet, ohne auf die Chancen einzugehen.

Gezielte Diversifizierung

Im Zuge des vor nunmehr drei Jahren erfolgreich gestarteten Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China besteht ein grosses volkswirtschaftliches Interesse, die gegenseitigen Geschäftsbeziehungen signifikant auszubauen, gerade für die Schweiz. Die in Jahrzehnten aufgebauten Geschäftsbeziehungen in den europäischen und insbesondere in den deutschen Markt haben die Schweiz nicht nur reicher, sondern auch wirtschaftlich und politisch abhängiger gemacht. Eine gezielte internationale Diversifizierung der Absatzmärkte und Geschäftsbeziehungen der Schweiz tut deshalb not. China bietet sich als einer der besonders interessanten Partner an.

Abhängigkeiten nicht im Osten

Obwohl die Schweizer Grossbanken mehr ausländisch denn schweizerisch kapitalisiert sind, werden sie als systemrelevant eingestuft. Der Schweizer Steuerzahler bleibt im Seitenwagen und trägt Risiken mit, die nicht nur an der Zürcher Bahnhofstrasse entschieden werden. Die Aufregung über die finanziellen Engagements des Staatsfonds von Singapur oder Dakar hielt sich in Grenzen. Wenn es sich aber zum Beispiel um ehemalige Tochtergesellschaften der seinerzeitigen Swissair handelt, die von einem global tätigen chinesischen Investor übernommen wurden, dann setzt man bereits grosse Fragezeichen. Kaum der Rede wert, dass das strategisch und volkswirtschaftlich wichtige Luftverkehrskreuz Zürich längst durch die deutsche Lufthansa betrieben wird, jedenfalls solange die Schweizer Politik in der Lage ist, die Rahmenbedingungen nach deren Gusto zu gewährleisten.

Besonders aufmerksam ist die Öffentlichkeit, seit bekannt ist, dass der Schweizer Agrokonzern Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern ChemChina übernommen werden soll. Weit weniger Stress gab es dagegen bei der Übernahme von einzelnen Uhrenmarken oder Hotels, für die sich kaum mehr ein Schweizer Investor zu interessieren vermochte. Immerhin sind in beiden Branchen die Eigentümer mehrheitlich längst im Ausland angesiedelt. Selbst im Fall der chinesischen Übernahme von SIGG mit ihren innovativ geschaffenen Bottles sind wir noch weit davon entfernt, schweizerisches Tafelsilber zu gefährden.

Die von China in der Schweiz in den letzten Jahren investierten Mittel entsprechen pro Jahr etwa 1,5 bis 5 Milliarden Franken, knapp zehn Prozent der chinesischen Investitionen in Europa. Im Verhältnis zum Handelsumsatz der Schweizer Börse pro Jahr mit rund 1,3 Billionen Franken sieht das nicht gerade nach einer grossen Bedrohung aus.

Schweizer Volkswirtschaft 
zielt nach Osten

In der offiziellen Politik stehen bezüglich Diversifikation und Ausbau der internationalen Geschäftsbeziehungen vor allem die sogenannten BRICS-Staaten im Vordergrund, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Dort kann nicht nur auf lange Geschäftsbeziehungen gesetzt werden. Vielmehr steigt die Kaufkraft in diesen Ländern schnell, das BIP entsprechend ebenfalls, was sich auch günstig auf die Investitionspotenziale auswirkt. In diesem 5er-Klub zeichnet sich allerdings einzig China durch eine gewisse Stabilität und – soweit es die Unternehmen und Investoren betrifft – auch durch eine laufend bessere Rechtssicherheit für die Unternehmen und Investoren aus. Die Schweiz kann in China auf sehr viel Goodwill bauen, weil die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen bereits auf eine über 60-jährige Tradition zurückblicken können. Das neue Free Trade Agreement verschafft in den Beziehungen zwischen China und der Schweiz ­einen zusätzlichen Vorteil, den es zu nutzen gilt.

Geschäfte mit chinesischen Partnern basieren vornehmlich auf persönlichen Beziehungen, die über eine längere Zeit aufgebaut und natürlich gepflegt werden müssen. Investitionen der Chinesen in schweizerischen Unternehmen erweitern deshalb nicht nur das persönliche Beziehungsnetz zwischen chinesischen und schweizerischen Entscheidungsträgern, sondern legen die Grundlage für langfristig angelegte Kooperationen und für den Zutritt einer wachsenden Zahl von Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmern in den weltweit grössten Absatz- und Produktionsmarkt. Das gilt im besonderen Masse für die KMU-Wirtschaft.

Diversifikationsstrategie 
hüben und drüben

Auf chinesischer Seite wird sehr breit und engagiert für Investitionen aus der Schweiz in China geworben. Ini­tialinvestitionen von mittelgrossen Schweizer Unternehmen sind ebenso willkommen wie direkte Engagements und Beteiligungen an chinesischen Unternehmen. Diesbezüglich stehen die chinesischen Regionen und Städte untereinander in einem starken Wettbewerb. Freie Handels- und Produktionszonen, kostenfreie Nutzung von Flächen und personellen Backoffice-Ressourcen in den ersten Jahren, aber auch internationale Schulen, Gesundheitsversorgung und Unterstützungsprogramme erleichtern den Start von Schweizer Unternehmen in China, geben Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, und verringern das unternehmerische Risiko der KMU.

Auch auf chinesischer Seite sorgt man sich um einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Branchen oder Produkten, einzelnen Unternehmen oder Absatzmärkten. Chinesen verfolgen deshalb auf städtischer, regionaler wie auf Provinz-Ebene klassische Cluster-Strategien, die drei oder vier Wirtschaftssektoren in den Fokus nehmen. Infrastruktur- und Bildungspolitik werden auf die entsprechenden strategischen Ziele abgestimmt. So begegnen die Schweizer Unternehmen in China von zu Hause bereits bestens bekannten Konzepten.

Weniger abhängig von Nachbarn

Die chinesischen Unternehmen werden von der Politik in China aber ebenfalls ermuntert, in der Schweiz nach Partnern Ausschau zu halten und und Joint ventures einzugehen. Sie wollen damit im internationalen Wettbewerb möglichst schnell aufschliessen und von den Erfahrungen der Schweizer Unternehmer profitieren können.

Mit Blick auf die grossen ökologischen Herausforderungen Chinas geht es aber auch darum, zwei Generationen zu überspringen und für die Entwicklung des Landes die besten Konzepte und Technologien für eine nachhaltige Zukunft zu nutzen und einzusetzen. Gerade weil die Schweizer Wirtschaft hier ideale Voraussetzungen mit sich bringt, sollten uns chinesische Engagements hierzulande nicht erschrecken, sondern ermuntern, als Partner hüben wie drüben mitzuwirken. Auf der Unternehmens- wie auf der volkswirtschaftlichen Ebene öffnen sich Perspektiven, die uns letztlich weniger abhängig machen von unseren unmittelbaren Nachbarstaaten.

Robert E. Gubler

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