Publiziert am: 10.07.2015

«Wir sind bereit zu gewinnen!»

RICO CIOCCARELLI – Der Technische Delegierte hofft, dass die Schweiz an den WorldSkills in São Paulo mehr als ihren Titel verteidigt und an die Spitze rutscht – doch die Konkurrenz ist stark.

Schweizerische Gewerbezeitung: Freuen Sie sich auf die WorldSkills in São Paulo?

n  Rico Cioccarelli: Ich freue mich sehr auf den Wettkampf in Brasilien. Dies ist jedes Mal wieder eine grosse Herausforderung und eine Chance für unsere jungen Berufsleute, sich mit anderen Nationen zu messen und so zu erfahren, wo sie sich im internationalen Berufsfeld einordnen. Ebenso gibt es der Schweiz einmal mehr die Gelegenheit, der ganzen Welt zu zeigen, wie gut unser duales Bildungssystem ist. Andere Länder beneiden uns zum Teil auch darum. Sie kennen es zwar, können es aber selber nicht umsetzen.

Die Vorbereitungen für die Berufsweltmeisterschaften im August laufen auf Hochtouren. Wie ist der Stand der Vorbereitungen?

n  Momentan werden die Werkzeuge für den Transport vorbereitet. Brasilien kennt das Zollfreisystem nicht. Dies bedeutet, dass sämtliche Werkzeuge und Berufsmaterialien, die wir einführen, fein säuberlich mit Bezeichnung, Herstellerummern (bei Maschinen), Warenwert und Gewicht aufgelistet werden müssen. Dies ist das erste Mal, dass der Materialtransport derart aufwendig und dementsprechend auch sehr teuer ist.

Welches sind die grossen Herausforderungen, die das Schweizer Team vor dem endgültigen Start noch zu bewältigen hat?

n  Das ist je nach Verband unterschiedlich. Die einen trainieren noch an Vier- und Fünfländercups, während die anderen den grössten Teil ihrer Vorbereitungen abgeschlossen haben.

«Die Teilnehmerzahl von Leipzig zu São Paulo hat sich um 23 Prozent gesteigert.»

Dieses Mal finden die Wettkämpfe nicht in Europa, sondern in Brasilien statt. Beeinflussen bestimmte Faktoren, wie beispielsweise die Zeitverschiebung, die Rahmenbedingungen?

n  Die Zeitverschiebung beträgt fünf Stunden und dürfte von unseren jungen Berufsleuten problemlos bewältigt werden. Wir sind frühzeitig dort – im sogenannten Precamp können sich die Kandidatinnen und Kandidaten in Ruhe akklimatisieren. Wir hoffen, dass vor Ort alles auf Kurs ist. Gäbe es Schwierigkeiten, so würden wir dies als Herausforderung betrachten, die uns nur stärken kann.

«Die Anforderungen
werden immer anspruchsvoller und die Welt schläft nicht.»

Wie erfahren Sie die Zusammenarbeit mit den brasilianischen Verantwortlichen?

n  Die Brasilianer sind sehr angenehme Leute. Allerdings, was die Informationen bezüglich des Wettbewerbs betrifft, sind sie äusserst zurückhaltend. Sie denken wohl, je später sie gewisse Details preisgeben, desto grösser ist die Chance für ihr Land, ganz vorne mit dabei zu sein.

Eine ganz grosse Herausforderung ist der Verkehr bzw. der Anfahrtsweg zum Wettkampfgelände. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind in einem Hotel direkt auf dem Wettbewerbsgelände untergebracht und davon nicht betroffen, aber die Expertinnen und Experten sowie das restliche Schweizer Team wohnen acht Kilometer entfernt. Dies bedeutet unter Umständen bis zu zwei Stunden Fahrzeit.

Die WorldSkills 2015 in São Paulo gelten als der grösste Berufsbildungsevent aller Zeiten. Was bedeuten diese Dimensionen für Teilnehmende und Organisatoren?

n  Vor zwei Jahren in Leipzig waren 68 Nationen mit 999 Teilnehmenden vertreten, in São Paulo sind es 74 Nationen mit 1224 Kandidaten – also eine Steigerung von 23 Prozent. Die WorldSkills werden rein von der Teilnehmerzahl her immer grösser. Dies bedingt, dass auch bei den einzelnen Berufen die Wettkämpfer zunehmen, entsprechend müssen Infrastruktur und Organisation angepasst werden. So sind es bei den Automechatronikern 42, bei den Webdesignern und Elektrikern 40 Kandidaten. Das Wettbewerbsgelände umfasste in Leipzig 140 000 m2, in São Paulo 230 000 m2. Zudem erstreckt sich das Gelände in Brasilien über eineinhalb Kilometer, was gerade für die Teamleader und den Technischen Delegierten beim Zirkulieren zu den einzelnen Berufen zu einer körperlichen Herausforderung werden dürfte.

Sie sind an den Vorbereitungsweekends der Stiftung SwissSkills mit dabei. Welchen Eindruck haben Sie von den 40 Kandidatinnen und Kandidaten?

n  Es ist immer wieder beeindruckend, welche Entwicklung die jungen Leute vom ersten Treffen Anfang Januar bis zum Wettkampf machen. Sie wachsen immer mehr zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Es ist ein schlagkräftiges Team und wir sind bereit zu gewinnen.

Von den 40 Schweizer Teilnehmenden sind 8 Frauen. Ist dieser Anteil nicht etwas zu gering?

n  Es gingen noch nie so viele Frauen an den Start. Das weibliche Geschlecht ist sehr willkommen, es mischt das Team auf. Toll ist es, dass dieses Jahr mit der Carrossierin Lackiererei Angela Jans eine Frau in einer eigentlichen Männerdomaine antritt.

Wie gross sind die Unterschiede bezüglich des Ausbildungsniveaus der verschiedenen Länder?

n  Es ist unterschiedlich. Zum Teil gibt es grosse Differenzen, wobei neue Länder, beispielsweise aus Afrika oder aus dem Osten, noch etwas Nachholbedarf haben. Es gibt auch Länder, wie beispielsweise Brasilien, die gewaltig aufgeholt haben, so dass wir aufpassen müssen, dass wir von ihnen nicht überrollt werden. Die ersten drei Ränge des Nationenrankings werden sich unter den acht stärksten Nationen – Korea, Japan, Taiwan, Brasilien, Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz – entscheiden.

Vor zwei Jahren hat die Schweiz in Leipzig ihren Titel als beste europäische Nation an den World Competitions erfolgreich verteidigt und den 2. Gesamtplatz hinter Korea belegt. Kann das Schweizer Team auch dieses Jahr die Spitzenposition halten?

n  Ich hoffe, dass wir uns dieses Mal noch verbessern können. Unser Ziel ist es, in der Nationenwertung an der Spitze zu stehen. Es wird aber schwierig, wir habe eine sehr starke Konkurrenz, die nicht schläft.

«Wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen und müssen dranbleiben.»

Sie haben als ehemaliger Chef­experte sowie langjähriger Technischer Delegierter grosse Erfahrung und kennen auch das Umfeld entsprechend. Was hat sich in den letzten Jahren geändert?

n  Die internationale Bedeutung dieser Berufs-WM hat gewaltig zugenommen. Die WorldSkills sind von der Teilnehmerzahl, aber auch infrastrukturell und organisatorisch gewachsen. Die Anforderungen werden immer anspruchsvoller. Viele Länder haben sich bezüglich der Ausbildung ihres Berufsnachwuchses enorm entwickelt und einen immensen Schritt nach vorne gemacht. Beispielsweisse Russland, aber auch China und Indien legen sich ins Zeug, um an der Spitze mitzumischeln. Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, wir seien unangefochten die Besten und könnten uns auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir sollten dies zur Kenntnis nehmen und gerade auch deshalb unser duales Bildungssystem hegen, pflegen und fördern. Wir müssen dranbleiben, um weiterhin ganz vorne mithalten zu können.

Interview: Corinne Remund

ZUR PERSON

Zum 13. Mal dabei

Mit viel Herzblut und Engagement für die Berufsbildung

Rico Cioccarelli ist als Technischer Delegierter Mitglied der Teamleitung. Dabei führt und betreut er die Schweizer Expertinnen und Experten sowie das Übersetzerteam. Seine Aufgabe besteht unter anderem darin, WoldSkills International in sämtlichen technischen Aufgaben und Herausforderungen zu unterstützen. Von 1991 bis 2005 war der Plattenlegemeister selber Experte. Er ist dieses Jahr zum 13. Mal an den Berufsweltmeisterschaften. Er führt zudem in Thusis ⁄Chur sein ­eigenes KMU, die «Cioccarelli Baukeramik». CR

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