Publiziert am: 10.12.2021

Wohlfühlen als oberste Priorität?

Vor Kurzem hat mir ein Freund von einem Kindergarten­erlebnistag seines Kindes in der Schweiz erzählt. Für 21 Kinder und einige anwesende Eltern standen sieben Betreuer zur Verfügung. Als Begrüssungsritual mussten die Eltern sich die Hand geben und einen Tanz aufführen, um sich in Wohlfühlstimmung zu versetzen. Das heisst, Wohlfühlen ist hier oberste Priorität. Das ist gut so. Aber nicht allein.

Es liegt an uns, welche Akzente wir heute dem Nachwuchs mit auf den Weg geben. Und das gilt nicht nur für die Zukunft. Auch in der Gegenwart spiegelt sich eine, nennen wir es Wohlfühlhaltung, vor allem in der schweizerischen Administration. Wie von CH Media kürzlich publiziert, beschäftigt die Schweiz – in Köpfen ausgedrückt – nun mehr als 40 000 Bundesangestellte. Das vom Parlament 2015 und später wieder aufgehobene Plafond von 35 000 Stellen ist weit überschritten und für nächstes Jahr sind mehr als 400 zusätzliche Stellen in der Bundesverwaltung, den Gerichten und den Parlamentsdiensten veranschlagt. Bei einem Medianlohn von gut 9600 Franken ist der Bund ein äusserst lukrativer Arbeitgeber, mit welchem KMU nicht mithalten können.

Noch schöner wäre es allerdings, wenn es den Akteuren, die diesen Wohlstand überhaupt ermöglichen, ebenfalls so gut gehen würde! Bei den KMU kann man sich für 21 Mitarbeiter keine sieben Coaches leisten – auch wenn das bisweilen notwendig erschiene. Stetige Innovationen und Verbesserungen sowie Effizienzsteigerungen mit Nachhaltigkeit sind tägliche Arbeit und «Lean» wie auch «Kaizen» ein absolutes Muss, um weiterhin in der teuren Schweiz global bestehen zu können.

Ich stelle immer grössere Spaltungstendenzen in der Schweiz fest – wobei das Thema Covid aussen vorgelassen sei: Währenddem viele Unternehmen – und damit auch ihre Mitarbeiter – ständig sparen müssen, wird bei der öffentlichen Hand sinnfrei Geld eingesetzt.

Unsere Städte, die mittlerweile mehrheitlich grün-links regiert sind, versuchen erst gar nicht, nur so viel auszugeben wie zur Verfügung steht, sondern machen Steuer­erhöhungen und Verschuldung wieder salonfähig. Dass dies nicht nur von Bürgern der Mitte oder «rechts davon» so gesehen wird, belegt sehr überzeugend die neue Pu­blikation der Deutschen Politikerin Sarah Wagenknecht. Sie trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie in ihrem Buch «Die Selbstgerechten» von Lifestyle-Linken spricht, die mit Debatten über Gendersternchen, Biolebensmittel, Regenbogen-Flaggen usw. wohlsituiert, akademisch und grün-links daherkommen. Wagenknecht, selbst bekennende Links-Politikerin, verurteilt stichhaltig diese selbstgerechte Elite, «die sich anmasst, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben, zu essen, zu reden und zu denken haben».

Sind dies wirklich jene Themen, welche den Wohlstand in Europa und bei uns in der Schweiz für die nächsten Jahrzehnte sichern werden?

Geldverschwendung kann auch in der schweizerischen Bundesverwaltung festgestellt werden: Diese ist von Beratern durchsetzt, welche laufend eigene Aufträge generieren und sich damit selbst und vor allem andere beschäftigen. Permanent werden Unternehmen mit neuen Statistikanfragen, detaillierten Kontrollen sowie Prüfungen auf Trab gehalten. Wird sich dies in Zukunft bessern? Die Aussichten sind schlecht, solange keine einschneidenden Massnahmen wie Mittelkürzungen und Einstellungsverbote erlassen werden. Aber welche Verwaltung will das schon? Wie schon Cyril Northcote Parkinson vor bald 70 Jahren feststellte, ist Arbeit ein dehnbarer Begriff, wenn es um den Aufwand und die Zeit geht, die dafür gebraucht werden. Das Parkinson’sche Gesetz besagt, dass die einzige Ratio, die vor allem Verwaltungen verfolgen, jene ist, sich selbst und die Verwaltung zu erhalten. Am besten gelingt dies, indem man die Anzahl der Untergebenen steigert und damit die Arbeit mehrt.

Zurück zu meinem Kindergartenbeispiel: Selbstverständlich finde ich es gut, wenn Kinder nicht dem Leistungsdruck von Erwachsenen ausgesetzt werden und ihr Kindsein geniessen dürfen. Indes stelle ich mir die Frage, was wir ihnen sonst noch mit auf den Weg geben, wenn die Wohlfühlideologie an erster Stelle steht und Kosten keine Rolle spielen? Wollen wir unsere Inhalte der Zukunft allein von Lifestyle-Linken und Grünen diktiert bekommen, wie von Sarah Wagenknecht beschrieben?

Es darf gefragt werden, wie all diese Entwicklungen innerhalb der öffentlichen Hand in Zukunft finanziert werden sollen, wenn der zu Nachhaltigkeit und Sparen angehaltene Mittelstand nicht mehr mithalten kann?

*Lionel Schlessinger ist Inhaber und CEO der Monopol Colors und Präsident des Verbandes der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie.

www.monopol-colors.ch

www.vslf.ch

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