Publiziert am: 22.11.2019

Zeitzeugen mit Potenzial

SCHWEIZER BRIEFMARKENHÄNDLER – Der Verband steht im digitalen Zeitalter vor grossen Herausforderungen, die er aber als Chance clever nutzt. So sind die Mitglieder auf den sozialen Plattformen bestens vernetzt. Das Gewerbe der Philatelie passt sich dem Wandel an und sucht neue Nischen.

Vorbei ist die Zeit, als noch während der Schulpausen auf den Schulhöfen fleissig Briefmarken getauscht wurden. Immer wieder wurde das Briefmarkensammeln totgesagt, aber Totgesagte leben bekanntlich länger. Briefmarken werden heute immer noch fleissig gesammelt und gehandelt. Immer wieder sind da neue Sammlerinnen und Sammler, welche dieser Leidenschaft verfallen. Grosse und bedeutende Exponate werden zusammengetragen. Es werden Studien verfasst, und es wird publiziert. Briefmarkenausstellungen finden grosse Beachtung. Hier kämpfen Philatelisten um Medaillen wie an einer Olympiade. «Das Briefmarkensammeln ist auch heute noch eine beglückende und faszinierende Freizeitbeschäftigung. Wir hatten seit der Gründung vor über 100 Jahren noch nie so viele Mitglieder», freut sich Jean-Paul Bach, Präsident des Schweizer Briefmarken-Händler-Verbands (SBHV). Dies führt er auf das breitgefächerte Angebot des Verbands zurück. Die Mitglieder können beispielsweise bei der Preispo­litik mitreden oder werden zu Briefmarkenausstellungen eingeladen.

Die Landschaft der Philatelie hat sich massiv gewandelt: «Vor allem die Überflutung durch neue Medien macht uns zu schaffen und ist für uns eine grosse Herausforderung.» Und weiter sagt Bach: «Alles wird schneller und leider auch etwas oberflächlicher. Der Handel muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Internetauftritte, Homepages, Apps, Facebook & Co sind aus dem philatelistischen Alltag nicht mehr wegzudenken.

«Wir hatten seit der Gründung vor über 100 Jahren noch nie so viele Mitglieder.»

Der Handel ist im Umbruch.» Diese Entwicklung hat auch Nachteile. So tummeln sich auf Plattformen wie eBay und Ricardo «dubiose Angebote» und Betrüger, die verfälschte Ware anbieten. Der Verband kennt diese Problematik und unterhält zusammen mit dem Sammlerverband eine Kommission zur Bekämpfung von Fälschungen und Verfälschungen. Zudem sensibilisiert er seine Mitglieder immer wieder dafür: «Wir empfehlen, Briefmarken nur mit neuen Expertisen und Quittung des Verkäufers zu erwerben.» Die Auflagen der Marken haben sich im Vergleich zu früher massiv verringert. «1965 war die Auflage des kleinsten Werts 18,2 Millionen, 2011 ist sie auf 1 Million zurückgegangen», stellt Bach fest. Der Handel im Geschäft ist wegen der zu hohen Mieten rückläufig und hat sich in Etagengeschäfte sowie in den Versandhandel verlagert. Auch das Sammeln hat sich verändert. «Heute steht die Spezialisierung im Fokus. Alte Schweizer Marken, kantonale Ausgaben wie Zürich 4 und 6, Basler Tauben oder der Genfer Adler sind gefragt», weiss Bach. Populär ist auch das sogenannte Heimatsammeln mit Abstemplungen aus dem Wohnort, das Sammeln von Ansichtskarten, Zeppelinbelegen oder Flugpostbriefen sowie das Sammeln von Motiven wie Tiere, Sport, Olympiade etc. Während die Briefmarkenabos stark rückläufig sind, haben Einzelbestellungen bei der Post zugenommen.

«Es gibt Sammlungen, die einen Gesamtwert von 10 Millionen Franken haben.»

Die wertvollsten Briefmarken in der Schweiz gelten als eidgenössisches Kulturgut und sind im Museum für Kommunikation in Bern zu bewundern. Wie wertvoll die einzelnen Exponate sein können, zeigt eine Ausstellungssammlung Weltraum, mit einem Mondbrief der Apolo 15, die für 250 000 Franken versteigert wurde, oder die berühmten Basler-Tauben-Briefe in höchster Qualität für 100 000 Franken, ein Basler-Tauben-Paar auf Brief für 200 000 und mehr Franken oder eine Zürich 6, als Sechserblock für 239 000 Franken. «Es gibt Sammlungen, die Raritäten im Gesamtwert von 10 Millionen Franken und mehr umfassen», sagt Bach. Auf den Markt kommen die seltenen Stücke in Folge des Generationenwechsels, wenn Sammlungen von Verstorbenen aufgelöst werden. Die Sammlerinnen und Sammler sind eine homogene Gruppe vom Schüler bis zum Investor, wobei das Briefmarkensammeln vorwiegend eine männliche Leidenschaft ist.

Branche mit Potenzial

Bach, der ein versierter Kenner der Branche ist und sich auch als Sammler einen Namen gemacht hat, hofft, dass im überbordenden Freizeitangebot der Reiz des Briefmarkensammelns wieder vermehrt seine Faszination hat. «Wir hoffen, vor allem die Jungen wieder für diese Freizeitbeschäftigung motivieren und gewinnen zu können», so Bach. Doch die Branche hat Potenzial. Dies veranschaulicht auch deutlich Island, das als erstes Land in der Welt die Briefmarken abgeschafft hat und darauf grossen Protest geerntet hat. «Die Briefmarken sind kulturelle Botschafter des jeweiligen Landes. Ihre Sujets repräsentieren den Zeitgeist und geben Einblick in die Geschichte.» Genau aus diesen Gründen wollen sowohl die Schweizerische Post als auch die Post weltweit diese unvergänglichen Zeitzeugen und geschätzten Kunstwerke im Kleinformat beibehalten.

Corinne Remund

www.sbhv.ch

DAS MACHT DER SBHVMessen und Katalog

Netzwerk für Händler und Sammler

Vierzehn namhafte Schweizer Briefmarkenhändler gründeten 1909 den Schweizer Briefmarken-Händler-Verband (SBHV) unter dem Namen «Verband schweizerischer Postwertzeichenhändler». Der Verband wurde nach dem 2. Weltkrieg in den heutigen Namen umbenannt. In den ersten Statuten wurde festgelegt, dass die Verkaufspreise der «courantesten Schweizermarken» möglichst zu vereinheitlichen seien. Dazu liess der Verband jedes Jahr Preislisten für seine Mitglieder drucken. Diese Listen sind die Vorläufer des heutigen Schweizer Briefmarkenkatalogs, der vom Verband redigiert wird. Heute wie damals werden die Preise jedes Jahr an sogenannten «Preisfestsetzungskonferenzen» festgelegt. Heute gilt der SBK als der führende Katalog für den Briefmarkenhandel und für die Sammlerinnen und Sammler in der Schweiz und im Ausland. Aus einer einfachen Preisliste entstand in den letzten hundert Jahren ein rund 1000-seitiges Nachschlagewerk.

Messen und Katalog

Höhepunkt in der Verbandsagenda ist die Briefmarkenmesse. Dabei ist es Tradition, dass eine der Sammlerbörsen in der Messe Basel (dieses Jahr am 9./10. November 2019) stattfindet. Die jährliche Herausgabe des Schweizerischen Briefmarkenkatalogs für die Schweiz, Liechtenstein und UNO-Briefmarken ist eine wichtige Dienstleistung des Verbands. Der Katalog wird jährlich aktualisiert und erweitert und ist für Sammler und Profis ein unverzichtbares Nachschlagewerk. Die Mitglieder der schweizerischen Briefmarkenkommission der Schweizerischen Post legen alle Jahre die Preise neu fest.

Der SBHV ist bestens vernetzt mit anderen Verbänden, Vereinen, Organisationen und Institutionen und vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegen aussen. Der Verband zählt 70 Mitglieder. Dies sind Briefmarkenhändler, Briefmarkenauktionatoren, Verleger philatelistischer Literatur sowie Produzenten philatelistischer Hilfsmittel. Die Branche generiert jährlich, inklusive der philatelistischen Abteilung der Schweizerischen Post, einen Umsatz von ca. 100 Millionen Franken und beschäftigt (ohne Post) 200 Leute. CR

DIGITALISIERUNG im Briefmarkengeschäft

Die Sujets erwachen zum Leben

Die zuständigen Mitarbeitenden der Post sowie die Präsidenten der Sammler- und Händlerverbände treffen sich viermal im Jahr und diskutieren über die neuen Markenvorschläge und die Gesuche. Auf diese Weise nimmt ein kreativer Prozess seinen Lauf, der sich bereits seit Jahrzehnten im Dialog zwischen Vertretern von Post und Philatelie vollzieht. Die Digitalisierung hat auch in dieser Branche Einzug gehalten und so sind die kleinsten gedruckten Botschafter der Schweiz 2017 erstmals interaktiv geworden. Sie bieten «digitalen Mehrwert» in Form von multimedialen Elementen oder mittels des direkten Zugriffs auf interessante Hintergrundinformationen. Die Sujets auf den Briefmarken erwachen zum Leben oder interagieren sogar mit der Betrachterin und dem Betrachter – möglich wird dies mit der Post-App auf dem Smartphone. Auf diese Weise schlägt die Post eine Brücke zwischen den traditionellen Briefmarken und der digitalen Welt. CR

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