Publiziert am: 21.10.2022

Zentralasien, die Schweiz und die Welt

MARKT MIT POTENZIAL – Zunächst wurden sie hofiert. Dann wurden sie gemieden. Heute beherrschen vor allem Fragezeichen die Beziehungen der Schweiz zu Zentralasien. Dabei wäre die Schweizer Ausgangslage sehr gut.

«Zentralasien»: Dafür gibt es keine richtige Definition. Meist werden Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan dazu gezählt. Oft werden auch Afghanistan und manchmal auch der Iran zu dieser Liste gezählt. Die Überlegung dabei: All diese Länder liegen in der Mitte von Asien; sie verbinden somit den östlichen mit dem westlichen Teil des Kontinents.

Dabei sind die fünf ersten Länder der Liste für die Schweiz besonders interessant. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren Schweizer Firmen in vielen dieser Märkte die ersten Ausländer. In Kasachstan, der grössten Post-Sowjetischen Wirtschaft, hat die Mabetex, ein Bauunternehmen, die Hauptstadt Astana gebaut.

Weiteres Plus für die Ausgangs-lage der Schweiz: In allen Ländern der Region zählt die Schweiz zu den fünf stärksten ausländischen Investoren. Dabei sind in dieser Zahl vor allem private Investitionen enthalten. Institutionell sind diese Länder auch eng mit der Schweiz verbunden. Sie gehören der Schweizer Stimmrechtsgruppe im Internationalen Währungsfonds an. Mit Kasachstan verhandelt die Schweiz aktuell über ein Freihandelsabkommen.

Trumpf Geopolitik

Die fünf zentralasiatischen Staaten sind politisch unterschiedlich. Auch ihre Aussenpolitik fällt jeweils anders aus. Während Kasachstan sich um eine eigene internationale Profilierung bemüht, aber teilweise noch als Russland-nah gilt, gehen die anderen Staat ihre eigene Wege. Viele von ihnen leben eine starke Kooperation mit China, Südkorea und Indien. Die Türkei gehört auch zu den wichtigen Bezugspunkten. Dabei balancieren zentralasiatische Länder ihre Einbindung in die Aussenpolitik dieser Mächte aus.

Während ihre Wirtschaften primär auf den ersten Sektor ausgerichtet sind, sind einige Länder dabei, ihre Infrastruktur auszubauen und vor allem Bildung und Digitalisierung zu stärken. In ihrem Verständnis ist ihre geografische Lage ein geopolitischer Trumpf. Zentralasien verbinde Europa mit dem «fernen» Osten. Ihre Vision ist, als «Förderband» Eurasien zu integrieren, und als Nahrungs- und Rohstoffproduzenten Europa und China abzusichern.

Achillesferse Personenkult

Angesichts dieser Ausgangslage muss man sich wundern, warum diese Länder unter Schweizer Firmen nicht beliebter sind. Ein klares Problem ist ihre mangelnd ausgebaute Demokratie. Die zentralasiatischen Länder werden von einzelnen Personen politisch gesteuert. Formal geben sie sich zwar den Namen einer Demokratie, aber in der Praxis bleibt vieles von einzelnen Personen dominiert.

Die Personen-Abhängigkeit einer möglichen Marktexpansion in Zentralasien ist die eigentliche Achillesferse. Sie hemmt einerseits die Rechtssicherheit. Diese brauchen KMU aber, weil sie selbst nicht allzu viele Mittel haben, um in die Marktentwicklung zu investieren. Sie hemmt andererseits auch, weil sie das Risiko vergrössert. Bricht das persönliche Netzwerk aus welchen Gründen auch immer weg, so bricht der ganze Markt zusammen.

Andere Geschäftspraktiken

Darüber hinaus gibt es in Zentralasien Geschäftspraktiken, die sich von jenen in der Schweiz stark unterscheiden. Beziehungen sind nur das eine. Das andere ist: Kunden erwarten Komplettlösungen und -leistungen. Das heisst auch, dass man sie im Bereich der Finanzierungsinstrumente unterstützt. Es reicht also nicht aus, ein Superprodukt zu haben.

Trotzdem bleibt Zentralasien ein Markt mit viel Potenzial. Die geografische Stellung dieser Länder sowie die Fähigkeit, die Machtblöcke auszubalancieren, sprechen für die Länder Zentralasiens. Wenn es ihnen gelingt, nur einen Teil ihrer VVisionen umzusetzen, werden sie automatisch viel wichtigere wirtschaftliche Partner. Da könnte sich eine Investition lohnen.

Henrique Schneider, stv. Direktor sgv

ZENTRALASIEN IM ÜBERBLICK

Einfallstor Kasachstan

Kasachstan ist fĂĽr viele Schweizer Firmen das Tor zu Zentralasien. Dies belegen die neusten Zahlen; sie stammen aus dem Jahr 2020 und betreffen das Jahr 2018.

Das Land hat mit ambitionierten Reformen den Marktzugang für ausländische Unternehmen verbessert, indem es zum Beispiel Verwaltungsabläufe digitalisiert hat. So erstaunt es nicht, dass Kasachstan auch im «Doing Business Index» der Weltbank, in welchem die Unternehmensfreundlichkeit eines Landes untersucht wird, einen Sprung nach vorne gemacht hat und nun von insgesamt 190 Ländern den 25. Rang belegt.

Grosse Direktinvestitionen

Zum wirtschaftlichen Aufschwung Kasachstans haben auch mehrere Schweizer Unternehmen beigetragen. Zwischen 2005 und 2018 haben sie laut der kasachischen Nationalbank 23,2 Milliarden Dollar investiert. Das macht die Schweiz zur drittgrössten Direktinvestorin. Zudem nehmen auch die Handelsströme zwischen den beiden Ländern kontinuierlich zu. Die Schweizer Ausfuhren nach Kasachstan sind 2018 um 16,2 Prozent auf 210 Millionen Franken angestiegen. Exportschlager sind neben pharmazeutischen Produkten Schweizer Maschinen und Uhren.

Zu Usbekistan: 31 Prozent aller usbekischen Exporte der ersten Jahreshälfte 2018 gingen in die Schweiz, gegen 18 Prozent nach Russland und 16 Prozent nach China. Die Schweiz kaufte Usbekistan Waren im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar ab, also mehr als alle asiatischen Länder zusammen (1,3 Milliarden) und fast so viel wie alle GUS-Länder (1,7 Milliarden). Usbekistans wichtigste Exportgüter – nicht nur in die Schweiz – sind Edelmetalle, insbesondere Gold.

Die Handelsbeziehungen mit Tadschikistan sind bescheiden. Schweizer Unternehmer sind u. a. im Baumwollsektor präsent. Die Schweiz importiert aus Tadschikistan hauptsächlich Gold zur Weiterverarbeitung.

Investitionen aus der Schweiz erreichten 2018 in Kirgistan 13,8 Millionen US$. Somit rangiert die Schweiz unter den zehn wichtigsten Investoren. 2019 erreichte das bilaterale Handelsvolumen 9,2 Millionen Franken. Die Schweiz exportiert hauptsächlich pharmazeutische Produkte, Maschinen, optische und medizinische Geräte, Papier und Papierprodukte, Uhren und Spielzeuge.

Rund 30 Schweizer Unternehmen sind in Turkmenistan, hauptsächlich im Energiesektor sowie im Textil-, Pharma-, Transport-, Kommunikations-, High-Tech- und Nahrungsmittelbereich, tätig. Turkmenistan besteht flächenmässig zu einem grossen Teil aus Wüste. Das Land verfügt über riesige Gasvorkommen, hat aber keinen eigenen Meereszugang. In Oasengebieten wird Landwirtschaft betrieben.Sc

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