Publiziert am: 04.06.2021

DIE MEINUNG

Zuversicht statt Selbsttäuschung

Der Bundesrat hatte endlich den Mut, das institutionelle Rahmenabkommen mit der Europäischen Union (InstA) zu begraben. Es war nicht nur politisch chancenlos, sondern voller Fallstricke: fremde Richter, Einwanderung in den Sozialstaat und Abbau von Föderalismus zum Beispiel. Auf all diese Mängel hatte der Schweizerische Gewerbeverband sgv bereits im Jahr 2019 hingewiesen. Mehr noch: Schon 2012, als die Verhandlungen zum InstA begonnen hatten, wies der sgv auf die schwerwiegenden Probleme solcher Konzessionen hin. Dennoch hielten viele an einer Fiktion fest, die nichts anderes als Selbsttäuschung war.

2019 schrieb der damals zuständige Kommissar Johannes Hahn dem damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, unverblümt: «Wir können einfach nicht ein weiteres Spielen auf Zeit und ein Verwässern der Binnenmarktregeln erlauben, vor allem nicht in dieser vermutlich kritischen Phase im Zusammenhang mit dem Brexit.»

Wer so etwas schreibt, versteht von Politik wenig – und noch weniger von Partnerschaft. Bekanntlich ist jeder Vertrag ein Miteinander. Daraus folgt: Wer auf Augenhöhe verhandelt und seinem Partner redlich begegnet, spricht nicht von «erlauben» – es sei denn, einer leide an Grössenwahn. Nicht nur bezüglich der Natur des Vertrages hat sich der hohe Kommissar getäuscht. Er bildete sich wohl ein, die EU wäre im Vorteil sowohl gegenüber Grossbritannien als auch in Bezug auf die Schweiz. Schon im Jahr 2019 handelte es sich dabei um Selbsttäuschung – in Bezug auf beide Partner.

Auch in der Schweiz sind nicht wenige in Politik und Wirtschaft der Selbsttäuschung erlegen. Sogar als «massgeschneidert» wurde das Abkommen bezeichnet … Zu unrecht, wie wir heute wissen. Diese Selbsttäuschung setzt sich selbst nach dem Vernunftakt des Bundesrates von letzter Woche fort. Griesgrämige Selbsttäuschende weinen uns vor, was die Schweiz in der Zukunft alles verlieren werde. Euphorisch Selbsttäuschende halluzinieren von einer Volksabstimmung. Die Realität zeigt: Dieses Rahmenabkommen ist erledigt – das ist gut so.

Was aber auch der Fall ist: Die Erledigung eines Problems ist noch keine Lösung für die Zukunft. Für diese Zukunft braucht es jetzt genauso mutige und vernünftige Entscheide. Dabei gilt es zu fragen: Warum wollte die Schweiz das InstA überhaupt? Weil der Zugang zum Binnenmarkt der EU ein Mittel ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern. Zur Erinnerung: Auch ohne InstA bleiben die Bilateralen und das Freihandelsabkommen erhalten.

Für die Zukunft müssen gerade diese Werke vor einer Erosion bewahrt werden. Zudem müssen weitere Freihandelsabkommen abgeschlossen werden. Die meisten Arbeiten für den Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz müssen aber im Inland getan werden – sehr vieles haben wir selber in der Hand.

Die Schweiz braucht eine Regulierungsbremse, die KMU von der erdrückenden Last unnötiger Regulierungskosten befreit. Weitere Baustellen bei der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit sind: Die Sozialwerke müssen saniert, der Arbeitsmarkt flexibilisiert und die Berufsbildung gestärkt werden. Auch im Bereich der Digitalisierung bleibt noch sehr viel zu tun.

Zugegeben: Das ist viel. Doch mit Zuversicht gelingen diese Aufgaben. Überhaupt sucht Zuversicht nach Chancen, sieht in anstehenden Aufgaben Opportunitäten und versteht, kritische Selbstsicherheit und Verantwortung als Ressourcen zu nutzen. Gerade das macht die Schweiz, ihre Bevölkerung und Wirtschaft aus: Zuversicht, nicht Selbsttäuschung.

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