Publiziert am: 04.11.2022

Über den Tod hinaus sichern

ERBRECHT – Mit dem neuen Erbrecht, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, können Erblasserinnen und Erblasser künftig über einen grösseren Teil ihres Nachlasses frei verfügen. Derzeit ist eine weitere Vorlage in parlamentarischer Beratung, die Änderungen in der Unternehmensnachfolge anstrebt.

Derzeit gibt es gegen 600 000 Unternehmen in der Schweiz. Die meisten sind Mikrobetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitenden und stark inhaberfokussiert. Beim Ableben der Inhaberin oder des Inhabers können solche Unternehmen vor grosse Herausforderungen gestellt werden, wenn z. B. die Nachfolge nicht rechtzeitig geregelt werden konnte oder viele Erben vorhanden sind und keiner das Geschäft weiterführen möchte bzw. ein Streit über die Weiterführung entsteht. Solche Situationen können den Weiterbestand des Unternehmens ernsthaft infrage stellen.

Vom Thema der Unternehmensnachfolge sind Familienunternehmen besonders tangiert. Jedes Jahr stehen 14 000 bis 16 000 Unternehmen vor der Nachfolgeregelung. Das Unternehmenserbrecht erhält vor diesem Hintergrund gesamtwirtschaftlich wie auch im individuellen Fall eine besondere Bedeutung. Die Landwirtschaft kennt das bereits in der Form des bäuerlichen Bodenrechts. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn auch für die nichtlandwirtschaftlichen Unternehmen eine Lösung gesucht wird.

Zerstückelung vermeiden

Nach geltendem Recht geniessen die Interessen der Erben gegenüber denjenigen des Unternehmens und der mit dem Unternehmen verbundenen Personen Vorrang. Kommt ein Unternehmen in den Erbgang und ist die Nachfolge nicht geregelt, besteht die Gefahr, dass es aus erbrechtlichen Gründen zerstückelt werden muss. Das gefährdet nicht nur Arbeitsplätze. Auch die volkswirtschaftliche Wertschöpfung wird in Mitleidenschaft gezogen.

Unternehmen, die im Erbfall erzwungenermassen verkauft werden müssen, um Liquidität für die Abgeltung der Ansprüche der Miterben zu beschaffen, erzielen tiefere Preise. Ein Erbgang kann sich wertmindernd auswirken.

Auch Zuwendungen zu Lebzeiten unterliegen der erbrechtlichen Ausgleichung. Beim Tod des Inhabers oder der Inhaberin können Ausgleichszahlungen fällig werden. Können die Ansprüche gegenüber Miterben nicht befriedigt werden, droht auch in diesen Fällen die Liquidierung des Unternehmens.

Integralzuweisung ermöglichen

Der Fortbestand der Unternehmen ist für die Volkswirtschaft und für die Gesellschaft von grosser Bedeutung. Im Fokus der neuen Gesetzesvorlage stehen die Interessen des Unternehmens. Der Vorschlag des Bundesrates umfasst im Wesentlichen drei Elemente:

• Die Möglichkeit der integralen Zuweisung eines Unternehmens an einen Erben oder eine Erbin.

• Ein Zahlungsaufschub für Schulden bis auf maximal zehn Jahre im Rahmen einer Betrachtung der konkreten Umstände und einer angemessenen Zinspflicht mit dem Ziel, dass das Unternehmen nicht in Liquiditätsschwierigkeiten gerät.

• Der Anrechnungswert und der Zeitpunkt des Anrechnungswertes des Unternehmens. Wertveränderungen zwischen Todestag und Zeitpunkt der Übertragung des Unternehmens sind zu berücksichtigen.

Gesetz mit Auffangfunktion

Insgesamt handelt es sich um eine Vorlage, die eine Auffangfunktion für jene Fälle beinhaltet, in denen zu Lebzeiten des Unternehmers bzw. der Unternehmerin die entsprechenden Vereinbarungen nicht gemacht werden konnten und in denen die Erben sich nicht einigen können. Ziel ist, das Unternehmen integral zu erhalten.

Der Erblasser und künftige Erben sind nach wie vor frei, sich abzusprechen und z. B. Erbverträge abzuschliessen. Damit ist das Gesetz auch ein sanfter Zwang für das Familienunternehmen, rechtzeitig eine Nachfolgeregelung zu treffen. Bereits 1911 sah der Schöpfer des ZGB, Eugen Huber, ein «Sondererbteilungsrecht für Gewerbeeinrichtungen» vor. Geschaffen wurden im ZGB lediglich Regelungen für landwirtschaftliche Grundstücke und Betriebe, die 1991 ins Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht überführt worden sind. Die Zeit ist jetzt reif, auch an den Fortbestand der übrigen Unternehmen zu denken.

Dieter Kläy, Ressortleiter sgv

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