Publiziert am: 20.01.2023

Absolut unsinnige Vorschläge

MOBILITÄT – Das ASTRA startet fünf Machbarkeitsstudien für Mobility Pricing Pilotprojekte. Doch diese schaffen mehr Probleme, als sie lösen – vor allem für KMU. Der sgv fordert stattdessen Kapazitätsausbauten bei der Infrastruktur.

Für die Mobilität in der Schweiz ist die Tendenz weiterhin steigend: Gemäss Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) wird der Personenverkehr bis 2040, verglichen mit 2010, um 25 % zunehmen. Im Güterverkehr ist es sogar ein gutes Drittel. Durch diese Zunahme wird die Verkehrsinfrastruktur immer stärker überlastet.

«In der Stadt Biel sollen sogar vergünstigte Tarife für den öV ausserhalb der Stosszeiten eingeführt werden.»

Allein die jährlich 25 000 Staustunden kosten die Schweizer Volkswirtschaft stolze 1,9 Milliarden Franken. Um diese Probleme zu beheben, muss die Infrastruktur weiter ausgebaut werden, mit Geldern aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF), beziehungsweise dem Bahninfrastrukturfonds (BIF). Da der NAF hauptsächlich über den Mineralölsteuerzuschlag gespiesen wird, fällt mit der zunehmenden Elektrifizierung der Fahrzeugflotte ein wichtiger Finanzfluss weg.

Als Lösung, vor allem zur Entlastung der Infrastruktur, treibt der Bund derzeit Mobility Pricing Vorhaben voran. Dies bedeutet, dass der Nutzer die vollen Kosten seines Mobilitätsverhaltens übernimmt. Man zahlt also, je nachdem, wann und wo man unterwegs ist, mehr oder weniger. Damit sollen die Verkehrsteilnehmer animiert werden, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern, und beispielsweise Spitzenzeiten zu meiden. Mobility Pricing beinhaltet also auch eine klare Lenkungswirkung. Das Konzept soll im Rahmen einer Reihe von Pilotprojekten getestet werden. Dazu hat das Bundesamt für Strassen (ASTRA) Anfang Dezember fünf Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben.

Eine Mogelpackung

Sieht man sich die Inhalte der Machbarkeitsstudien genauer an, so stellt man schnell fest: Von Mobility Pricing kann keine Rede sein. Viel mehr wird ein reines Road Pricing angestrebt, welches nur den Strassenverkehr betrifft. Motorisierter Individualverkehr (MIV) und Güterverkehr sollen verteuert werden, wobei der öffentliche Verkehr (öV) mehrheitlich ausser Acht gelassen wird. Im Sinne einer ganzheitlichen Mobilitätsstrategie sowie des Prinzips der freien Wahl des Verkehrsmittels, für das der Schweizerische Gewerbeverband sgv seit jeher einsteht, sind derartige Ansätze absolut unsinnig.

In der Stadt Biel sollen sogar vergünstigte Tarife für den öV ausserhalb der Stosszeiten eingeführt werden, bei unveränderten Spitzenzeitentarifen. Der öV wird also verbilligt, während der MIV verteuert wird. Damit sollen die Menschen animiert werden, auf den öV umzusteigen. Doch dies ist absurd, werden so doch nur Überlastungen verschoben, jedoch nicht behoben. Und ausserdem stellt sich die Frage: Kann der öV, welcher zu den Spitzenzeiten ebenfalls an seine Kapazitätsgrenzen stösst, diesen Mehrverkehr überhaupt auffangen? Erfahrungen aus dem Ausland zeigen derweilen, dass die Entlastungswirkung solcher Projekte eher dürftig ist.

Falscher Ansatz

Road Pricing verlagert folglich Engpässe lediglich, anstatt sie zu beseitigen. Probleme werden damit aber keine gelöst. Ganz im Gegenteil: Es wird sogar eine zusätzliche Belastung für die KMU geschaffen, welche einen Grossteil ihrer Güter auf der Strasse transportieren. Ausweichmöglichkeiten gibt es kaum, denn die Güterfeinverteilung, vor allem in den Städten, muss agil bleiben, und auch der Fahrtzeitpunkt wird vom Kunden, und nicht vom KMU bestimmt.

Daher kämpft der sgv vehement gegen Road Pricing Konzepte, um eine Mehrbelastung der KMU zu verhindern. Stattdessen ist die Sicherstellung einer stabilen und leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur nötig. Und dafür muss die Finanzierung des NAF langfristig sichergestellt werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die geplante Ersatzabgabe für Elektrofahrzeuge, welche der Bundesrat im vergangenen Juni ankündigte.

Michèle Lisibach, Ressortleiterin sgv

Weiterführende Artikel

Weiterführende Artikel

Meist Gelesen