Publiziert am: 17.02.2023

«Eine einzigartige Chance»

PHILIPP MUSTER – Die Revision des Zollgesetzes müsse unbedingt ge­lin­gen, sagt der Direktor des Ver­lader­verbandes Swiss Shipper’s Council. Grosse Unternehmen und KMU würden dadurch massiv entlastet.

Schweizerische Gewerbezeitung: «Der grosse Wurf ist möglich», haben Sie im Herbst in der «Internationalen Transport Zeitschrift» mit Blick auf die Revision des Schweizer Zollgesetzes gesagt. Was meinten Sie damit?

Philipp Muster: Derzeit stehen im gesamten Zollwesen der Schweiz die Zeichen auf Umbruch, und die geplanten Neuerungen bieten viele Chancen für Import- und Exportunternehmen, aber auch für die gesamte Schweizer Wirtschaft.

Das Zollgesetz ist etwa 100 Jahre alt und wurde erst einmal revidiert – im Jahr 2005. Damals verpassten Politik und Wirtschaft allerdings eine echte Reform. Es war alter Wein in neuen Schläuchen. Das ist dieses Mal anders.

Inwiefern?

Weil bei der jetzigen Revision auf die Bedürfnisse der Wirtschaft eingegangen wurde. Das geplante Gesetz atmet nicht mehr den Geist der alten Zöllnermentalität, die sich etwa so zusammenfassen lässt: Jeder, der Waren importiert oder exportiert, ist ein potenzieller Schmuggler und will den Zoll umgehen.

Natürlich gibt es schwarze Schafe. Und die gehören auch bestraft. Nur: 99,99 Prozent der Firmen halten sich brav an die Gesetze. Und diesem Umstand trägt das neue Gesetz Rechnung.

Was ändert konkret?

Unter anderem soll mit einer umfassenden Digitalisierung die Effizienz der Grenzprozesse gesteigert werden. Etwa indem eine Warenanmeldung inklusive Begleitdokumenten und Bewilligungen vollständig digital und ohne Medienbrüche eingereicht werden kann. Zudem muss eine Warenanmeldung nicht mehr an eine bestimmte Zollstelle übermittelt werden, sodass der Ort des Grenzübertritts frei wählbar ist.

Vom kleinen KMU bis zum Grossunternehmen werden dadurch alle massiv entlastet. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es handelt sich hier um eine einzigartige Chance, unser Zollwesen fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Die Revision muss unbedingt gelingen.

Können Sie ein Beispiel geben?

In der Schweiz muss heute jede Ware deklariert werden, die rausgeht oder reinkommt. Das macht für KMU meist eine Deklaranten-Firma, zum Beispiel die Post, weil in kleinen Firmen das Know-how dazu fehlt. Grossfirmen wie Migros oder Coop haben hierfür eigens Spezialisten. Dieser ganze Prozess ist mit viel Aufwand verbunden. Die Firmen müssen hierfür Dokumente sammeln und vorweisen, Zollquittungen werden ausgestellt und so weiter. Einiges geht hier noch nicht digital. Es handelt sich also um viel Papierkram.

Heute muss pro Sendung bei deren Abwicklung eine Deklaration gemacht werden. Neu soll möglich sein, dass die Firmen eine Sammeldeklaration machen können, zum Beispiel einmal im Monat – oder noch besser: alle drei Monate. Ein normaler Lieferschein würde dann für die meisten Waren beim Zoll reichen. Das ist in anderen Ländern in der EU bereits jetzt gängige Praxis, zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich.

Als weiterer Vergleich: In Deutschland müssen «nur» etwa 20 Prozent der Sendungen deklariert werden. Ganz anders in der Schweiz: Hier hat quasi jede Firma mit dem Zoll zu tun. Die administrativen Hürden in der Schweiz sind ein Drama. Und das genannte Beispiel ist nur eine von mehreren geplanten Änderungen.

Was wäre der Effekt dieser spezifischen Neuerung für die Schweiz?

Die Wirtschaft und somit die gesamte Gesellschaft würden davon stark profitieren. Denn der ganze Aussenhandel (Export und Import) ist ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor und extrem wichtig für unser Land.

Machen wir ein theoretisches Rechenbeispiel eines kleinen KMU: Dieses importiert pro Monat etwa 20 Warensendungen. Momentan muss für jede Deklaration respektive Zollabfertigung einzeln bezahlt werden. Das kostet zum Beispiel jedes Mal 50 Franken. Macht pro Monat 1000 Franken. Bei einer monatlichen Sammeldeklaration zahlt das KMU einmal pro Monat 50 Franken – und spart somit 950 Franken. Nun gibt es in der Schweiz etwa 20 Millionen Warenlieferungen pro Jahr, die deklarationspflichtig sind. Hochgerechnet mit den 50 Franken Deklarationskosten heisst das, dass die neue Regelung etwa Einsparungen von rund einer Milliarde Franken bringt! Und das jährlich!

Es handelt sich also um einen grossen Abbau an Regulierungskosten, welcher die ganze Wertschöpfungskette betrifft – bis hinunter zum Konsumenten. Denn diese Kosten sind in den Produkten enthalten, auch wenn sie im Laden auf dem Preisschild nicht explizit aufgeführt sind. Aus meiner Sicht kann kein vernünftiger Mensch gegen diesen Abbau sein. Also, machen wir ihn!

«DIE ADMINISTRATIVEN HÜRDEN IN DER SCHWEIZ SIND EIN DRAMA.»

Doch in trockenen Tüchern ist das neue Zollgesetz noch nicht. Zuerst muss das Parlament noch darüber beraten. Und unlängst konnte man der Presse entnehmen, dass der Bundesrat dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, obwohl er die Botschaft zum Gesetz bereits im Herbst verabschiedet hatte.

Die Arbeitsgruppe wurde eingesetzt, weil es um eine Differenz zwischen Bund und Kantonen geht – und zwar bezüglich Kompetenzen rund um die Frage möglicher Polizeibefug-nisse des Zolls. Für mich ist das ein Nebenschauplatz.

Ganz wichtig ist, dass die Vorteile der Revision für die Wirtschaft und die Gesellschaft durch diese Arbeitsgruppe nicht infrage gestellt werden und dass es zu keiner Verschleppung kommt. Um ein solches Szenario zu verhindern, ist entscheidend, dass die Wirtschaft zwingend in diese Arbeitsgruppe einbezogen wird.

Ich fand – nur so nebenbei – interessant, wie sich die Medien auf dieses spezifische Thema stürzten. Dass das revidierte Zollgesetz wiederum massive Entlastungen bringt, liest man leider nirgends.

Trotz allem: Zu 100 Prozent zufrieden sind sie mit dem revidierten Gesetz nicht. Weshalb?

Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden. Das neue Gesetz wäre ein grosser Schritt nach vorne und muss unbedingt durchkommen. Aber es stimmt: Es gibt vereinzelt Punkte, die verbesserungswürdig sind.

«Das geplante Gesetz atmet nicht mehr den Geist der alten ZöllnerMentalität.»

Zum Beispiel?

Die ganze Abrechnung und Eintreibung der Mehrwertsteuer in Bezug auf Einfuhren muss durch die eidgenössische Steuerverwaltung erfolgen und nicht wie jetzt durch den Zoll. Heute erledigen die Importeure dies mit einem Konto beim Zoll (ZAZ). Das ist nicht nötig und für die Unternehmen ein viel grösserer Aufwand, als wenn sie dies mit der normalen Mehrwertsteuer-Abrechnung pro Quartal im Nachgang machen können. Ich hoffe, dass das Parlament diese Forderung noch aufnimmt, weil das zu einer massiven Vereinfachung für alle Betriebe führt. Ausserdem können so beim Bundesamt für Zoll und Grenz-sicherheit (BAZG) administrative Einsparungen erzielt werden.

Ausserdem hat sgv-Präsident Fabio Regazzi, der zudem den Swiss Shipper’s Council präsidiert, eine Motion eingereicht. Der Titel: «Die Digitalisierung muss zu Vereinfachungen führen, auch im Zollwesen.» Der Nationalrat hat diesen Vorstoss angenommen, und als Nächstes ist der Ständerat an der Reihe. Worum geht es da?

Mit dem Programm DaziT sollen sämtliche Zoll-, Abgaben- und Kontrollprozesse vereinfacht, optimiert und digitalisiert werden. Die Motion stellt sicher, dass die versprochenen administrativen Vereinfachungen – zum Beispiel die oben erwähnte Sammeldeklaration – für alle am Zollprozess Beteiligten auch tatsächlich umgesetzt werden. Selbst wenn das Zollgesetz nicht geändert würde, was wir natürlich nicht hoffen. Diese Vereinfachungen sind im Übrigen auch mit Blick auf den Industriezollabbau für Unternehmen umzusetzen.

Dieser Abbau der Zölle auf Industriegüter erfolgt nächstes Jahr. Richtig?

Ja, genau. Wir sind sehr froh darüber, dass diese Zölle auf das Jahr 2024 hin im Industriegüterbereich abgeschafft werden. Weniger Kosten und administrative Vereinfachungen werden die Folge sein. Ganz sicher war das bis vor Kurzem noch nicht. Denn der im letzten Sommer verabschiedete Finanzplan des Bundes wies noch sehr hohe Defizite aus.

In diesem Zusammenhang ist mir noch etwas wichtig, nämlich, dass die Deklarationspflicht für diese Industriegüter ebenso entfällt. Denn es macht keinen Sinn, Waren zu deklarieren, die nie mit Zollabgaben belegt werden. Das würde zu einer weiteren massiven Entlastung der Unternehmen führen.

Interview: Rolf Hug

www.swiss-shippers.ch

Zur Person

Seit 2017 Direktor

Philipp Muster ist diplomierter Speditionsleiter und seit 2017 Direktor des Verladerverbandes Swiss Shipper’s Council. Dieser Verband für Aussenhandel hat über 240 Mitglieder und ist die Stimme für branchenübergreifende Fragen der exportierenden und importierenden Unternehmen – unter anderem in den Bereichen Transport, Logistik und Zollwesen.

Ausserdem führt Muster zusammen mit zwei Kollegen die duano ag. Das kleine KMU ist spezialisiert auf Unternehmensberatungen im Bereich Zoll und Aussenhandel.

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