Publiziert am: 03.02.2023

«Widersprüchlicher geht kaum»

MARKUS RITTER – Naturschutz­orga­ni­sationen fordern mit einer Initiative mehr Flächen für die Biodiversität – und torpedieren damit ihre eigene Energiepolitik. Denn deren Annahme würde den Zubau bei den erneuer­baren Energien wie Wasserkraft verhindern, sagt der Präsident des Schweizer Bauernverbands.

Schweizerische Gewerbezeitung: Naturschutzorganisationen sprechen von einer Biodiversitätskrise. Unlängst hat Pro Natura vor diesem Hintergrund die Blauflügelige Ödlandschrecke zum Tier des Jahres 2023 gekürt. Wie steht es um die Biodiversität in der Schweiz, und was tun die Schweizer Bauern für deren Erhalt?

Markus Ritter: Die Schweiz ist ein Land, in dem generell sehr viele Flächen weitgehend unberührt sind. Dazu gehören die Berge und Seen mit 25% der Landesfläche. Aber auch der Wald mit 30% der Landesfläche. 12% der Landesfläche machen unsere genutzten Sömmerungsflächen aus, die nur sehr extensiv geweidet werden. 8% der Landesfläche sind überbaut.

Die restlichen 25% unserer Landesfläche bestehen aus unserem Kulturland, das wir landwirtschaftlich nutzen können. Davon sind nicht weniger als 19% Biodiversitätsförderfläche. Pflicht wären 7%. Wir dürfen feststellen, dass wir in der Schweiz sehr viele naturnahe Räume haben und der Biodiversität bereits jetzt ein hohes Augenmerk schenken.

Naturschützer sehen die Vielfalt von Natur, Landschaft und Baukultur in Gefahr und haben die Biodiversitätsinitiative eingereicht. Der Schweizer Bauernverband bekämpft das Anliegen. Weshalb?

Die Initiative ist zwar relativ offen formuliert, geht aber trotzdem deutlich zu weit und würde viele Nutzungen einschränken. Dazu gehören nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Energiegewinnung, der Tourismus und viele gewerbliche Bereiche.

Welche konkreten Probleme wĂĽrde die Initiative bei Annahme fĂĽr die Schweiz verursachen?

Die Initiative will die Landschaften und das baukulturelle Erbe bedeutend stärker schützen. Der Handlungsspielraum von Bund und Kantonen würde eingeschränkt. Für die Biodiversität sollen noch mehr Fläche und Geld zur Verfügung gestellt werden. Konkrete Auswirkungen wären bei der Wasserkraft, bei der Erhöhung von Staumauern, bei PV-Anlagen im alpinen Raum sowie bei gewerblichen und landwirtschaftlichen Bauprojekten zu erwarten. Die Bewilligungsverfahren wären noch langwieriger und kaum mehr erfolgreich abzuschliessen.

In einem Positionspapier schreibt der Schweizer Bauernverband, dass dadurch die Energiepolitik behindert wĂĽrde. Wie begrĂĽnden Sie diese Kritik?

Auf der einen Seite möchten wir wegkommen von fossiler Energie, aber auch von den Kernkraftwerken. Zu diesem Zweck sollen grossflächige PV-Anlagen, Windräder und die Wasserkraftanlagen massiv ausgebaut werden. Auf der anderen Seite wollen die gleichen Kreise, die diese Entwicklung lautstark fordern, mit der Landschaftsinitiative und der Biodiversitätsinitiative den Zubau solcher Anlagen auf Verfassungsstufe stark erschweren, wenn nicht gar verhindern. Widersprüchlicher geht es kaum.

Wie würde sich der bäuerliche Alltag mit dieser Initiative verändern?

Baubewilligungsverfahren ausserhalb des Baugebiets sind bereits heute sehr aufwendig, teuer und mit enormen Unsicherheiten behaftet. Der Zeitaufwand ist sehr hoch und benötigt sehr viel Geduld und Durchhaltewillen. Mit immer neuen Auflagen für die Nutzung des ländlichen Raums lähmen wir nicht nur jede Innovations- und Investitionsbereitschaft, sondern schwächen auch die wirtschaftliche Perspektive weiter Teile unseres Landes.

Der Nationalrat lehnt die Initiative ab, will ihr aber einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen. Der Schweizer Bauernverband lehnt auch den Gegenvorschlag als viel zu weitgehend ab. Welcher Punkt stört Sie am Gegenvorschlag am meisten?

Der indirekte Gegenvorschlag des Nationalrats ist viel gravierender mit seinen Auswirkungen als die Initiative selber. Der Nationalrat hat mit dem indirekten Gegenvorschlag beschlossen, dem Bundesrat die Kompetenz zu geben, das Ausmass der Flächen zu bezeichnen, die für die Biodiversität ausgeschieden werden sollen. Diese Flächen sollen in den kantonalen Richtplänen als behördenverbindlich ausgeschieden werden.

Was der Bundesrat will, löst bei uns grösste Sorge aus. An der UNO-Konferenz vom Dezember letzten Jahres in Montreal hat der Bundesrat zugesagt, dass 30% unserer Landesfläche – oder 1,2 Millionen Hektaren – als Biodiversitätsförderfläche ausgeschieden werden sollen. Heute haben wir 520 000 Hektaren. Es fehlen also 680 000 Hektaren, was der Grösse des Kantons Bern entspricht. Dafür sollen nur Flächen mit hoher biologischer Vielfalt berücksichtigt werden. Dies heisst gemäss BAFU: grundsätzlich keine Berge und Felsen, kein Wald, keine Sömmerungsflächen, keine Baugebiete und keine Landwirtschaftsflächen mit niedriger Pflanzenvielfalt. Damit würde der Druck auf das Kulturland massiv zunehmen. Würde dies so umgesetzt, hätte dies gravierende Auswirkungen auf die künftigen Entwicklungsmöglichkeiten von Gewerbe, Landwirtschaft, Energiegewinnung und Infrastrukturen.

Die Naturschutzorganisationen geben vor, die Interessen der Natur zu vertreten. Die Schweizer Bauern arbeiten in der Natur. Wieso kommen UmweltschĂĽtzer und Bauern meist zu sehr unterschiedlichen Beurteilungen in solchen Sachfragen?

Die Naturschutzorganisationen sind stark ideologisch unterwegs und leben davon, dass sie immer mehr und mehr fordern. Nur dann können sie ihre Mitglieder halten und erzielen weiterhin Spenden und Legate. Dies führt zu einer sehr einseitigen Sichtweise und verhindert eine gemeinsame Suche nach konstruktiven Lösungen. Ökologie ist auch für uns Bauern ein Thema. Nachhaltigkeit besteht aber aus drei Dimensionen: Ökonomie, Ökologie und soziale Ziele. Nur wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind, können wir auch die Ziele im ökologischen und sozialen Bereich finanzieren.

Wie geht es mit Initiative und Gegenvorschlag nun weiter?

Das Geschäft befindet sich zurzeit in Beratung in der ständerätlichen UREK. Wir hoffen sehr, dass die Kommission die Initiative zur Ablehnung empfiehlt und nicht auf den indirekten Gegenvorschlag eintritt.

Anderes Thema: Sie gelten als einer der Haupt-Ideengeber der gemeinsamen Wahlkampagne «Perspektive Schweiz». Sie hat zum Ziel, dass Wählerinnen und Wähler mit Blick auf die Wirtschaft ihre Stimme abgeben. Weshalb ist das wichtig?

Der Nationalrat ist bei den letzten Gesamterneuerungswahlen im Jahr

2019 stark nach links gerückt. Bürgerliche Mehrheiten sind bei vielen Geschäften alles andere als sicher. Bei den Wahlen 2019 spielten Wirtschaftsthemen kaum eine Rolle. Die nationalen Wirtschaftsdachverbände waren, ausser der Schweizerische Gewerbeverband, bei den letzten Wahlen auch nicht aktiv. Es herrschte die Überzeugung, dies sei Sache der kantonalen Teilverbände. Es zeigt sich, dass dies bei der Themensetzung heute nicht mehr genügt.

«Die Umweltverbände sind sehr gut organisiert. Das sind keine Leute mehr, die irgendwo im Gras sitzen und Schmetterlinge zählen.»

Was brachte Sie zur Erkenntnis, dass die vier Dachverbände der Wirtschaft und Landwirtschaft im Hinblick auf die Wahlen zusammenarbeiten müssen?

Es braucht ein klares und wirkungsvolles Gegengewicht zur Umweltallianz. Die NZZ hat am 12. September 2020 aufgezeigt, dass die grossen vier Umweltverbände heute mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben als die vier grossen Dachverbände der Schweizer Wirtschaft. Zudem sind die Umweltverbände sehr gut organisiert und arbeiten professionell. Das sind keine Leute mehr, die mit einem Wollpullover irgendwo im Gras sitzen und Schmetterlinge zählen. Die Umweltorganisationen kennen das politische Geschäft und wissen, wie sie ihre Ziele erreichen. In den politischen Diskussionen geht kein Blatt Papier zwischen die Umweltorganisationen und die ihnen nahestehenden Parteien. Die Wirtschaft ist enorm gefordert, hier nicht abgehängt zu werden.

Was erhoffen Sie sich von dieser Allianz, und welche RĂĽckmeldungen haben Sie dazu bisher erhalten?

Die Wirtschaft soll in der politischen Diskussion, aber auch in der Wahrnehmung der Gesellschaft, langfristig gestärkt werden. Dies geht nur, wenn auch wir zusammenarbeiten. Aus Wirtschafts-kreisen haben wir nur positive Rückmeldungen auf unser Projekt erhalten. Sehr spitze Bemerkungen und Sorgenfalten gibt es auf der anderen Seite des politischen Spek-trums. Wir dürften daher richtig liegen, müssen aber seriös weiterarbeiten und dürfen unsere Ziele nie aus den Augen verlieren.

Interview: Rolf Hug

www.perspektiveschweiz.ch

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