Publiziert am: 03.03.2023

«Familie ist Privatsache»

DIANA GUTJAHR – Mit der geplanten Kita-Finanzierung würde der Staat tief in die Familie eingreifen. Und ein 38-wöchiger Elternurlaub würde den Fachkräftemangel anheizen, sagt die SVP-Nationalrätin, die auch Mitglied im sgv-Vorstand ist. Auf Kosten der Arbeit­nehmer, denen weniger zum Leben bleibt.

Schweizerische Gewerbezeitung: Sie führen ein KMU, sind Mutter eines Sohnes und Nationalrätin. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut, speziell die Kinderbetreuung?

Diana Gutjahr: Wenn Menschen sich entscheiden, Eltern zu werden, müssen sie sich bewusst sein, dass der neue Alltag anders aussehen wird und Verzicht geübt werden muss. Eltern wird man nicht für ein paar Wochen oder Monate, man bleibt es ein Leben lang. Mann wie auch Frau kann nicht mehr alles haben, dafür wird man mit einem wunderbaren Geschenk entschädigt. So habe ich mein Pensum bewusst und mit grosser Dankbarkeit auf allen Ebenen reduziert oder bin einfach anders erreichbar als früher.

Aber Dank der grossen Unterstützung und Flexibilität meiner Familie kann ich mich aktiv betätigen und weiss, dass unser Sohn innerhalb der Familie gut aufgehoben ist. Es ist eine Frage der Organisation und vorausschauender Planung, die aber manchmal auch an ihre Grenzen stösst, vor allem bei kurzfristigen Aufgaben oder Terminen.

Die ausserparlamentarische Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) fordert einen bezahlten Elternurlaub von 38 Wochen. Was halten Sie von dieser Idee?

Nichts. Ich finde es ehrlich gesagt ein Unding, dass eine solche Kommission, die notabene hauptsächlich aus Staatsangestellten besteht, eine solche Forderung in den Raum stellen darf. Nach den eidgenössischen Richtlinien darf die Kommission interne Empfehlungen zu Handen des Bundesrates machen, aber darf nicht öffentlich Politik betreiben.

Die Schweiz unterhält aktuell 118 ausserparlamentarische Kommissionen. Etwa 1500 Kommissionsmitglieder treffen sich in diesen Gremien, inklusive 12 Mitglieder der eidgenössischen Räte und um die 100 Vertreterinnen und Vertreter der Bundesverwaltung. Doch einem Kosten- und Qualitätscheck sind sie nie unterzogen worden. Es wäre nun wirklich an der Zeit, diese einer Überprüfung zu unterziehen und teilweise Kommissionen zu hinterfragen.

Die EKFF argumentiert, der Elternurlaub würde sich positiv auf die Arbeitsmarktpartizipation der Mütter auswirken. Stimmt das?

Nein. Wie kommt man auf solch eine Argumentation? Es ist doch offensichtlich, je länger man vom Arbeitsmarkt weg ist, desto schwieriger wird der Wiedereinstieg. In erster Linie würde ein so langer Elternurlaub den Fachkräftemangel anheizen, statt diesen zu entschärfen. Bei Diskussionen spüre ich oft, dass jene Kreise, die sich für eine lange Elternzeit aussprechen, die gleichen sind, die danach so schnell als möglich ihre Kinder extern betreuen lassen wollen. Das ist für mich ein Widerspruch in der Argumentation. Generell muss einfach festgehalten werden, dass die Familie Privatsache ist und nicht an den Staat abgeschoben werden darf.

Dankbare Abnehmer solcher Ideen sind die Medien, allen voran die Kanäle von SRF. Entsprechend musste sofort eine «Arena» zur «Elternzeit» her. Sie waren auch dort. Ihr Fazit der Diskussion?

Ich habe im Vorfeld der Diskussion eine Vielzahl von E-Mails erhalten, was vorher noch nie der Fall war. Der Tenor war einheitlich negativ. Es sei nun langsam «fertig» mit diesen linken Forderungen auf Kosten der Gesellschaft. In zahlreichen Zuschriften durfte ich herauslesen, dass anscheinend Kinderbetreuung mit Hausarbeit nicht als Arbeit betrachtet werde. Und dass es nun endlich an der Zeit sei, dass diese nicht nur Geld werte, sondern wertvolle Eigenbetreuung wieder einen höheren Stellenwert bekommen müsse. Ich fand die öffentlich geführte Diskussion wichtig, zumal es mir gezeigt hat, dass die Mehrheit nicht hinter solchen Forderungen steht.

Zahlen zeigen deutlich auf, dass die grosse Mehrheit der Eltern die Kinder primär privat respektive in einer Kombi-Lösung betreuen lassen, sich aber öffentlich zu wenig dazu bekennen. Vergessen wir bei dieser Debatte nicht, dass sich die Politik in der direkten Demokratie an Mehrheiten und nicht an Minderheiten zu orientieren hat.

Auch die Finanzierung von Kindertagesstätten (Kita) soll ausgebaut werden. Die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) fordert, dass Eltern für die institutionelle Kinderbetreuung finanziell entlastet werden. Sie sind eine vehemente Gegnerin dieses Ausbaus. Weshalb?

Ich bin keine Gegnerin von Kitas. Das möchte ich hier ganz speziell herausstreichen. Ich finde diese Institutionen sogar sehr wichtig und richtig. Es ist in erster Linie aber Sache der Kantone und Gemeinden, hier die geeigneten Lösungsangebote, regional zugeschnitten, zu sichern. Ich bin aber gegen ein einseitiges, unausgewogenes Finanzierungssystem. Wer Kinder extern betreuen lässt, wird gegenüber der Eigenbetreuung finanziell massiv bevorzugt. Ich würde sogar weitergehen. Der Staat entscheidet somit, welches Betreuungssystem nachhaltig ist, und greift damit tief in die Familien ein. Hier hat der Staat nichts verloren. Eine Familie zu gründen – mit allen Konsequenzen –, ist ein persönlicher Entscheid, dies muss auch privat gelöst werden. Wir verlangen deshalb, dass in der Kommission dieses Geschäft nochmals beraten wird und alle Betreuungsformen miteinbezogen werden müssen, wenn das Ziel sein soll, mehr Arbeitsstunden von Frauen zu erzielen.

Die vorliegende Vorlage wird wenig oder sogar überhaupt keinen Effekt erzielen, da es zu einer sogenannten Substitution führen würde. Das heisst, es ist zu erwarten, dass wenn jemand heute sein Kind zwei Tage privat betreuen lässt, es danach zwei Tage extern in Obhut geben wird. Folglich wird sich am Arbeitspensum der Frau nichts ändern, aber zusätzlich zu enormen Staatsausgaben führen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird negativ.

Die NZZ am Sonntag berichtete unlängst mit Blick auf neue Forschungsergebnisse, dass Subventionen für Kitas nichts bringen und die Mütter trotzdem zu Hause bleiben. Sie sehen das demnach auch so?

Ja, denn Studien in umliegenden Ländern haben gezeigt, dass sich trotz massivem Ausbau der finanziellen Unterstützung keine markante Erhöhung der Arbeitsstunden von Frauen ergeben hat. Umfragen zeigen, dass Frauen nach der Geburt aus eigenem Interesse nicht oder nur in einem geringen Pensum wieder arbeiten wollen. Diese Haltung ist legitim, und schlussendlich ist es ein persönlicher Entscheid, wie und in welchem Umfang man wieder arbeiten möchte.

Zudem zeigen die Zahlen, dass die Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch ist. Die Schweiz belegt den 4. Platz in Europa. Über 80 Prozent der Frauen arbeiten nach der Geburt in einem Teilzeitpensum. Das ist in meinen Augen der entscheidende Faktor, dass Frauen nicht komplett aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Oder anders gesagt: Was nützt es, wenn wir eine Frauen-Erwerbsquote von 50 Prozent hätten und dafür diese Frauen Vollzeit arbeiten würden? Somit würde die Hälfte aller Mütter wohl nie wieder ins Erwerbsleben zurückfinden. In der Diskussion um Elternzeit wird oft fälschlicherweise Italien als Vorzeigeland hervorgehoben. Dort beträgt die Erwerbsquote der Frauen lediglich 56 Prozent. Deshalb mein Anspruch, dass lieber mehr Frauen im Arbeitsmarkt mit tieferen Arbeitspensen starten, die über die Zeitdauer erhöht werden können.

Der Ausbau der Kita-Finanzierung würde mehr als 700 Millionen Franken jährlich kosten, der Elternurlaub 1,4 Milliarden – dies nach Corona und bei angespannter Finanzlage des Bundes. Woher kommt diese finanzpolitische Sorglosigkeit?

Es ist ja bekanntermassen einfacher, in fremde Taschen zu greifen und Forderungen zu stellen, als selber verantwortlich sein Geld zu generieren. Die jährlich wiederkehrende Kita-Finanzierung von über 700 Millionen müsste über den Staatshaushalt finanziert werden, die Einführung der Elternzeit über höhere Lohnabzüge – namentlich die Verdoppelung der EO-Abzüge. Es ist sonnenklar, dass damit das Einkommen höher besteuert wird und jeglichen Werktätigen am Schluss weniger zum Leben bleibt. Damit die Arbeitspräsenz und mit ihr die Produktivität steigt, liegt der Weg unter anderem in einer besser austarierten Steuerprogression. Mein Grundsatz: Arbeit muss sich lohnen.

Das Beispiel Kita-Finanzierung ist auch ein Lehrbeispiel, wie dieser ständige Ausbau abläuft. Zuerst sprechen Politiker von einer Befristung und irgendwann kommt eine stetige Unterstützung aufs Tapet. Wie kann man dem Einhalt gebieten?

Vorsicht oder besser gesagt: Wehret den Anfängen. Seit 2003 ist die Anstossfinanzierung in Kraft und war eigentlich auf acht Jahre befristet. Danach hat man es x-mal verlängert. Jetzt, nach über 20 Jahren, rund 450 Millionen Ausgaben und 72 000 entstandenen Kita-Plätzen, will die Politik eine Verstetigung der Finanzierung von über rund 700 Millionen jährlich einführen. Nicht nur angesichts der finanziellen Schieflage des Bundes auf die nächsten Jahre hinaus, sondern auch der Kosten-Nutzen-Effekt lässt aufhorchen und muss finanzaffine Politiker kritischer werden lassen. Es ist einmal mehr offensichtlich: Was einmal im politischen Prozess eingeführt wurde, verschwindet nicht mehr. Deshalb: Wehret den Anfängen.

Trotz aller Kritik: Der Fachkräftemangel ist unbestritten. Wie will Ihre Partei, die SVP, dafür sorgen, dass Mütter mehr arbeiten gehen?

In erster Linie sollen Familien gemeinsam selber entscheiden, welches Familienmodell sie gerne leben möchten. Wenn wir die Zahlen anschauen, hat die Schweiz eine sehr hohe Erwerbsquote bei den Frauen. Das ist doch positiv zu werten. Ziel muss eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf lange Frist sein. Stellen wir uns doch dieser Aufgabe, lassen den Staat aus dem Spiel und übernehmen diese mit grösstmöglicher Eigenverantwortung. Ganz nach dem Motto: Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat.

Interview: Rolf Hug

www.diana-gutjahr.ch

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