Publiziert am: 12.05.2023

«Auch im Interesse der KMU»

BUNDESRÄTIN KARIN KELLER-SUTTER – «Weil die OECD-Mindestbesteuerung international sowieso kommt, haben wir die Wahl: Sollen die zusätzlichen Steuereinnahmen in der Schweiz anfallen oder ins Ausland fliessen?», sagt die Finanzministerin. Und sie setzt sich für den Erhalt der Schulden­bremse ein.

Schweizerische Gewerbezeitung: Rund 140 Staaten haben sich im Rahmen der OECD darauf geeinigt, eine international koordinierte Mindeststeuer fĂĽr Grossunternehmen von 15 Prozent zu erheben. Weshalb setzen Sie sich als Finanzministerin dafĂĽr ein, dass die Schweiz hier mitmacht?

Bundesrätin Karin Keller-Sutter: Bundesrat und Parlament möchten die Grundlage schaffen, damit die Schweiz die Mindestbesteuerung gleichzeitig mit wichtigen anderen Ländern umsetzen kann. Tut sie das nicht, können andere Länder die Differenz zur Mindestbesteuerung von 15 Prozent bei grossen, international tätigen Unternehmensgruppen erheben. Weil die Mindestbesteuerung international sowieso kommt, haben wir die Wahl: Sollen die zusätzlichen Steuereinnahmen in der Schweiz anfallen oder ins Ausland fliessen? Es ist also im Interesse der Schweiz, die Mindestbesteuerung umzusetzen. Es geht aber nicht nur um Steuereinnahmen, es geht auch um stabile Rahmenbedingungen für grosse, international tätige Unternehmensgruppen in der Schweiz und damit um Arbeitsplätze.

Am 18. Juni 2023 wird das Volk über die OECD-Mindeststeuer abstimmen. Der Beschluss der OECD setzt die Schweiz unter Druck; der Standortwettbewerb wird dadurch verstärkt. Warum ist es trotzdem wichtig, dass auch die Schweiz eine solche Steuer einführt?

Die Schweiz hat sich zusammen mit rund 140 weiteren Staaten zu dieser Mindestbesteuerung bekannt. Wir sind rechtlich nicht verpflichtet, sie umzusetzen. Dieser Entscheid obliegt jetzt den StimmbĂĽrgerinnen und StimmbĂĽrgern. Bundesrat und Parlament sind aber der Ansicht, dass die Schweiz die Mindestbesteuerung im eigenen Interesse umsetzen soll.

Wie viele Firmen – in- und ausländische – sind in der Schweiz von dieser Änderung betroffen?

Von der Mindestbesteuerung sind nur grosse, international tätige Unternehmensgruppen betroffen mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro. Das sind wichtige Arbeitgeber: In der Schweiz arbeitet jede vierte beschäftigte Person bei einer multinationalen Unternehmensgruppe. Trotzdem ist die Anzahl von der Reform betroffener Unternehmen vergleichsweise klein. Insgesamt sind in der Schweiz gemäss dem Bundesamt für Statistik über 600 000 Unternehmen tätig. Davon sind schätzungsweise nur wenige Hundert inländische sowie wenige Tausend ausländische Unternehmensgruppen von der OECD/G20-Reform betroffen. Viele dieser Gruppen dürften über mehrere Unternehmen in der Schweiz verfügen. Sicher ist, dass die allermeisten Unternehmen in der Schweiz von der Reform nicht direkt betroffen sind und wie bisher besteuert werden.

Die OECD-Mindeststeuer betrifft Grossunternehmen. Wie werden kleine und mittlere Unternehmen von dieser Steuer betroffen sein?

Sie sind von der Reform nicht direkt betroffen. Für KMU ändert sich nichts, sie werden mit demselben Steuersatz besteuert wie bisher. Die Reform hat aber natürlich einen indirekten Einfluss auf die KMU: Sie unterhalten wirtschaftliche Beziehungen zu den betroffenen grossen Unternehmen, beispielsweise als Lieferanten, Vorproduzenten oder als Dienstleistungserbringer für die Beschäftigten in diesen Unternehmen. Dass die Reform gelingt, liegt daher auch im Interesse der KMU und ihrer Beschäftigten.

Wenn zusätzliche Einnahmen dazu verwendet werden, grosse Unternehmensgruppen am Standort Schweiz zu halten, besteht die Gefahr, dass die KMU leer ausgehen. Werden die «Grossen» hier bevorteilt?

Im Gegenteil. Es sind ja zuerst einmal diese grossen, international tätigen Unternehmensgruppen, die künftig stärker besteuert werden als kleinere Unternehmen. Wie stark der Unterschied ist, hängt davon ab, wie tief die heutige Besteuerung eines Unternehmens in einem Kanton ist. Je tiefer sie ist, desto höher wird die Ergänzungssteuer für die betroffenen grossen Unternehmen ausfallen. Darum müssen wir ja auch die Verfassung ändern. Massnahmen zur Förderung der Standortattraktivität zur direkten Kompensation von betroffenen Unternehmen sind gemäss den internationalen Vorgaben nicht möglich. Denkbar sind zum Beispiel Standortmassnahmen wie die Förderung von Forschung und Entwicklung oder Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Solche Massnahmen können Anreize mit volkswirtschaftlichem Mehrwert schaffen und kommen allen Unternehmen und der Bevölkerung zugute. Vom Erhalt der Standortattraktivität und damit auch des Steuersubstrats profitieren alle, auch die Bevölkerung.

Wie hoch schätzen Sie die Mehreinnahmen ein, welche der Schweiz durch die Mindeststeuer zufliessen werden?

Die Einnahmen sind sehr schwierig abzuschätzen. Im ersten Jahr könnten sie laut der Eidgenössischen Steuerverwaltung eine bis 2,5 Milliarden Franken betragen. Mittel- oder langfristig kann sich das aber auch ändern. Durch die OECD/G20-Mindestbesteuerung büsst die Schweiz an steuerlicher Attraktivität ein, zugleich bleiben beispielsweise die Produktionskosten im internationalen Vergleich hoch. Das könnte Unternehmen beispielsweise auch dazu veranlassen, weniger in der Schweiz zu investieren. Dies würde sich dann negativ bei sämtlichen Staatseinnahmen bemerkbar machen.

«Es geht nicht nur um Steuereinnahmen, sondern auch um stabile Rahmenbedingungen – und damit um Arbeitsplätze.»

Diese Mehreinnahmen haben zu grossen Diskussionen geführt. Nun sollen 75 Prozent der Einnahmen in den Kantonen bleiben und 25 Prozent an den Bund fliessen. Warum sollen die Kantone den grössten Teil der zusätzlichen Einnahmen behalten und nicht der Bund?

Der Verteilschlüssel von 75 zu 25 Prozent wurde zwar vom Parlament beschlossen, aber er entspricht einem Kompromiss mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen und Gemeinden. Diese Verteilung wurde gewählt, damit die Einnahmen gezielt dort eingesetzt werden können, wo die zusätzliche Steuerbelastung zu einer Einbusse an Standortattraktivität führt. Das heisst dort, wo die betroffenen Unternehmensgruppen künftig höhere Steuern als heute bezahlen müssen.

Es ist aber nicht so, dass nur Kantone von zusätzlichen Einnahmen profitieren werden, die besonders tiefe Steuern und besonders viele grosse, international tätige Unternehmensgruppen beherbergen. Der nationale Finanzausgleich sorgt für einen gewissen Ausgleich zwischen ressourcenstarken und ressourcenschwachen Kantonen. Vereinfacht gesagt müssen Kantone, die dank der Ergänzungssteuer zusätzliche Einnahmen erhalten, mehr zugunsten der ressourcenschwachen Kantone zahlen. Auch der Bund muss etwa einen Drittel seines Anteils an den zusätzlichen Steuererträgen in diesen Ressourcenausgleich einzahlen.

Die Kantone stehen denn auch einstimmig hinter dieser Reform. Auch der Städte- und der Gemeindeverband empfehlen eine Annahme.

Der Verteilschlüssel ist übrigens nicht in Stein gemeisselt. Die Verordnung, mit der wir die Mindestbesteuerung rechtzeitig einführen wollen, muss später nämlich von einem Gesetz abgelöst werden. Bei der Erarbeitung dieses Gesetzes könnte das Parlament den Verteilschlüssel bei Bedarf auch wieder anpassen, gestützt auf die Erfahrungen, die wir bis dahin mit der Ergänzungssteuer gemacht haben.

Mit der Vorlage verlieren die Kantone einen weiteren Teil ihrer Steuerhoheit im internationalen Umfeld. Weshalb setzen Sie sich dennoch fĂĽr die OECD-Mindeststeuer ein?

Wie gesagt: Wenn andere Länder die Mindestbesteuerung einführen und die Schweiz nicht, dann verlieren wir Steuersubstrat. Die betroffenen Unternehmen müssten diese Steuern dann einfach im Ausland entrichten. Formal wäre zwar die Steuerhoheit der Kantone gewahrt, aber faktisch ist der steuerliche Standortvorteil ausgehebelt. Die Kantone könnten dann die Mittel nicht für Massnahmen nach kantonalem Recht einsetzen. Das wäre sicher nicht im Interesse der Schweiz und ihrer Bevölkerung.

Was passiert, wenn die Schweiz diese Steuer am 18. Juni ablehnt?

Wir hätten dann keine Verfassungsgrundlage, die nötig ist, um die Mindestbesteuerung einzuführen. Damit bestünde die Gefahr, dass die international tätigen Unternehmensgruppen die zusätzlichen Steuern im Ausland statt in der Schweiz bezahlen würden. Die Schweiz würde also freiwillig auf Steuereinnahmen verzichten. Zudem haben wir als Wirtschaftsstandort ein grosses Interesse daran, für Unternehmen Rechtssicherheit und Planbarkeit zu schaffen. So erhalten wir auch Arbeitsplätze.

Zuletzt eine Frage ausserhalb des Themas OECD. Zunehmend werden dem Bund höhere Ausgaben aufgebürdet – Stichworte: Prämienvergünstigungen oder externe Kinderbetreuung. Was sagen Sie als Finanzministerin dazu, insbesondere auch mit Blick auf die Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse wird dieses Jahr 20 Jahre alt. Und sie hat in diesen 20 Jahren dazu geführt, dass wir gesunde Finanzen haben. Diese finanzpolitische Stabilität ist ein wichtiger Standortvorteil. Die tiefe Verschuldung hat uns aber auch ermöglicht, in der Corona-Pandemie den Leuten und der Wirtschaft rasch und kräftig unter die Arme zu greifen. Jetzt müssen wir schauen, dass wir diesen Vorteil und diese Handlungsfähigkeit nicht wieder verspielen, indem wir immer neue Ausgaben beschliessen, die nicht gegenfinanziert sind. Der Bundesrat hat Vorschläge gemacht, wie wir den Haushalt in den nächsten Jahren im Lot behalten können. Das Parlament kann die Prioritäten natürlich anders setzen, aber es ist wie der Bundesrat an die Schuldenbremse gebunden.

Interview: Gerhard Enggist

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