Publiziert am: 12.05.2023

Neutralität verbindlich machen

Viele Schweizer sind beunruhigt durch die Tatsache, dass unsere immerwährende, bewaffnete und umfassende Neutralität im März letzten Jahres preisgegeben wurde. Dies geschah zu Beginn des Ukraine-Kriegs durch eine erstmalige vollständige und bedingungslose Übernahme der Sanktionsmassnahmen der Europäischen Union gegen Russland. Damit hat der Bundesrat ohne Mandat des Souveräns eine völlig neue Neutralitätspolitik beschritten. Gewiss, auch in den vergangenen Jahren hat die Schweiz zuweilen Sanktionsmassnahmen mitgetragen. Aber es waren jene der Uno, welche die gesamte Völkergemeinschaft vertritt und in der die Schweiz Mitglied ist.

Nach kurzem Zögern hat der Bundesrat die Schweiz – ohne Volksabstimmung – zur Partei im Wirtschaftskrieg gegen Russland gemacht. Russische «Oligarchen» wurden ohne vernünftige Definition dieses Begriffs zu dermassen verdammenswerten Bösewichte erklärt, dass ihre Bekämpfung den Bruch mit Tradition, Verfassung und Gesetz rechtfertigen sollte. Während die offizielle Schweiz die Neutralität über Bord warf, wurde dem Schweizer Volk vorgegaukelt, sie bleibe im Kernbestand intakt. Dies beurteilte man im Ausland aber ganz anders. Der amerikanische Präsident Joe Biden hat lobend vermerkt, dass sogar die Schweiz von ihrer jahrhundertealten Neutralität abweiche. Und Russland setzte unser Land flugs auf die Liste unfreundlicher, sprich feindlich gesinnter Staaten.

Dabei hat die Schweiz konsequent an ihrer bewährten Staatsmaxime festgehalten, als sie im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen aufs Äusserste bedroht war. Dasselbe gilt für den Kalten Krieg, als die Gefährdung durch unzählige marschbereite Panzerdivisionen des Ostblocks bis an die Grenzen von Bayern ungleich grösser war. Doch im März 2022 hat sich die Schweiz ohne Erlaubnis der Stimmbürger und unter Bruch der verfassungsrechtlichen Neutralitätsverpflichtung in die Reihe der Kriegsparteien gegen eine Atommacht eingegliedert.

Wer ein Krokodil füttert, besänftigt es nicht. Bereits werden im Inland Forderungen nach einer weitgehenden Integration in die Nato laut. Und das Ausland verlangt gebieterisch die Erlaubnis nach Lieferung von Kriegsmaterial Richtung Ukraine – unter Preisgabe unseres geltenden Rechts. Viel zu wenig gehört wird der Widerspruch eines so realitätsnahen, vernünftigen Humanitätspraktikers wie Peter Maurer, bis vor Kurzem Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz: «Unser Auftrag ist es, in Kriegen einen humanitären Schutzraum zu gewähren. Das können wir nur tun, wenn wir neutral sind.»

Damit der Bundesrat die Neutralität künftig nicht mehr im Alleingang und einzig nach seinem Gusto auslegen kann, hat eine überparteiliche Gruppe um alt Bundesrat Christoph Blocher, namhaften Rechtsprofessoren und ehemaligen Bundesrichtern sorgfältig und umsichtig eine Neutralitätsinitiative formuliert. Der Text hält fest, dass die Schweiz immerwährend und bewaffnet neutral sei. Unser Land tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten bleibt wie bisher eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs. Gemäss Initiativtext beteiligt sich die Schweiz nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten und trifft auch keine nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten. Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen (Uno) sowie Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen anderer Staaten. Und schliesslich soll die Schweiz ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten nutzen und als Vermittlerin zur Verfügung stehen.

Diese Grundsätze sind keineswegs neu, sondern entsprechen dem Geist und Buchstaben unserer Neutralitätstradition. Wenn dies aber klar und deutlich in der Bundesverfassung zum Ausdruck käme, könnte die Classe politique sie nicht mehr nach eigener Lust und Laune handhaben. Es wäre erfreulich, wenn die nötigen Unterschriften baldmöglichst zusammenkämen.

*Der Zürcher SVP-Nationalrat Roger Köppel ist Chefredaktor und Verleger des Wochenmagazins «Die Weltwoche».

www.weltwoche.ch

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