Publiziert am: 07.07.2023

Bitte kein Illusionstheater

KMU-NACHFOLGE – Mit ungewohnt direkten Worten spricht der deutsche Finanzprofessor Jörg Richard das Unbequeme aus: Für gewisse Unternehmen gibt es schlicht keine Nachfolger. Bei anderen ist es sinnvoll, dass die Verkäufer ihre Vorstellungen ernsthaft überdenken, damit ihr Lebenswerk allenfalls doch überleben kann.

Eine der unbequemsten Wahrheiten im Verkaufsprozess ist und bleibt für manchen KMU-Eigentümer: Niemand muss Ihr Unternehmen kaufen. In der aktuellen Phase noch weniger als zuvor. Wenn es um das geschätzte Lebenswerk geht, hört man dies verständlicherweise ungern. Die Einleitung des Nachfolgeprozesses mit dem Ziel eines erfolgreichen Verkaufes bedeutet aber auch, sich unbequemen und ausgeblendeten Realitäten zu stellen.

Verkaufszeitpunkt bestimmt Kaufpreis

Die Rahmenbedingungen für Nachfolge haben sich stark geändert: Vor anderthalb Jahren hat Kapital geradezu verzweifelt Anlage gesucht. Investmentprofile wurden von Kapitalgebern teilweise bis an die Grenzen strapaziert, was Bewertung und Qualität des Kaufobjektes anging, nur um freies Kapital anzulegen und sich Negativzinsen zu entziehen.

Haben Sie als Unternehmer mit Verkaufsabsicht diese Phase nicht genutzt bzw. nicht nutzen können, dann haben Sie bereits durch Ihr Nachfolge-Timing einen oft zweistelligen Prozentsatz des Unternehmenswertes einfach verschenkt. Für KMU gelten solche Abschläge erfahrungsgemäss im verstärkten Masse. Es ist wie bei Immobilien in 1c-Lage, die ausserhalb des Booms überproportional an Wert verlieren.

Es gibt noch weitere Felder, auf denen sich Unternehmensverkäufer in der Praxis als effiziente Wertvernichter und Lösungsverhinderer profilieren können.

Unternehmenseigentümer als Gefährder

Eigentümergeprägte KMU-Unternehmen sind durch besondere Merkmale gekennzeichnet – kurze und klare Entscheidungswege, zentrale Funktionen bei einer Person, Prägung durch eine starke Persönlichkeit etc. –, die oft auch genau deren Erfolgsfaktoren sind. Mit der Nachfolge verschwinden diese Vorteile allerdings, weil Sie als «Macher» sowie Werttreiber das Unternehmen verlassen. Dies bedeutet: Wesentliche Prozesse und Erfolgsfaktoren sind für den Käufer verloren. Inwieweit ist die vorhandene Unternehmenskultur zudem in der Lage, Nachfolger, die «anders» als Sie sind, zu akzeptieren?

Das ist für jeden Übernehmer ein erhebliches Risiko, das kaum jemand ohne Abschläge auf den Kaufpreis auf sich nimmt, wenn überhaupt. Oder fordern Sie bei Investments in risikoreiche Start-ups die gleiche Risikoprämie wie bei einer Anlage in einer sicheren Schweizerischen Bundesanleihe?

Bewertung: The sky is the limit

Als langjähriger Eigentümer sind Sie zudem überzeugt: Es steckt «unglaublich viel Potenzial» im Unternehmen. Potenzial, das sich natürlich im Verkaufspreis widerspiegeln muss. Wenn ein Nachfolge-bedürftiges Unternehmen 20 Jahre existiert, entsteht aber die Frage, warum der Käufer für ein abstraktes Potenzial schon heute konkret Cash geben soll, obwohl der erfahrene Eigentümer dieses Potenzial selbst bisher nicht zu heben vermochte und in Zukunft auch nicht heben will, obwohl der Kaufpreis dann unzweifelhaft höher wäre.

Der Nachfolger soll also, nüchtern betrachtet, für seine eigene Tätigkeit und später selbst erwirtschafteten Erfolge möglichst sofort einen höheren Kaufpreis bezahlen? Deshalb die Frage: Bezahlen Sie Ihre Mitarbeiter und machen trotzdem deren Arbeit? Und wird der Lohn leistungsunabhängig schon heute für die nächsten fünf Jahre ausgezahlt? In diesem Fall kontaktieren Sie mich bitte ganz schnell, ich würde gerne mit Ihnen zusammenarbeiten!

Man trifft auf der Verkäuferseite auch immer wieder auf eine Ablehnung marktüblicher Standards bei der Bewertung: «Den Wert meines Unternehmens und meines Lebenswerkes kann man NICHT einfach mit ein paar Multiplikatoren oder Barwerten richtig erfassen», heisst es dann. Klar: Jeder darf beliebige Vorstellungen über den Wert des eigenen Unternehmens haben. Aber: Kein Gegenüber ist verpflichtet, sich Preisfantasien zu eigen zu machen, und sie auch noch zu bezahlen.

Warum soll ein Interessent für ein kleines, wenig verkehrsfähiges KMU z.B. das (relativ) Doppelte zahlen wie für ein globales börsennotiertes Unternehmen? Das müsste schon wohlbegründet und damit im Normalfall schwierig sein. Irgendwann müssen Sie sich als Verkäufer fragen: Ab wie vielen abgesprungenen Interessenten bin ich bereit, endlich über meine Kaufpreisvorstellung nachzudenken? Wieso habe ich mein Unternehmen in Zeiten sehr hoher Bewertungen immer noch für zu niedrig bewertet gehalten?

Planung ist nur was für Amateure

Bequemlichkeit oder emotionale Widerstände gegen Marktstandards tragen auch auf anderer Ebene zur Wertvernichtung bei: Oft besteht bei der Vorbereitung einer Nachfolgetransaktion wenig Bereitschaft, das eigene Unternehmen auf ein Minimum der Marktstandards «hochzuschleusen», z.B. was Dokumentation, Finance/Accounting, Planung etc. betrifft. Für Sie selbst hat ja bisher auch alles so gereicht...

Aber mal ehrlich: Machen Sie das bei Ihrem Kernprodukt genauso? Produzieren Sie ein Auto ohne Scheibenwischer, wenn der Markt zumindestens einen Scheibenwischer vorne und hinten fordert? Mit Sicherheit nicht, denn sonst wäre das Unternehmen vermutlich nicht mehr existent. Auch mit Ihrem Unternehmen wollen Sie etwas einem Dritten verkaufen, und es kommt dort genauso auf die Anforderungen im Markt an. Ein Käufer will bei einem Unternehmen ebenso eine transparente Sicht haben, nämlich auf das, was er gegebenenfalls kauft. Planung und Zahlen sind notwendige «Scheibenwischer», um Gefahren zu sehen.

Berater haben keine Ahnung

Kommen wir zu einem weiteren sensiblen Thema, nämlich der Rolle von Beratern. In der Praxis beobachtet man widersprüchliche Effekte: Bei unrealistischen Kaufpreiserwartungen stellen sich Unternehmer oft sogar gegen die Berater, welche das Unternehmen seit Jahrzehnten begleiten, und denen der Verkäufer sonst in sämtlichen anderen Feldern vertraut. Warum sollte Ihr Berater Ihnen genau in diesem Feld schaden wollen bzw. seinen eigenen Mandatsverlust forcieren?

Auf der anderen Seite ist immer wieder zu beobachten, dass Berater, die «immer schon alles für das Unternehmen gemacht haben», mit mangelnder Transaktionskompetenz Deals gefährden, der Unternehmer aber an ihnen festhält. Dies ist genauso kontraproduktiv. Die Beraterauswahl hat nach klaren und objektiven Kriterien zu erfolgen.

Konfliktär ist auch die Fee-Gestaltung bei einer Transaktion: «Ich möchte nur etwas bezahlen, wenn der Erfolg in Form einer Nachfolge eingetreten ist.» Berater, die selbst nicht an den Erfolg glauben oder nicht die entsprechenden Kompetenzen haben, werden damit ausgesteuert. Das ist nachvollziehbar, aber nur eine Seite der Medaille.

Wenn der Berater Sie von jeder Kleinigkeit zur Verbesserung des Transaktionserfolges in wochenlanger Kleinarbeit überzeugen muss, erwarten Sie dann wirklich eine ausschliesslich zeitunabhängige Erfolgsvergütung? Kein erfolgreicher M&A-Berater wird aus betriebswirtschaftlichen Gründen ein Mandat übernehmen, wo weder Bereitschaft noch Fähigkeit bestehen, die Marktrealitäten annähernd oder mit immensem Zeitaufwand zu akzeptieren. Er selbst kann und will keine Autos ohne Scheibenwischer verkaufen. Damit fehlt im schlimmsten Falle der notwendige Sparringspartner in einer solchen Transaktion.

Wird Nachfolge künftig leichter?

Viele KMU-Verkäufe resultieren typischerweise nicht nur in einem neuen Eigentümer, sondern zeitgleich in einem Eigentümer- und Managementwechsel. Die allgemeinen Rahmenbedingungen verbessern sich künftig nicht: Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Nachfolgermangel. Für Ihr Timing müssen Sie sich also fragen: Kennen Sie irgendwelche stichhaltigen Gründe, warum sich diese Situation in der nahen Zukunft zu Ihren Gunsten ändern wird?

Die Energie, sich jahrelang über die ungerechte Bewertung oder mangelndes Interesse zu beklagen, sollte lieber in eine systematische Vorbereitung umgelenkt werden. Die Nachfolge in einem unvorbereiteten Unternehmen stellt ein erhebliches Risiko dar. Sie selbst werden im Zweifelsfalle zu Ihrem grössten Nachfolgerisiko, auch für den Bestand des Unternehmens.

Nicht verschwiegen werden sollte aber auch, dass einige Unternehmen feststellen werden: Für uns gibt es einfach keinen Käufer bzw. Nachfolger.Jörg Richard*

Jörg Richard verfügt über langjährige Erfahrung im Beteiligungs- sowie M&A-Geschäft und berät u.a. Schweizer Family Offices. Er ist Professor für Finance an einer privaten Hochschule.

Fragen an: richard@rpe-equity.com

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