Publiziert am: 01.09.2023

Die Meinung

Ein Schritt vorwärts, und zwei zurück

Regulierungskosten machen etwa zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Das sind über 70 Milliarden Franken pro Jahr. Viel, ja sehr viel Geld. Das Parlament hat es in der Hand, das Wachstum dieser Kosten einzudämmen. Doch es sieht nicht gut aus.

Eines der Mysterien der Schweiz ist: Alle reklamieren über Regulierungen. Ob es hanebüchene Bauvorschriften sind oder der alltägliche Formularkrieg: Über alles wird gemotzt. Selbst im Parlament tragen verschiedenste Vorstösse den Bürokratieabbau im Titel. Den Kampf gegen Regulierungskosten schreiben sich alle Bürgerlichen auf die Fahne – vor den Wahlen sowieso. Selbst die Linke argumentiert damit.

Doch wenn es darum geht, einzelne Regulierungen abzubauen, kehrt sich das Ganze ins Gegenteil. Da wird auch die kleinste Regulierung bis aufs Blut verteidigt. Die Abschaffung des Statistikobligatoriums? Auf keinen Fall, da würde doch die helvetische Konföderation zusammenkrachen! Die Vereinfachung der Bewilligungspflicht für den Bau von Stromanlagen aus erneuerbarer Energie? Niemals, denn damit könnte sogar die Erdanziehungskraft aus den Fugen geraten...

Bestehende Regulierungen, Formulare und bürokratische Prozesse haben grosse Freunde in Politik und Verwaltung. Kann man also mindestens etwas gegen ihr ungebremstes Wachstum tun? Der sgv hat mit der Regulierungskostenbremse ein vifes Instrument geschaffen, welches das Wachstum von neuen Regulierungskosten abzudämpfen hilft.

Die Bremse funktioniert ganz einfach. Betrifft eine Regulierung mehr als 10 000 Unternehmen oder führt sie zu einem markanten Anstieg der Regulierungskosten, so muss sie im Parlament von einem qualifizierten Mehr angenommen werden. Ein solches Vorgehen ist exakt der Ausgaben- und Schuldenbremsen konzipiert. Diese Bremsen gehören anerkanntermassen zum Erfolgsmodell Schweiz.

Das wurde zunächst vom Parlament erkannt. Deshalb überwiesen die Räte Motionen, die eine solche Bremse verlangen. Der Bundesrat, oberster Hüter der Regulierung, wollte sie aber nicht umsetzen. Nach langem Zögern verabschiedete er schliesslich doch eine Botschaft dazu. Darin offenbarte er sich als grösster Freund der Regulierungskosten. Er rät dem Parlament, nicht auf die Bremse einzutreten.

Nachdem der Ständerat sich dieser Freundschaftsgruppe anschloss und nicht auf die Regulierungskostenbremse eingetreten ist, will sich nun auch der Nationalrat als Regulierungsfreund behaupten. Auch die grosse Kammer will nämlich nicht auf die Regulierungsbremse eintreten. Um es deutlich zu sagen: Das Parlament, das Motionen für die Bremse überwiesen hatte, macht nun eine Kehrtwende. Zwei Schritte zurück...

Immerhin soll ein Unternehmensentlastungsgesetz kommen. Dieses beauftragt die Verwaltung, Möglichkeiten zur Senkung der Regulierungskosten umzusetzen, und führt auch konkrete Massnahmen ein, wie zum Beispiel Digitalisierung. Also doch ein Schritt vorwärts.

Es bleibt die Hoffnung, dass der eine Schritt, den man vorwärtsgeht, die Regulierungskosten wirklich abzubauen vermag. Es bleibt die Hoffnung, dass die Verwaltung ernst macht mit der Entbürokratisierung. Und es bleibt die Hoffnung, dass sich das Parlament bei der Einführung neuer Regulierungskosten zurückhält.

Aber es bleibt auch die Skepsis. Denn die Freunde der Regulierung in Verwaltung und Parlament sind zahlreich. Anders kann man die zwei Schritte zurück gar nicht erklären.

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