Publiziert am: 01.09.2023

«Gewerbliche Erfahrung hilft»

HANSJÖRG BRUNNER – Der alt Natio­nal­rat, Unternehmer und Präsident des Thurgauer Gewerbeverbands kan­di­diert erneut für die FDP für einen Sitz im Nationalrat. Als KMU-Vertreter weiss er, was die Wirtschaft braucht – ein Mindestlohn für Lehrlinge gehört nicht dazu.

Schweizerische Gewerbezeitung: Sie sind Inhaber und Geschäftsführer eines mittelständischen Druckereiunternehmens mit 25 Mitarbeitenden und drei Lernenden. Sie kandidieren erneut für den Nationalrat. Was können Sie als Unternehmer in die Politik einbringen?

Hansjörg Brunner: Im Parlament wird viel zu viel um den heissen Brei herum diskutiert. Da wird lamentiert, gestritten und gerungen, anstatt dass mit Vernunft und Weitsicht mehrheitsfähige Lösungen erarbeitet werden. Damit muss Schluss sein! Das Parlament braucht dringend verhandlungsstarke, konsensorientierte Politiker mit gewerblicher Erfahrung, die mit Beharrlichkeit Mehrheiten überzeugen. Pragmatische Entscheidungsträger, die mit ihren eigenen Firmen und Betrieben Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen und die Wirtschaft voranbringen. Als KMU-Vertreter weiss ich aus tagtäglicher Erfahrung, was es dazu braucht.

«Wenn sich der kleine Gewerbebetrieb einen Lehrling nicht leisten kann, wird er ihn oder sie auch nicht ausbilden – so einfach ist das!»

Weshalb ist es wichtig, dass sich KMU-Inhaber in die Politik einbringen?

Weit über 90 Prozent aller Unternehmen in der Schweiz sind KMU. Sie bilden das Rückgrat unserer Gesellschaft und sorgen für deren Wohlstand. KMU stellen nicht nur Produkte und Dienstleistungen zu unserem Nutzen her, sondern sie generieren auch einen grossen Teil der Steuereinnahmen des Staates. KMU beschäftigen rund zwei Drittel aller Arbeitnehmenden und bilden mehr als 80 Prozent aller Lernenden aus. Die Schweiz ist deshalb zwingend auf eine KMU-freundliche Politik angewiesen.

Wie finden Sie die passenden Fachkräfte, die Sie in Ihrer Druckerei benötigen?

Wir sind in der glücklichen Lage, auf langjährige Mitarbeitende zählen zu können. Der gute Teamgeist, der bei uns herrscht, ist sicher ein Grund dafür. Aber auch in unserer Branche ist es sehr schwierig, offene Stellen zu besetzen. Auf Ausschreibungen in der Fachpresse und auf Social Media erhalten wir momentan kaum Resonanz. Im Frühjahr konnten wir jedoch eine junge Polygrafin einstellen, die von einer unser Mitarbeiterinnen auf eine offene Stelle bei uns angesprochen worden ist.

Und wie kommen Sie zu den passenden Lehrlingen?

Wir geniessen als Ausbildungsbetrieb einen guten Ruf, sodass wir unsere Lehrstellen bisher immer besetzen konnten. Bei der Lehrlingssuche arbeiten wir mit den Schulen der benachbarten Gemeinden zusammen und bieten Schnuppernachmittage und Schnupperlehren an. An örtlichen Gewerbeausstellungen präsentieren wir uns immer auch als Ausbildungsbetrieb.

Mit welchen Schwierigkeiten kämpfen Ihre Lehrlinge während ihrer Ausbildung am meisten? Und wie kommen Sie Lehrabbrüchen zuvor?

Wir sind ein sehr familiärer Betrieb, in dem die Lernenden eng im Team eingebunden sind. Da gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung vorhanden sind, spricht man bei Pro-blemen miteinander und sucht gemeinsam nach Lösungen. Bei uns kam es deshalb glücklicherweise noch nie zu einem Lehrabbruch.

Die Jungsozialisten fordern, dass Lehrlingen in allen Branchen bereits im ersten Lehrjahr ein Mindestlohn von 1000 Franken zustehen soll. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dieser Forderung gehört haben?

Schon wieder ein Angriff auf die freie Wirtschaft! Wenn sich der kleine Gewerbebetrieb einen Lehrling nicht leisten kann, wird er ihn oder sie auch nicht ausbilden – so einfach ist das! Schliesslich muss auch in der Lehre der Lohn der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen. Lernende im ersten Lehrjahr tragen noch nicht viel zur Wertschöpfung bei. Sie sind weniger im Betrieb, da sie die Berufsschule und die überbetrieblichen Kurse besuchen. Dazu benötigen sie eine intensive Betreuung des Fachpersonals. Deshalb ist auch ein Lohn von 1000  Franken und mehr nicht gerechtfertigt.

Welche Auswirkungen hätte ein solcher Mindestlohn auf Ihr KMU und alle anderen Lehrbetriebe in der Schweiz?

Mit Sicherheit würden Ausbildungsplätze verloren gehen. Und das kann ja niemand wollen. Aber lassen Sie mich die Frage grundsätzlich beantworten. Es ist einfach unglaublich, dass von links nach rechts immer mehr unsinnige und selbstzerstörerische Forderungen ins politische Spiel gebracht werden, nur um sich im Mediendschungel Gehör zu verschaffen. Das ist derart kontraproduktiv – und ein Grund mehr, dass unsere Parlamente dringendst mit KMU-Vertretungen verstärkt werden müssen.

Kann es sein, dass der Berufsbildung auch heute noch nicht jene gesellschaftliche Wertschätzung entgegengebracht wird, die sie eigentlich verdiente?

Nein, dieser Meinung bin ich nicht, auch wenn es Eltern geben mag, die ihren Nachwuchs aus Prestigegründen in ein Studium drängen. Die Durchlässigkeit unseres Berufsbildungssystems, welches die verschiedensten Bildungswege, die zum Erfolg führen, beinhaltet, verfügt über einen sehr guten Ruf. Für jeden Abschluss gibt es einen Anschluss. Das überzeugt zum Beispiel im Kanton Thurgau über 70 Prozent aller Jugendlichen, die ihre Berufskarriere mit einer Lehre starten.

Zurück zum Druckergewerbe: Wie gehen Sie mit der Billigkonkurrenz aus dem nahen Deutschland um?

Mit Qualität, Zuverlässigkeit und Flexibilität. Wir sind glücklich, einen sehr treuen Kundenstamm bedienen zu dürfen, der Leistung an oberster Stelle setzt.

Jährlich fliessen via Einkaufstourismus 8,5 Milliarden Schweizer Franken ins Ausland ab. Sie sind Präsident des Thurgauer Gewerbeverbands. Wie spürt Ihr Kanton– als klassische Grenzregion – die Auswirkungen dieser Entwicklung?

Wie haben die Konsumentinnen und Konsumenten doch in den Pandemiezeiten das einheimische Schaffen gelobt und geschätzt. Wer auf ein langfristiges Umdenken hoffte, wurde enttäuscht. Der Einkaufstourismus blüht wieder fast wie vor Corona, da der aktuelle Eurokurs das Einkaufen im Ausland nun wieder sehr attraktiv macht. Glücklicherweise ist die Auslastung der Thurgauer Betriebe und des Einzelhandels im Moment auch mit Einkaufstourismus gut bis sehr gut. Das Fehlen des Fachpersonal ist das grössere Konjunkturrisiko. Wir alle wissen aber, dass sich das auch wieder schnell ändern kann.

«Wer auf ein lang-fristiges Umdenken hoffte, wurde enttäuscht. Der Einkaufstourismus blüht wieder fast wie vor Corona.»

Anlässlich der Wahlen vom 22. Oktober können im Thurgau knapp 5000 stimmberechtigte Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer elektronisch mitbestimmen, wer den Kanton im Nationalrat vertritt. Für wie sicher halten Sie E-Voting?

Die Cybersicherheit ist ein heikles Thema, das sowohl die Wirtschaft wie auch die Politik in Zukunft in Atem halten wird. Ich gehe davon aus, dass die elektronische Abstimmung genügend geprüft ist und wir keine negativen Überraschungen erleben werden. Mit dem E-Voting lässt sich das Problem von zu spät erhaltenen Wahlunterlagen, wie es in der Vergangenheit immer wieder vorkam, verhindern.

Zum Schluss: Welche Chancen rechnen Sie sich aus, dass Sie im Dezember wieder im Nationalrat sitzen?

In erster Linie geht es um meine Partei, die FDP.die Liberalen. Wir werden alles daransetzen, um unseren Sitz zurückzugewinnen. Ich zähle natürlich auf die breite Unterstützung der Mitglieder des Thurgauer Gewerbeverbandes und erhoffe mir viele Stimmen aus Gewerbe- und Wirtschaftskreisen.

Interview: Gerhard Enggist

www.hansjoerg-brunner.ch

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