Der sgv fasst einstimmig die Nein-Parole zur «Umweltverantwortungsinitiative»
Energieversorgung in Krisenzeiten
ENERGIE – Auf Versorgungskrisen vorbereitet zu sein, gehört zur DNA der Mineralölwirtschaft. Sie kann als Vorbild dienen für den Umgang mit den Risiken, die sich aus der Auslandabhängigkeit unserer Energieversorgung ergeben.
In diesem Herbst jährt sich zum 50. Mal eine der schwersten Energieversorgungskrisen in unserem Land; sie dürfte mit ihren symbolträchtigen autofreien Sonntagen bei manchen noch in Erinnerung sein. Im Oktober 1973 löste der Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn eine Erdölkrise mit knappem Angebot und explodierenden Preisen aus. Der Bundesrat legte der Ölwirtschaft nahe, so viel an Produkten ins Land zu bringen wie möglich, unabhängig vom Preis.
Die Branche selbst sah die Ursachen der Krisen mit einer Prise Selbstkritik in den fehlenden Raffineriekapazitäten und im mangelhaften Ausbau der Infrastruktur. Sie zog Lehren, die 50 Jahre später noch eine frappante Aktualität haben: Das Krisenmanagement müsse ausgebaut werden, Rationierung und flankierende Massnahmen seien vorzusehen, die Lagermöglichkeiten müssten ausgeweitet, der Informationsfluss zwischen Behörden und Wirtschaft verbessert werden. Man wähnt sich im Hier und Jetzt, wenn man diese Empfehlungen aus dem Jahresbericht 1973 der damaligen Erdöl-Vereinigung liest.
Ein energiepolitisches DĂ©jĂ -vu
In den Jahren davor war die Energiewirtschaft noch mit einer anderen Herausforderung konfrontiert gewesen: dem stets zunehmenden Energiebedarf einer boomenden Wirtschaft. Zu Beginn der 1970er-Jahre war erstmals die Rede von einem Nachfrageüberhang in den industrialisierten Ländern, was unter anderem der Macht des Förderkartells OPEC zuträglich war. Der angekündigte Einsatz der Kernenergie verzögerte sich, was die Nachfrage nach Erdöl zusätzlich erhöhte. Der Eigenbedarf beim Strom konnte 1972 erstmals nicht mehr mit der inländischen Produktion gedeckt werden. Die Erdölwirtschaft reagierte besorgt ob der wachsenden Auslandabhängigkeit. Man könnte eigentlich «mit einem maliziösen Lächeln dem endlosen Meinungsstreit in der Öffentlichkeit um den Bau von Kernkraftwerken zusehen», entnimmt man ihren Annalen.
«der Ölwirtschaft fiel bereits vor einem halben Jahrhundert die Aufgabe zu, in die Lücke zu springen.»
Das sei aber nicht angebracht im Hinblick auf den zukünftigen Energiebedarf der Wirtschaft und Bevölkerung. Die Parallelen zur aktuellen Situation sollten eigentlich ein Lehrstück für die Energiepolitik sein. Wie auch immer: Der Ölwirtschaft fiel bereits vor einem halben Jahrhundert die Aufgabe zu, in die Lücke zu springen, d. h. die notwendige Energie und Versorgungsinfrastruktur sicherzustellen. Genau wie im Herbst 2023, wenn die Generatoren des Notkraftwerks in Birr (hoffentlich bloss) zum Probelauf gestartet werden.
Die Resilienz des Erdölmarkts
Diese Reminiszenz zeigt, dass die Auslandabhängigkeit unserer Energieversorgung eine wiederkehrende Herausforderung darstellt, die von der Erdölwirtschaft auch immer wieder gemeistert wurde. Die Rezepte lauten: Äufnung von Reserven im Inland, redundante und voneinander unabhängige Importkanäle auf Strasse, Schiene und Wasser, zusätzliche Versorgung über Pipelines, Produktionskapazitäten in Inlandraffinerien, eine breite Palette von ausländischen Lieferanten sowohl beim Rohöl wie auch seinen Produkten. Nach dem Einfall Russlands in die Ukraine wähnten wir uns eine Weile erneut in einer vergleichbar tiefgreifenden Krisensituation. Im März 2022 wollte der Bundesrat nicht ausschliessen, dass der Treibstoffpreis an der Zapfsäule gegen 4 Franken pro Liter steigen könnte. Es kam bekanntlich nicht gar so schlimm, die Spritpreise sind seit Monaten wieder mit jenen vor dem Ukrainekrieg vergleichbar. Genau dadurch zeichnet sich ein resilientes System aus: nach einer Störung rasch wieder in die ursprüngliche Lage zurückzufinden. Auch die lokale Versorgungslage mit Mineralölprodukten war in den letzten anderthalb Jahren nie ernsthaft in Gefahr.
Auslandabhängigkeit auch bei den Alternativen
Mit dem Konzept der Energiewende ist allenthalben auch die Erwartung verbunden, dass die künftige Energieversorgung unseres Landes vom Ausland unabhängiger werden sollte. Wenn wir auf Sonne, Wind und Wasser setzen statt auf Erdgas und Erdöl, ist unsere Energie «einheimisch», so das Narrativ. Bei genauer Betrachtung entpuppt sich dies jedoch als Illusion. Das eidgenössische Parlament hat schon früh erkannt, dass auch alternative Energien wie Biotreibstoffe oder Wasserstoff zum grossen Teil importiert werden müssen, und hat dementsprechend den Import gesetzlich geregelt (resp. wird es mit der Wasserstoffstrategie hoffentlich in Kürze tun). Selbst die mit dem Solar- und Windexpress angestrebte Erhöhung der erneuerbaren Stromproduktion im Inland löst das Problem der Auslandabhängigkeit in keiner Weise. Bei den sogenannt «sauberen Technologien» liegt laut der Internationalen Energieagentur IEA eine besorgniserregende Marktkonzentration vor, wie neulich anlässlich der Präsentation des Länderberichts in Bern zu erfahren war. Die EU definiert dieses Jahr die Versorgungslage bei 20 Rohstoffen, die für die erneuerbaren Energien notwendig sind, als «kritisch». Im März 2023 präsentierte die Europäische Kommission einen Vorschlag zu einem neuen Verordnungspaket zur gesicherten und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen – den Critical Raw Materials Act. China hat bei der Verarbeitung der kritischen Rohstoffe und bei der Entwicklung von Batterien, Photovoltaik und Windturbinen eine Marktposition erreicht, die mit jener Russlands als Gaslieferant für Westeuropa durchaus vergleichbar ist. Dies zu ignorieren, wäre einmal mehr leichtsinnig.
Relativ stabile Energiepreise und eine ungefährdete Versorgungssicherheit sind die Belege aus jüngster Zeit, dass auf Erdöl auch in Krisenzeiten Verlass ist. Dies gilt es dringend zu berücksichtigen bei der Planung und Umsetzung einer ambitionierten Energiewende, mit der wir uns in bereits 25 Jahren komplett vom Erdöl verabschieden sollten.
Roland Bilang, Geschäftsführer Avenergy Suisse
Weiteres zur Bedeutung des Erdöls für die Energieversorgungssicherheit findet sich in der aktuellsten Ausgabe des Magazins «Avenue» vom Winter 2022/2023:
Durchzogener Erfolg der Sanktionen gegen Russland
Wir erinnern uns: Im letzten Dezember haben die G7-Staaten und die EU-Mitglieder eine Preisobergrenze für russisches Rohöl beschlossen, das auf dem Seeweg befördert wird. Die Absicht bestand darin, Russlands Einnahmen zu beschneiden und damit zur Aufgabe des Angriffskriegs gegen die Ukraine zu bewegen. Was ist aus dem Embargo geworden?
Konkret geht es auch heute noch darum, dass für ein Fass russisches Rohöl höchstens 60 Dollar bezahlt werden darf, sofern Spediteure und Versicherer der G7 oder EU involviert sind. Da die EU bereits im Mai 2022 den Import von russischem Rohöl auf dem Seeweg verboten hatte, gilt die Preisobergrenze nur für den Handel mit Drittstaaten. Ausgenommen sind auch Transporteure und Finanzdienstleister von ausserhalb der G7/EU-Staaten. Wie zu erwarten war, hat dieses System zu einer Fragmentierung des globalen Erdölhandels geführt und damit verbunden zunächst einmal zu längeren Versorgungswegen. Auf dem «Schattenmarkt», der nicht der Preisvorgabe unterworfen ist, wurde russisches Rohöl zu Beginn der Massnahme tatsächlich mit einem deutlichen Abschlag gehandelt, wovon namentlich die Importländer China und Indien profitieren konnten. Unterdessen sind die Einkünfte Russlands aus dem Gas- und Ölgeschäft wieder höher als vor Jahresfrist. Dies hängt unter anderem auch mit den Produktionskürzungen der OPEC+-Gruppe zusammen – der Russland angehört – und ihrem Bestreben, den Preis für das Fass Rohöl über der Marke von 80 Dollar zu halten.
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