Publiziert am: 03.11.2023

«Freiheit ist mein Kompass»

URS FURRER – Der frisch gewählte neue Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv über die künf­tige Kooperation mit den Wirt­schafts­verbänden, den Füh­rungs­anspruch des sgv bei Berufsbildung und Regu­lie­rungs­kostenabbau sowie die Tonalität der Kommunikation.

Schweizerische Gewerbezeitung: Die Turbulenzen der vergangenen Monate haben im Schweizerischen Gewerbeverband Spuren hinterlassen. Wie wollen Sie als der neue, designierte Direktor wieder Ruhe in den grössten Dachverband der Schweizer Wirtschaft bringen?

Urs Furrer: Die Schlagkraft des Schweizerischen Gewerbeverbands ist umso grösser, je mehr wir intern die Reihen schliessen. Dazu müssen wir die Kräfte bündeln und auf den Auftrag des sgv fokussieren. Dieser Auftrag lautet, uns für gute Rahmenbedingungen für unser Gewerbe und für unsere KMU in der Schweiz einzusetzen.

«Manchmal ist ein Wirken hinter den Kulissen zielführend. Und dann gibt es Fälle, in denen man den Laut-stärkeRegler aufdrehen muss.»

Eine Ihrer wichtigen Aufgaben wird sein, die in den vergangenen Jahren strapazierte Zusammenarbeit unter den Dachverbänden – sgv, Arbeitgeberverband und economiesuisse – zu verbessern. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Die von den Verbänden gemeinsam getragene Wahlkampagne «Perspektive Schweiz» hat den Boden für eine konstruktive Zusammenarbeit in Themen mit gemeinsamen Interessen gelegt. In dieser Zweckpartnerschaft müssen wir aber auch stets überprüfen, ob und inwieweit die Ziele des Gewerbes und der KMU tatsächlich berücksichtigt und erreicht werden.

Gleichzeitig wird es wichtig sein, die im letzten Jahrzehnt mit viel Einsatz erstrittene Eigenständigkeit des sgv und dessen Interessen zu verteidigen. Wo sehen Sie Ihre wichtigsten Aufgaben bei der Umsetzung der sgv-Strategie?

Das Kerngeschäft des sgv ist der Regulierungskostenabbau. Hier hat der sgv mit dem Unternehmensentlastungsgesetz bereits einen wichtigen Erfolg erzielt. Dennoch bleiben wir gefordert, weiterhin unnötige Regulierungen zu verhindern und abzubauen. Das müssen wir aus einer konsequenten KMU-Optik tun.

Ein anderes wichtiges Thema, in dem wir besonders eigenständig auftreten müssen, ist die Berufsbildung. Der Führungsanspruch des sgv ergibt sich hier bereits aus der Tatsache, dass rund 70 Prozent der Berufslernenden in KMU ausgebildet werden.

«In der ZWECKPARTNERSCHAFT MIT DEN ANDEREN VERBÄNDEN MÜSSEN WIR STETS ÜBERPRÜFEN, OB DIE INTERESSEN DER KMU TATSÄCHLICH BERÜCKSICHTIGT WERDEN.»

Unter Ihrem Vorgänger war jahrelang eine teils sehr direkte Form der Kommunikation üblich. Ihnen geht – verdient oder unverdient – ein Ruf als eher stiller Schaffer voraus. Werden Sie in der sgv-Kommunikation den Zweihänder mit dem Florett ersetzen?

Es braucht beides. Kommunikation ist ein Instrument, das je nach Situation unterschiedlich eingesetzt werden muss. Es gibt Situationen, in denen ein Wirken hinter den Kulissen zielführender ist, und es gibt Fälle, in denen man den Lautstärkeregler aufdrehen muss. In jedem Fall muss der sgv zu den wichtigen politischen Themen weiterhin laut und deutlich gehört werden!

HSG St.Gallen, KPMG, EXPERTsuisse – bis zu Ihrem Engagement in der Lebensmittelbranche haftete Ihnen noch nicht ein allzu intensiver KMU-Stallgeruch an. Was motiviert Sie, sich künftig vollamtlich für die Gesamtheit der Schweizer KMU zu engagieren?

Seit bald 25 Jahren engagiere ich mich für Schweizer Unternehmen unterschiedlichster Grössen und aus den unterschiedlichsten Branchen. Und seit rund zehn Jahren leite ich zwei Verbände, welche die Schweizer Hersteller von Schokolade, Biscuits und Bonbons vereinigen. Das sind stark KMU-geprägte Branchen. Und in diesen Branchen sehe ich auch die Schwierigkeiten, mit denen KMU konfrontiert sind. Vor allem die Regulierung und die Bürokratie nehmen zu viele Ressourcen in Anspruch. Diese Ressourcen könnte man besser für produktive Arbeiten nutzen. Die Bürokratie und die Überregulierung lähmen das Unternehmertum. Dagegen will ich mit voller Kraft kämpfen.

«Bürokratie und Überregulierung lähmen das Unternehmertum. Dagegen will ich mit voller Kraft kämpfen.»

Anders als Ihr Vorgänger sind Sie in der breiten Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Wie wollen Sie das ändern?

Die Bekanntheit ist eine Folge des öffentlichen Interesses, welches das Amt mit sich bringt. Deshalb mache ich mir keine Sorgen um meine künftige Bekanntheit als sgv-Direktor. Viel wichtiger ist die Frage, wie die Bekanntheit genutzt wird. Ich will sie ausschliesslich für die Interessen des sgv – und somit für das Gewerbe und die KMU in diesem Land – nutzen.

Mitgliederzahlen sind Teil der harten Währung in Wirtschaftsverbänden wie dem sgv. Sie begründen politische Relevanz und sorgen für die nötigen Mittel für eine erfolgreiche Lobbyingarbeit. Welche Vorstellungen haben Sie zum Erhalt der bis-herigen und zur Akquise neuer Mitglieder?

Bei meinen bisherigen Tätigkeiten für Unternehmen und Verbände war die Akquisition von Kunden und Mitgliedern stets ein Teil der Aufgabe. Die Mitgliedschaft beim sgv ist für das Gewerbe und für KMU attraktiv, wenn sie sich mit dem Verband identifizieren. Hohe Relevanz, Glaubwürdigkeit und Schlagkraft sowie attraktive Netzwerk-Plattformen sind gute Argumente, um beim sgv dabei zu sein. Mit solchen guten Argumenten will ich die bestehenden Mitgliedschaften pflegen und neue Mitglieder gewinnen.

Sie sind Mitglied der FDP: Weshalb ist der Freisinn Ihr politisches Zuhause?

Ich habe eine liberale Grundüberzeugung, die Freiheit ist mein Kompass. Für die Verbandsarbeit spielt die Parteizugehörigkeit des Direktors aber keine wesentliche Rolle. Als Verbandsdirektor bin ich ausschliesslich dem Verband und dessen Mitgliedern verpflichtet, nicht einer bestimmten Partei.

«Hohe Relevanz, Glaubwürdigkeit und Schlagkraft sowie attraktive Netzwerk-Plattformen sind gute Argumente, um beim sgv dabei zu sein.»

Sie überzeugten «durch hohe Fach- und Sozialkompetenz», hat der sgv-Vorstand seinen Vorschlag zu Ihrer Wahl unter anderem begründet. Das interessiert nicht zuletzt in der sgv-Geschäftsstelle in Bern: Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Als Führungskraft sorge ich dafür, dass meine Mitarbeitenden – egal in welchen Bereichen und auf welcher Stufe – ihre Arbeit als Beitrag zur Umsetzung der Verbandsstrategie verstehen. Dabei setze ich die verschiedenen Stärken der Mitarbeitenden so ein, dass es dem Ganzen bestmöglich dient. Meine Erfahrung zeigt mir, dass dieser Ansatz die Motivation und gegenseitige Verantwortung innerhalb eines Teams sowie dessen Leistungsfähigkeit stärkt.

Zuletzt die Frage: Wer ist Urs Furrer privat? Was sind Ihre Hobbys, was tun Sie in Ihrer Freizeit gerne?

In meiner Freizeit bin ich gerne draussen in der Natur, im Sommer beim Wandern, Biken und Segeln, im Winter beim Skifahren und Langlaufen. Zudem bin ich ein Genussmensch und liebe besonders die italienische Küche.

Interview: Gerhard Enggist

ZUR PERSON

Der neue sgv-Direktor

Urs Furrer wurde am 25. Oktober von der Gewerbekammer einstimmig zum neuen Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv gewählt. Der 51-jährige Rechtsanwalt hat an der HSG St.Gallen studiert und arbeitete u. a. von 1999 bis 2004 als Wirtschaftsanwalt bei KPMG. Von 2004 bis 2013 war er bei economiesuisse tätig, zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Bereichs Finanz- und Steuerpolitik. 2013/14 war er Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Branchenpolitik und Mitgliedswesen von EXPERTsuisse, der ehemaligen Treuhand-Kammer. Von 2014 bis heute ist Furrer Geschäftsführer der Verbände Chocosuisse und Biscosuisse. Urs Furrer tritt seine Stelle als sgv-Direktor per 1. Mai 2024 an.

www.sgv-usam.ch

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