Publiziert am: 03.11.2023

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

Wir wollen bis in ein paar Jahren klimaneutral sein, wollen aber keine Windräder und schon gar keine Atomkraftwerke. Wir wollen Mobilität, aber keinen Fluglärm und bitte ja keine Autobahn vor der Haustüre. Wir wollen Frieden und verurteilen Krieg, verstecken uns aber oft hinter einem stark strapazierten Neutralitätsbegriff. Wir wollen Wohlstand und ein schönes Leben, unsere Work-Life-Balance zielt aber immer mehr in Richtung Life. Wir wollen schnelles Internet, aber keine 5G-Antenne. Wir merken, dass unser Gesundheitssystem selber krank ist, und sind nicht bereit, es gründlich zu reformieren.

Zugegeben; der Schweiz geht es immer noch gut, und wenn ich in Diskussionen meine Bedenken bezüglich der Entwicklung in der Schweiz anmelde, ernte ich meistens Verwunderung und Unverständnis für meine kritische Haltung. Ja, es geht uns gut, und dennoch kommt mir die Haltung vieler so vor wie jene des Frosches, welcher in einem kalten Wassertopf, der auf dem Feuer steht, die graduelle Veränderung der Temperatur nicht merkt, und am Ende verendet.

Die Schweiz ist zwar autark und wirtschaftlich stark. Aber wenn es Europa – unserem Haupthandelspartner – und dort allen voran Deutschland, schlecht geht, kann es mittelfristig auch der Schweiz nicht gut gehen. Und wenn der Fokus der EU nur noch auf die Dekarbonisierung zielt und immer mehr Firmen z. B. in Deutschland die Zelte abbrechen, so sollte uns dies zu denken geben. Bürokratie, Überregulierungen und schrumpfende Märkte führen dazu, dass immer mehr Unternehmen Investitionsentscheide ausserhalb Europas und dort, allen voran, für Asien treffen. Nur allzu oft werden die dort hergestellten Produkte wieder nach Europa importiert. Anscheinend stört sich niemand daran, weil das Hauptaugenmerk auf dem niedrigen Preis liegt. Hierfür haben einige europäische Länder Lieferkettengesetze eingeführt, um die Einhaltung der Menschenrechte und Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten verbindlich zu gewährleisten. Ich frage mich, wie ein KMU einen globalen Konzern kon-trollieren soll! Dies ist wieder eine neue, ressourcenabsorbierende bürokratische Massnahme, und dieser zahnlose Papiertiger soll das kollektive Gewissen beruhigen. Es zeigt aber, wie sehr heute in der Schweiz und in Europa Symbolpolitik und Symptombekämpfung betrieben werden, anstelle die grundsätzlichen Probleme anzugehen. Zugegeben: Unser Parlament hat es nicht einfach. Egal, was beschlossen wird, einer wird immer dagegen schiessen und das Referendum ergreifen. Auf diese Weise entsteht ein regelrechter Reformstau. Die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau verhindert die notwendige Entwicklung. Sind wir damit an die Grenzen der direkten Demokratie angelangt? Vermutlich schon, aber mir ist keine Alternative bekannt, welche besser wäre.

Also was tun? In meiner Berufslaufbahn habe ich gelernt, dass je komplexer eine Situation sich darstellt, desto einfacher die Lösung gestaltet werden sollte. Also müssen wir uns wieder darauf besinnen, wer für den Wohlstand der Schweiz verantwortlich ist. Es sind Unternehmen und Private, welche Einkommen generieren und mittels Steuern den Staat am Leben erhalten. Die Aufgabe des Staates ist es, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich Unternehmen und Individuen gut entwickeln können. Also dürfen wir es nicht zulassen, dass der Staat weiterhin so wächst, und damit einhergehend die Regulierungen. Andere Themen wie Gender, Wokeness usw. verhindern hierbei, den Fokus zu behalten, und sollten demzufolge nicht die öffentliche Diskussion dominieren.

Wasch meinen Pelz, aber mach mich nicht nass. In einer Zeit, in der viele Menschen nur noch nach individueller Bequemlichkeitsmaximierung und unmittelbarer Befriedigung streben, zeigt dieser Spruch, wo eigentlich die Verantwortung beginnen sollte. Wir können nicht nur immer die Vorteile in Anspruch nehmen. Dafür müssen wir aber (wieder) lernen, dass es keine Aktion ohne Reaktion, keinen Fortschritt ohne Einsatz und Schweiss sowie keine Entwicklung ohne Kompromisse geben kann.

*Lionel Schlessinger ist Inhaber und CEO der Monopol Colors und ehemaliger Präsident des Verbandes der Schweizerischen Lack- und Farbenindustrie.

www.monopol-colors.ch

www.vslf.ch

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