Publiziert am: 19.01.2024

Haftungskollision bei Verkehrsunfall

Versicherungsratgeber – Unfälle können rasch zahlreiche Haftungs- und Entschädigungsfragen aufwerfen. Auch ein sich absolut korrekt verhaltender Fahrzeughalter kann daher für Schäden an Dritten teilweise aufkommen. Dabei gilt es die einzelnen Haftungsnormen gegeneinander abzuwägen und die Haftungsquoten zu bestimmen.

H. S. aus W.: Als Einzelunternehmerin betreibe ich seit Jahren eine Polsterei. Als ich kürzlich einen Kundenauftrag ausliefern wollte, kollidierte ich mit meinem Lieferwagen mit einem E-Bike. Der junge Mann hatte die Herrschaft über sein E-Bike verloren, stürzte und rutschte auf die Gegenfahrbahn. Dort kollidierte er mit meinem korrekt entgegenkommenden Lieferwagen. Trotz Vollbremsung konnte ich die Kollision nicht verhindern. Wir hatten Glück im Unglück, denn es blieb beim Sachschaden. Uns beiden war klar, dass er vollumfänglich für die Fahrzeugschäden aufzukommen hatte. Umso überraschter war ich, als mich meine Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung informierte, dass auch sie sich an den Reparaturkosten des E-Bikes beteiligen würde. Wieso ist das so?

Liebe Frau S.: Gut, ist der Verkehrsunfall glimpflich ausgegangen. Ich kann nachvollziehen, dass beide Beteiligten spontan davon ausgehen, dass die Haftpflichtversicherung des E-Bikers für den Schaden an Ihrem Lieferwagen aufkommt.

Unterschiedliche Haftungsnormen

In Ihrem Fall haften Sie und der E-Biker nach unterschiedlichen Haftungsnormen. Als Motorfahrzeughalterin haften Sie aufgrund der scharfen Kausalhaftung nach Strassenverkehrsrecht (SVG, Art. 58). Der erste Absatz hält fest: «Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet der Halter für den Schaden.» Also auch dann, wenn er den Schaden nicht verschuldet. Er kann sich davon befreien, wenn er beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt oder grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten verursacht wurde. Vorausgesetzt, den Halter selbst oder Personen, für die er verantwortlich ist, trifft kein Verschulden und das Fahrzeug hat nicht durch fehlerhafte Beschaffenheit zum Unfall beigetragen (SVG, Art. 59). Der E-Biker hingegen haftet gemäss Obligationenrecht (OR, Art. 41) aufgrund seines tatsächlichen Verschuldens am Zustandekommen des Schadens.

Haften ohne Verschulden

In der Folge gilt es, die einzelnen Haftungsnormen gegeneinander abzuwägen und die Haftungsquoten zu bestimmen. Letztere hängt von verschiedenen Komponenten ab, wie Verschulden, Geschwindigkeit, Masse, und sie wird jeweils im konkreten Einzelfall beurteilt. Anhand der Haftungsquoten wird schliesslich der Schaden aufgeteilt.

Das führt dazu, dass auch ein sich absolut korrekt verhaltender Fahrzeughalter für Schäden an Dritten teilweise aufkommen muss. Der Grund liegt darin, dass sich die (unfallkausale) Betriebsgefahr des Motorfahrzeugs automatisch auf die Haftungsbemessung auswirkt. Der Umstand, dass Sie Ihr Fahrzeug in den Verkehr gebracht haben und in den Unfall involviert wurden, kann ausreichen, haftpflichtig zu werden und sich am Schaden des E-Bikers beteiligen zu müssen. Ich empfehle Ihnen, bei Ihrer Haftpflichtversicherung nachzufragen, wie sie Ihre Beteiligung bemessen hat.

Haftungskollision auflösen

In Fällen wie Ihrem spricht man auch von Haftungskollision. Weitere Konstellationen, die eine Abwägung der Haftungsnormen erfordern, sind etwa Haftungskollisionen zwischen Motorfahrzeughaltern und anderen Beteiligten, wie zum Beispiel dem Eisenbahnunternehmen (Gefährdungshaftung); Fussgängern und Radfahrern (Verschuldenshaftung); Tierhaltern, Werkeigentümern und Eltern (milde Kausalhaftung).

Diese und weitere Unfallkonstellationen können rasch zahlreiche Haftungs- und Entschädigungsfragen aufwerfen. Die Schaden- und Regress-Spezialisten beraten Sie gerne.

Ihre Fragen an

Mobiliar-Expertin Carmen Casullerasblickt auf rund 30 Jahre Erfahrung in der Versicherungsbranche zurück und ist auf den KMU-Bereich spezialisiert.

Fragen sind zu richten an:

carmen.casulleras@mobiliar.ch

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