Die AHV nicht in den Ruin treiben
13. AHV-Rente – Gegen fünf Milliarden Franken würde die von der Linken geforderte Zusatzrente kosten. Geld im Giesskannensystem zu verteilen, kann keine zielführende Lösung sein.
SOZIALPOLITIK – In ihrem Kampf für eine 13. AHV-Rente greifen die Gewerkschaften zu dubiosen Mitteln. Ein Blick in die Neurentenstatistik 2022 genügt, um festzustellen, wie ungenau, ja falsch die Darstellung von einem «Rentenzerfall» ist. Was sicher ist: Zusätzliche fünf Millarden Franken pro Jahr werden fehlen – und anderswo beschafft werden müssen.
Wird die Initiative «für ein besseres Leben im Alter» der SP und der Gewerkschaften und damit die Forderung nach einer 13. AHV-Rente für alle Rentenbezüger- und bezügerinnen am 3. März vom Volk angenommen, würde dies die Grundfesten unserer Altersvorsorge erschüttern und die AHV ins Unglück stossen. Zusätzlich zu den zunehmenden Kosten der 60er-Jahrgänge würde die AHV mit weiteren rund fünf Milliarden Franken pro Jahr belastet und so in die Katastrophe geführt.
Am gleichen Tag, als die Daten zur Neurentenstatistik 2022 der beruflichen Vorsorge veröffentlicht wurden, verkündet der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB: «Die Pensionskassen-Renten der Männer befinden sich auf einem historischen Tiefpunkt. Seit 2015 haben sie um 9,5 Prozent abgenommen.» Damit ist für den SGB klar, dass diese Renten nicht ausreichen, nagt doch auch die Teuerung an den tiefen Auszahlungen. «Dieser Rentenzerfall kann nur über die Annahme der Volks-initiative für eine 13. AHV-Rente ausgeglichen werden», so der SGB.
«Über 900 000 aus-ländische AHV-Rentenbezüger beziehen heute die Renten in ihren Heimatländern. Sollen mit einer 13. AHV-Rente tatsächlich die kleinen Einkommen primär im Ausland erhöht werden?»
Zwar sind falsche oder zurechtgestutzte Informationen keine strafbaren Handlungen. Ein Blick in die Neurentenstatistik 2022 genügt, um festzustellen, wie ungenau, ja falsch diese Darstellung ist. Es ist richtig, dass die Pensionskassen-Renten für Männer im Durchschnitt seit 2015 von 2879 auf 2656 Franken und auch im Median abgenommen haben. Bewusst wird jedoch vom SGB nicht erwähnt, dass seit 2015 zur Finanzierung der Langlebigkeit und der Umverteilung zugunsten der kleinen Einkommen im BVG-Obligatorium die Umwandlungssätze im Überobligatorium von 6,25 auf 5,43 Prozent gekürzt wurden. Parallel dazu sind die Kapitalbezüge aus Pensionskassen der Männer im Mittel von rund 238 000 auf 333 000 Franken angestiegen. Die tieferen Renten sind somit nicht nur auf die Senkung des Umwandlungssatzes, sondern auf die höheren Barbezüge auf den vorhandenen Altersguthaben zurückzuführen. Aus höheren Kapitalbeständen resultieren höhere Renten.
Im Gegensatz zur kapitalgestützten beruflichen Vorsorge ist die umlagefinanzierte AHV finanziell nicht gesichert. Seit den Berichten zum Thema Entwicklung der drei Säulen unter der Ägide von Bundesrätin Ruth Dreifuss (IdAFiSO), seit Ende der 90er-Jahre also, ist allen klar, dass die Sozialversicherungen, insbesondere die Finanzierung der AHV, vor immensen Herausforderungen stehen. Die Schätzungen des Finanzbedarfes Anfang des Jahrtausends ergaben schon damals, dass ab 2011 die AHV 0,5 und ab 2015 ein weiteres Mehrwertsteuerprozent benötigt. Diese Prognose bis 2025 hat die Politik in den letzten 20 Jahren, also innerhalb von fünf Legislaturen, nicht ernst genommen.
Zwar fliessen seit 1999, vorerst nur ein Teil, später das ganze Prozent der Mehrwertsteuer in die AHV. Das ist in den damaligen Schätzungen per 2025 bereits eingepreist. Seither ist nichts mehr geschehen, hat doch auch der Souverän nicht mitgespielt. Erst 2020 im Rahmen des Steuerdeals STAF ist der AHV-Beitrag um 0,3 Prozent erhöht worden. Zusätzlich werden ab 2024 mit AHV21 weitere 0,4 Mehrwertsteuerprozente an die AHV abgeliefert.
Doch das reicht eben nicht. Die Politik spielt Roulette und hofft auf Einnahmen, die nicht zu erwarten sind. Denn eines ist klar: Gemäss jüngsten Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BVS) benötigt die AHV spätestens nach den Jahren 2030 weitere 0,9 zusätzliche Mehrwertsteuerprozente.
Gouverner c`est prévoir. Diesen Grundsatz kennen SP und Gewerkschaften offenbar nicht. Im Gegenteil: Die AHV soll es sich leisten, zusätzliche fünf Milliarden pro Jahr für eine 13. Rente auszugeben. Damit kämen mindestens 1,1 zusätzliche Mehrwertsteuerprozente hinzu, oder die AHV-Beiträge müssten um 0,8 Prozentpunkte erhöht werden.
Woher sollen diese zusätzlichen Milliarden kommen? Selbstverständlich nicht über die Mehrwertsteuer, denn damit werden die kleinen Einkommen belastet. So argumentieren SP und Gewerkschaften häufig. Schon eher über zusätzliche AHV-Beiträge, werden doch damit die höheren Einkommen stärker zur Kasse gebeten, womit die Umverteilung innerhalb der AHV verstärkt wird. Schon heute finanzieren 92 Prozent der Rentenbezüger ihre AHV nicht mit ihren eigenen Beiträgen. Sie stammen von den höheren Lohneinkommen und den Steuern.
Ob die exportorientierte Wirtschaft höhere Lohnkosten verkraften kann, ist für die Linke eine Nebensache. Die Arbeitgeber haben Arbeitsplätze und Löhne zu sichern, alles andere kümmert die Gewerkschaften nicht. Auch mit einer neuen eidgenössischen Erbschaftssteuer könnte man die Vermögenden zur Finanzierung der AHV herbeiziehen, geistert eine neue Idee herum. Geld gibt es ja zuhauf. Man muss es nur von dort nehmen, wo es ist.
Selbst wenn dieses «Geschenk» an die Pensionierten aus Mitteln der «Reichen» finanziert werden könnte, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt vernünftig ist, alle über 65-Jährigen mit zusätzlichen Leistungen zu beglücken. «Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht sie», sagte einmal Bundesrat Hans-Peter Tschudi. Mit der Initiative erhielten auch sie eine zusätzliche 13. AHV-Rente. Gemäss Initiativtext würde die Maximalrente von heute um 2450 auf jährlich 31 850 Franken, die Minimalrente von 1225 auf 15 925 und für Ehepaare um 3675 auf 47 775 Franken steigen.
Den von der Linken geächteten Ergänzungsleistungen EL wird in der Initiative immerhin grössere Bedeutung zugemessen, sollen diese doch für Inländer nicht beeinträchtigt werden. Trotzdem stellt sich die Frage: Ist damit den kleinen Einkommen gedient? Ja, aber das Geld fliesst aus der Giesskanne doppelt in die hohen Renten, nur halb so stark ins Portemonnaie der tiefsten Renten. Haben die Genossen auch daran gedacht, dass sich insbesondere die ehemaligen ausländischen Arbeitnehmer, die nach ihrer Pensionierung wieder in ihr Ursprungsland zurückgekehrt sind, ins Fäustchen lachen? 13 mal eine in Schweizerfranken ausbezahlte AHV in Euro zusätzlich zu erhalten, ist nicht zu verachten. Über 900 000 ausländische AHV-Rentenbezüger beziehen heute die Renten in ihren Heimatländern. im Mittel erhalten diese im Ausland 732 Franken. Sollen mit einer 13. AHV-Rente die kleinen Einkommen primär im Ausland erhöht werden? Bis anhin verteidigte die Linke das Umlageverfahren in der AHV mit dem Argument, dass die Konsumausgaben der Rentner im Inland über den volkswirtschaftlichen Kreislauf wiederum den Aktiven zugutekommen. Gilt das nicht mehr?
Heute beziehen 73 Prozent der AHV-Rentenbezüger Renten, die über 1900 Franken, 85 Prozent solche, die über 1600 Franken liegen. Die Minderheit bezieht somit kleine Renten und diese fliessen zum grössten Teil ins Ausland ab. Wäre es nicht effizienter, gezielter, über EL den Rentenempfängern mit kleinen Einkommen im Inland zu helfen?
In unserer Demokratie ist es legitim, seine Interessen zu vertreten, selbst wenn diese ausufernd sind. Allerdings gehört zu einer echt demokratischen Auseinandersetzung, dass Fakten Fakten bleiben und keine Fake News verbreitet werden. In einer Debatte um Fakten sollte nicht mit gezinkten Karten gespielt werden.
Werner C. Hug
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