Publiziert am: 01.03.2024

«Ausgaben sind das Problem»

PETER SCHILLIGER – «Die Finanzlage ist sehr angespannt», sagt der Luzerner FDP-Nationalrat. Besonders besorgt ist er über die Entwicklung in der Alters­vor­sorge. Bei Annahme der 13. AHV-Rente erhöhte sich der Bundesbeitrag massiv. Von möglichen Kürzungen wäre zum Beispiel die Landwirtschaft betroffen.

Schweizerische Gewerbezeitung: Der Bund hat letztes Jahr zum zweiten Mal hintereinander ein strukturelles Defizit geschrieben. Konkret schliesst die Rechnung 2023 mit einem Minus von 1,4 Milliarden Franken ab. Wie würden Sie die derzeitige Finanzlage des Bundes in wenigen Sätzen beschreiben?

Peter Schilliger: Die aktuelle Lage des Finanzhaushalts bewerte ich als sehr angespannt. Generell sind aus finanzpolitischer Sicht weitsichtige Entscheide gefordert. Anstehende Volksentscheide drohen weitere Herausforderungen auszulösen. Eine sorgfältige Überprüfung und möglicherweise Anpassung der Ausgaben- und Einnahmenpolitik ist unumgänglich, um langfristige finanzielle Stabilität zu gewährleisten.

Auffällig ist, dass ein Minus resultierte, obwohl die Steuereinnahmen im letzten Jahr gegenüber 2022 zugenommen haben. Hat der Bund ein Ausgabenproblem, und wenn ja: Welche Bereiche sind hierfür die Treiber?

Die Problemstellung entsteht klar bei den Ausgaben. Das ordentliche Budget an sich bewegt sich im budgetierten Bereich. Ausserordentliche Ausgaben lösen das Defizit im Finanzierungssaldo aus. Den Hauptbetrag dieser Ausgaben lösen die Sozialhilfekosten für die Ukraine-Flüchtlinge aus. Für weiteres Ungemach ist jedoch auch das Parlament verantwortlich. Der Grundsatz der Gegenfinanzierung ist bei vielen Parlamentariern noch nicht angekommen. Als Beispiel nenne ich das Kita-Paket: Der Nationalrat arbeitete in der Frühlingssession 2023 mit dem Giesskannen-Prinzip. Er beschloss ein grosses Kita-Paket – und liess die Finanzierungsfrage aussen vor. Das Paket verursacht Kosten von 770 Millionen Franken pro Jahr. Sie haben richtig gelesen – pro Jahr und ohne Befristung!

Finanzministerin Karin Keller-Sutter hatte vorgeschlagen, die Kantone indirekt zur Kasse zu bitten. Dies erscheine aufgrund der kantonalen Zuständigkeit in diesem Aufgabenbereich als angezeigt. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass die familienergänzende Kinderbetreuung subventioniert wird, aber dies liegt im Aufgaben- und Kompetenzbereich der Kantone und Gemeinden.

Laut einem Bericht des Finanz-departements waren 2020 mehr als 60 Prozent der Ausgaben gebunden. Können Sie kurz erklären, was das bedeutet und welche Bereiche gebunden und welche nicht gebunden sind?

Das Parlament beschliesst im Rahmen seiner Budget-Hoheit über sämtliche Ausgaben des Bundes. Bei dessen Ausübung sind die eidgenössischen Räte dennoch eingeschränkt: Ein erheblicher (und steigender) Teil der Ausgaben ist stark gebunden und kann daher im Voranschlag nicht oder kaum angepasst werden. Der Hauptgrund für die Ausgabenbindungen sind Verfassungs- oder Gesetzesvorschriften, welche das Ausgabenniveau verbindlich vorschreiben. In diese Kategorie gehören die Beiträge an Sozialversicherungen (als Beispiel: rund 20 Prozent jeder AHV-Rente bezahlt der Bund), Rückverteilung von Lenkungsabgaben oder der Finanzausgleich.

Schwach gebundene Ausgaben sind im Bereich der Verteidigung, der Hochschul-Finanzierung, bei den Beiträgen an die Landwirtschaft oder in der humanitären Entwicklungshilfe zu finden. In diesen Bereichen wird bei Bedarf der Sparhebel am einfachsten angesetzt.

Salopp gefragt: Müssten diese gebundenen Ausgaben nicht systematisch überprüft und wieder «ent-bunden» werden? Ansonsten ist doch das Parlament bezüglich Finanzen beinahe handlungsunfähig.

Das ist absolut richtig, jedoch ist dies wesentlich einfacher gesagt als getan. Denn für jede Position ist vorab eine verfassungsmässige oder gesetzliche Anpassung notwendig. Dies braucht nicht nur viel Zeit, sondern auch Mehrheiten auf allen Stufen.

Aus meiner Sicht ist auch eine erneute Überprüfung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kanton dringend notwendig. Vermutlich hat sich in den letzten Jahren die Last in Richtung Bund verlagert. Nebst dem finanziellen Ausgleich sollten auch alle Verbundaufgaben überprüft und wenn möglich in der Zahl reduziert werden.

Der Blick in die finanzielle Zukunft jedenfalls ist düster. Der Bund rechnet ab 2027 mit Defiziten von über drei Milliarden Franken. Wie kann man hier Gegensteuer geben?

Um gesunde und nachhaltige Bundesfinanzen zu gewährleisten, muss sichergestellt werden, dass neue Ausgaben von einer klaren Vision für ihre Finanzierung begleitet werden. Grundsätzlich dürften neue Ausgaben nur mit Gegenfinanzierung beschlossen werden. Eine Steuererhöhung muss möglichst verhindert werden.

Die Schuldenbremse sorgt dafür, dass über die Dauer nicht mehr ausgegeben als eingenommen wird. Doch diese ist unter Druck. Weshalb muss daran festgehalten werden?

Die Schuldenbremse ist eine Erfolgsgeschichte und darf aus meiner Grundhaltung nicht aufgeweicht werden. Im Gegensatz zum Grossteil der westlichen Staaten konnten wir in den letzten 20 Jahren die Schulden um über 30 Milliarden Franken senken beziehungsweise um rund einen Viertel verkleinern. Dies macht die Bundesfinanzen und damit unseren Staat resistent und verlässlich. Wir konnten Krisen wie die Coronapandemie, die Energiebeschaffung oder die Ukraine-Hilfsaktionen bisher gut stemmen, ohne in ein Verschuldungsdesaster zu schlittern. Wie heisst es so schön: «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!»

Am Sonntag stimmen wir über eine 13. AHV-Rente ab. Einen Grossteil der Renten zahlen die Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Lohnabzüge. Einen Fünftel bezahlt jedoch der Bund. Welche Folgen hätte eine 13. AHV-Rente für die Bundesfinanzen?

Die Entwicklung in der Altersvorsorge bereitet mir besondere Sorgen. Die Summe an AHV-Renten wird wachsen, weil aufgrund des demografischen Wandels immer mehr Personen eine Rente beziehen. Dies bedeutet, dass 20 Prozent des Rentenanstiegs als «gebundene» Ausgabe ins Budget kommt. Nur schon auf das Jahr 2025 ist mit einem Anstieg von rund 300 Millionen Franken zu rechnen. Als Finanzpolitiker habe ich mehrmals auf den Zusammenhang zwischen AHV-Renten und Bundes-Budget hingewiesen. Bei Einführung der 13. AHV-Rente im Jahr 2026 würden die Ausgaben des Bundes um rund 850 Millionen Franken zusätzlich wachsen!

Welche Bereiche beim Bund wären als Erstes von Kürzungen betroffen, um diesen höheren Bundesbeitrag an die AHV zu kompensieren?

Entweder müsste der Bund weitere Einnahmen mittels Steuererhöhungen generieren oder Sparmassnahmen im schwach gebundenen Bereich einführen. Als Beispiele hierfür könnten eine Kürzung der Verteidigungsausgaben um 20 Prozent, eine Kürzung von 25 Prozent der Direktzahlungen in der Landwirtschaft oder eine Reduzierung der Zuschüsse im Bildungs- und Forschungsbereich dienen.

Trotz prekärer Finanzlage soll die Armee in den nächsten Jahren wieder mehr Geld erhalten. So will es das Parlament. Weshalb ist dies wichtig?

In einer unsicheren Weltlage ist es wichtig, dass ein Land wie die Schweiz über eine starke und gut ausgerüstete Armee verfügt. Die Panzerhaubitzen M109 erreichen beispielsweise ihr Lebensende, bevor Ersatz zur Verfügung steht. Da viele Abwehrsysteme über 50 Jahre alt sind, muss der Hinweis auf die steigenden Betriebskosten gemacht werden: Je älter die Systeme, desto schwieriger ist es, Ersatzteile zu beschaffen, und desto mehr muss in den Unterhalt statt in die Erneuerung investiert werden.

«Bei Einführung der 13. AHV-Rente würden die Ausgaben Allein des Bundes um rund 850 Millionen Franken zusätzlich wachsen!»

Apropos Armee: Hat diese nun eigentlich ein «Finanzloch» oder nicht? Die kürzlich geführte Debatte war ja ziemlich verwirrend.

Der mediale Auftritt von unserer Bundespräsidentin und vom Chef der Armee ist wahrlich nicht geglückt! Gemäss Bewertung beider Finanzkommissionen kann jedoch bestätigt werden, dass bei der Armee kein Liquiditätsengpass vorhanden ist. Tatsache ist jedoch, dass ein Überhang an Investitionen ansteht. Die verbindliche Finanzierungs- und Beschaffungsplanung ist nun wichtig. In den nächsten Monaten werden Parlament und Verwaltung intensiv daran arbeiten müssen. Nebst der Sicherheit für die Umsetzung der Beschaffungen muss auch am Vertrauen in unsere Institutionen gearbeitet werden.

Nochmals zurück zur Schuldenbremse: Was halten Sie davon, dass der Bundesrat ab 2025 bei den Ausgaben für Flüchtlinge mit Status S schrittweise aus der ausserordentlichen Finanzierung aussteigen und diese wieder der Schuldenbremse unterstellen will?

Im Grundsatz muss die Regel für die Verbuchung von Ausgaben eingehalten werden. So dürften nur unvorhersehbare Ausgaben als ausserordentliche Ausgaben verbucht werden. Jedoch ist es unrealistisch, diese grosse Aufgabe ins ordentliche Budget zu verschieben. Zur Einhaltung der Schuldenbremse müssten in der Folge andere Zugeständnisse gemacht werden. Deshalb stimme ich der Fortführung ausserhalb der Schuldenbremse zu. Eine weitere Untergrabung dieser Regeln müsste ich jedoch vehement abweisen und bekämpfen.Interview: Rolf Hug

www.peter-schilliger.ch

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