Publiziert am: 16.02.2024

Die Schweiz bleibt ein Töff-Paradies

moto-neuheiten – Nach den Rekordabsätzen während der Corona-Jahre bewegt sich der Schweizer Motorrad- und Rollermarkt weiterhin auf hohem Niveau. Mit 48 809 Neuzulassungen konnte er sich 2023 erneut leicht gegenüber dem Vorjahr steigern. Das Elektro-Zeitalter hat insbesondere bei den urban genutzten Rollern endgültig begonnen.

Kein anderes Land in Europa besitzt, prozentual zur Bevölkerung gemessen, eine so hohe Motorraddichte wie die Schweiz. Der Fahrzeugbestand beträgt gemäss der Schweizerischen Fachstelle für Motorrad und Roller (SFMR) mehr als eine halbe Million Motorräder, hinzu kommen noch 300 000 Roller. Die im Branchenverband motosuisse zusammengeschlossenen Landesimporteure setzen jährlich zusammen mit den 700 Fachbetrieben und den Zulieferern mehr als eine Milliarde Franken um. Von Januar bis Dezember 2023 wurden in der Schweiz 48 809 Motorräder und Roller neu eingelöst. Das entspricht einem Plus von 0,29 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Beliebtheit des motorisierten Zweirads in der Schweiz bleibt also ungebrochen.

Die Jugend liebt das Motorrad

Dank der Öffnung der Klasse bis 125 cm3 Hubraum, deren auf 15 PS (11 kW) Motorleistung beschränkte Modelle seit 2021 wie im übrigen Europa auch in der Schweiz von 16-jährigen Neueinsteigern gefahren werden dürfen, hat sich diese Kategorie als wichtige Stütze des Schweizer Motorradmarkts etabliert. 2023, dem dritten Jahr seit der Führerscheinöffnung, entfielen 5752 der insgesamt 28 199 Motorrad-Neuzulassungen auf diese 125er-Klasse. Nur die in der Schweiz traditionell starken Motorrad-Oberklassen ab 750 bis 1000 cm3 Hubraum (7328 Einheiten) und mit mehr als 1000 cm3 (6349 Stück) waren insgesamt noch beliebter.

Der leichte Rückgang der Neuzulassungen bei den leistungsunbeschränkten Oberklasse-Modellen lässt sich einfach erklären: Seit dem 1. Januar 2021 ist der Direkteinstieg in die Topklasse nicht mehr möglich; ungeachtet des Alters – wer älter ist als 18 Jahre – muss zuerst zwei Jahre mit auf 35 kW (48 PS) beschränktem Motorrad absolvieren, bevor in die ganz grosse Klasse aufgestiegen werden darf.

Elektroroller für Städte, Post und Pizzakuriere

Bei den vorwiegend im urbanen Bereich eingesetzten Rollern wird mittlerweile fast jedes fünfte Neufahrzeug elektrisch angetrieben. Ihr Anteil umfasste 2023 mit 3455 Einheiten 18,2 Prozent des insgesamt konstant gebliebenen Rollermarktes (18 992 Einheiten, minus 0,1 Prozent). Dabei muss berücksichtigt werden, dass rund ein Drittel dieser neuen E-Scooter von der Post und anderen Kurier- und Lieferdiensten eingesetzt wird.

Bei den fast ausschliesslich in der Freizeit sowie auf Mittel- und Langstrecken eingesetzten Motorrädern können sich hingegen Elektro-Zweiräder aus technischen Gründen – Reichweite, kein Platz für Batterien, kaum Ladestationen auf Motorradstrecken – noch nicht entscheidend durchsetzen. Der Anteil an E-Motorrädern betrug 2023 überschaubare 1,9 Prozent.

Elektronische Assistenzsysteme statt noch mehr PS

Klar ist: Möglichst viele PS genügen heute nicht mehr, um die Motorradkundschaft anzulocken, zumal 200  PS und mehr bei diversen Herstellern bei ihren Top-Sportmodellen längst zum Standardprogramm gehören. Viel heftiger tobt aktuell der Kampf bei der Entwicklung und Einführung von elektronischen Assistenzsystemen für noch mehr Komfort, Sicherheit und Information.

Analog zum Automobilsektor werden Fahrzeug, Fahrer und Umgebung immer umfassender miteinander vernetzt. Dank interaktiver Multimedia-Plattformen kann telefoniert und Musik gehört werden, gleichzeitig können viele Parameter des Fahrzeugs – Motor und Fahrwerk – während der Fahrt und teilweise per Helm-Kommunikationssystem und Sprach-Controller verändert werden.

Die immer leistungsfähigeren Systeme unterstützen neu auch radargesteuerte Systeme zur Abstandserkennung und Kollisionswarnung; sie reagieren sogar selbständig und führen assistierte Notbremsungen und sogar sanfte Richtungswechsel durch. Gänzlich neu und teilweise bereits auf dem Markt sind elektronische Kupplungen, die das Anhalten und Wegfahren ohne Kupplungsbetätigung der linken Hand ermöglichen sowie automatische Fahrzeugabsenkungen, damit das (immer schwerere) Motorrad im Stand sicher mit den Füssen und Beinen in der Vertikalen gehalten werden kann.

Reise-Motorräder: Komfort und Elektronik

Nun zu den wichtigsten Neuheiten für die Saison 2024. Das Durchschnittsalter des Schweizer Motorradvolks liegt heute trotz der zahlreichen jugendlichen Neueinsteiger bei rund 50 Jahren. Kein Wunder, dass sich diese solvente Kundschaft gerne grossvolumige und komfortorientierte Motorräder zulegt. Insbesondere leicht geländetaugliche Reisemotorräder mit Komplettausstattung – Gepäckkoffer, eletkronisch geregelte Fahrwerke und jede Menge Assistenzsysteme – stehen hoch im Kurs. Die seit Jahrzehnten unbestrittene Nummer 1 in diesem Segment, die BMW GS, wurde für 2024 totalrenoviert und heisst nun BMW R 1300 GS. Der 145 PS starke Boxer-Motor steckt in einem neuen, im Vergleich zur Vorgängerin etwas sportlicher ausgelegten Fahrwerk. Alle unterschiedlichen Ausführungen zusammengerechnet, war die GS im vergangenen Jahr das bestverkaufte Motorrad in der Schweiz.

Komplett überarbeitet wurde auch die britische Triumph Tiger 900, die es ebenfalls in diversen Ausführungen für Strasse und Gelände gibt. Der Dreizylinder stemmt 108 PS, dank einem Zentner weniger Gewicht als die BMW bietet sie viel Agilität und Sportlichkeit.

Für Freunde des klassisch orientierten, europäischen Motorradbaus bietet sich die neue Moto Guzzi Stelvio an. Die 115 PS starke Italienerin beruht auf der 2023 lancierten V100 Mandello und ist mit Radarsystem, Fahrmodi und diversen Assistenzsystemen topmodern ausgestattet.

Aus ganz anderem Holz geschnitzt sind die indische Royal-Enfield Himalayan 450 und die italienische Beta Alp 4.0. Mit bescheidenen 29 bzw. 35 PS, schlanker Ausstattung und günstigen Preisen taugen sie eher zum Motorradwandern als für den sportlichen Ausflug.

Sport: Renaissance der Mittelklasse

Die Branche hat für 2024 die sportliche Mittelklasse, auch für 48 PS-Neueinsteiger, wiederentdeckt. Aus Italien kommt die zweizylindrige Aprilia RS 457, quasi eine Halbierung der grossen, renommierten V4-Modelle. Honda hat die CBR 600 RR (121 PS) zurück ins Leben gerufen, Kawasaki bringt die giftgrüne Rennflunder Ninja ZX-6R (124 PS) zurück nach Europa, dazu noch einen aggressiven, extrem hochdrehenden 400er-Vierzylinder mit 77 PS namens Ninja ZX-4RR. Auch Triumph lässt sich nicht lumpen und wirft eine neue Version der dreizylindrigen Daytona 660 auf den Markt.

Eine Frontalattacke auf die erfolgsverwöhnten Einzylinder von KTM ist die Ducati Hypermotard 698 im Gewand eines Supermoto-Sportmotorrads. Die Österreicher kontern mit umfassenden Updates ihrer Sport-Topmodelle KTM 990 Duke und 1390 Super Duke R/Evo.

Oberklasse: Allrounder- und Crossover-Modelle

Für 2024 hat der Markt in der Oberklasse verhältnismässig wenig Neues zu bieten – abgesehen vom erwähnten Reisesegment. Neu sind das unverschalte Naked Bike Honda CB 1000 Hornet, ein schnörkelloser, einfach aufgebauter Allrounder mit einigermassen vernünftiger Leistung (150 PS) und attraktivem Preis-/Leistungsverhältnis, das massiv überarbeitete Dreizylinder-Naked Bike Yamaha MT-09 und die vierzylindrige Crossover-Suzuki GSX-S 1000 GX mit 152 PS und elektronisch gesteuertem Fahrwerk.

Mittelklasse: Für jede Persondas Passende

Modern ausgestattete Mittelklasse-Motorräder mit attraktivem Preis-/Leistungsverhältnis liegen seit der Streichung des Direkteinstiegs in die Oberklasse (2021) im Trend. Es gibt sie für den Führerschein A2 (ab 18 Jahren) entweder als gedrosselte 48- PS- (35-kW-)Versionen oder als direkt für diese Leistung konzipierte Bikes. Neu für 2024 sind aus Japan der Allrounder Honda NX 500, die sportliche Suzuki GSX-8R mit Vollverschalung und wahlweise 48 und 83 PS, die Suzuki-Schwester V-Strom (Allrounder, wahlweise 48 und 84 PS) und die beiden 45 PS starken Zweizylinder-Kawasakis Ninja 500 SE (Sport) und Eliminator 500 (Cruiser). England bzw. Triumph hat einen komplett neuen, 40 PS starken Einzylinder entwickelt und setzt diesen in den neuen Einsteigermodellen Speed 400 (Strasse) und Scrambler 400 X (Offroad) ein. Die dank chinesischer Hilfe (Zhongneng) wieder auferstandene Marke Moto Morini aus Italien will sich mit den Modellen Corsaro 750 und Corsaro 750 Sport ein Stück des lukrativen Mittelklassekuchens abschneiden.

Vintage – und Hybrid

Weitere erwähnenswerte Neuheiten für die bald beginnende Töffsaison 2024: die bildschöne Yamaha XSR 900 GP im Vintage-Racing-Look der 1970er-Jahre inklusive Stummel-lenker und Höckersitzbank (Dreizylinder, 115 PS), die beiden ebenfalls optischen Retro-Charme versprühenden Triumph-Twins Scrambler 1200 X und 1200 X (Offroad) sowie das amerikanische Stromer-Einsteigermodell Zero S, das dank 15 PS Dauerleistung sogar A1-Führerschein-tauglich (ab 16 Jahren) sein soll – 223 Kilogramm Gewicht und ein Preis im fünfstelligen Bereich werden die Kundschaft einschränken. BMW hat sein erfolgreiches Naked Bike RnineT überarbeitet, nennt es nun R12 nineT (109 PS) und hat ihm ein Basismodell namens R12 (95 PS, wahlweise 48 PS) zur Seite gestellt.

Eine hochinteressante Neuheit zum Schluss: Die bereits im Vorjahr angekündigte Kawasaki Z7 Hybrid ist nun auf dem Markt. Sie verbindet einen klassischen Benzin-Zweizylinder (59 PS, 451 cm3 Hubraum) mit einem Elektromotor (mit Rekuperation), der ohne Unterstützung maximal 66 km/h rennt und 12 Kilometer schafft. Für den innerstädtischen Kurzstreckenbetrieb ein hochinteressantes Konzept, das versucht, das Gewicht niedrig zu halten und das eingeschränkte Raumangebot für einen reinen Elektroantrieb zu umschiffen.

Markus Lehner

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